Enttäuschend! Hessischer Informationsfreiheitsbeauftragter segnet restriktive Kostenregelungen bei kommunalen Informationsfreiheitssatzungen ab

Transparenz/ März 20, 2023/ alle Beiträge, Hessische Landespolitik, Informationsfreiheit / Transparenz, Jobcenter Wiesbaden/ 1Kommentare

Am 01.01.2023 trat die kommunale Informationsfreiheitssatzung der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden in Kraft. Ein an sozialpolitischen Fragestellungen interessierter Bürger wollte die neu gewonnene Möglichkeit nutzen, sich Informationen zu verschaffen. In einer E-Mail an die Leitung des kommunalen Jobcenters der Stadt Wiesbaden beantragte er „mir sämtliche Arbeits- bzw. Dienstanweisungen des kommunalen Jobcenters der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Bearbeitung von Anträgen und sonstigen Anliegen von Bürger/innen, die Leistungen nach SGB II beantragen oder bereits beziehen, in elektronischer Form, ggf. als PDF-Dateien, zur Verfügung zu stellen…“

Das Jobcenter Wiesbaden reagierte schnell; für den Anfrager aber unerwartet. Ihm wurde mitgeteilt, dass er – sollte er tatsächlich sämtliche Arbeits- bzw. Dienstanweisungen erhalten wollen – mit Kosten von 2.100 € rechnen müsse, die aber wg. der Verwaltungskostensatzung auf 500 € begrenzt seien. Sollte er seinen Auskunftsanspruch auf neun namentlich in seinem Antrag genannten Dokumente beschränken, müsse er immer noch mit Kosten von 180 – 240 € rechnen.

Der Bürger erklärte daraufhin: „Als langjährigem Sachbearbeiter im Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt ist mit bekannt, dass hier alle Arbeits- und Dienstanweisungen bezogen auf die Sozialgesetzbücher I, VIII, X, XI, XII und auf andere in der Sachbearbeitung zu beachtende Rechtsgrundlagen den Sachbearbeiter*innen und ihren Vorgesetzten in übersichtlicher und systematischer Form als pdf-Dateien im Intranet des Amtes für einen unkomplizierten und schnellen Abruf zur Verfügung gestellt werden. Sollte es in Frankfurt eine kommunale Informationsfreiheitssatzung geben (noch gibt es sie nicht) und ein Frankfurter Bürger auf die Idee kommen, die von mir genannten neun Dokumente beim Jugend- und Sozialamt anzufordern, wäre ich als Sachbearbeiter in der Lage, diese in deutlich weniger als 30 Minuten im Intranet des Amtes aufzufinden, die pdf-Dateien in eine E-Mail einzufügen und diese an den anfragenden Bürger zu versenden. Ihrer Darstellung muss ich entnehmen, dass das Jobcenter der Stadt Wiesbaden diesen Stand von Bürokommunikation und -organisation noch nicht erreicht hat, sondern anscheinend noch im Stadium einer öffentlichen Verwaltung verharrt, die von Stehpulten, Tintenfässern, Federkielen, handschriftlicher Bescheiderteilung und nicht hinreichend gepflegten Archiven geprägt ist.“ Als Zeichen seines Verständnisses für die Arbeitssituation im Jobcenter Wiesbaden reduzierte er seinen Antrag auf nur noch drei konkret benannte Arbeits- bzw. Dienstanweisungen.

Wieder reagierte die Verwaltung schnell. Sie reduzierte den Kostenrahmen für das reduzierte Auskuftsbegehren auf 60 – 120 €. Dies war für den betroffene Bürger Anlass, sich mit einer

Beschwerde an den Hessischen Informationsbeauftragten Prof. Dr. Alexander Roßnagel

zu wenden. Dessen Behörde wies leider die Beschwerde in vollen Umfang zurück. Sie erklärte gegenüber dem Beschwerdeführer:

Nach § 88 Abs. 2 HDSIG sind in den Fällen des § 81 Abs. 1 Nr. 7 HDSIG, also wenn eine kommunale Satzung den Anspruch auf Informationszugang regelt, die Kosten verpflichtend nach der geltenden Satzung zu erheben. Nach § 2 der Informationsfreiheitssatzung der Landeshauptstadt Wiesbaden werden Kosten nach Maßgabe der Verwaltungskostensatzung erhoben. Es handelt sich also nicht um eine Ermessensentscheidung, sondern um eine zwingende Folge. Es ist also rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Kosten erhoben werden sollen. Das Hessische Verwaltungskostengesetz sieht in § 17 Abs. 1 vor, dass die Behörde, welche die Kosten festsetzt, diese ermäßigen oder von der Erhebung absehen kann, wenn dies mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kostenpflichtigen oder sonst aus Billigkeitsgründen geboten erscheint. Sollte eine Person, die einen Antrag auf Informationszugang gestellt hat und in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, die Kosten für die Informationsbereitstellung nicht tragen können, so bestünde die Möglichkeit, einen entsprechenden Antrag zu stellen.“

Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main stellt dazu fest:

  • Die Wiesbadener Informationsfreiheitssatzung wird in ihrem Sinngehalt konterkariert durch ein Verwaltungshandeln, wie es das kommunale Jobcenter der Stadt Wiesbaden exekutieren möchte.
  • Einzelne Bürgerinnen und Bürger, aber auch Bürgerinitiativen, die im Regelfall nicht über größere Geldmittel verfügen, werden mit der Geldschere daran gehindert, ihre Rechte aus der Informationsfreiheitssatzung wahrzunehmen. Insbesondere Menschen, die selber Leistungen vom Sozialamt oder Jobcenter beziehen oder diese beantragen wollen oder müssen, sind damit vom Informationsfreiheitsanspruch ausgenommen.
  • Dass der Hessische Informationsfreiheitsbeauftragte dieses Verwaltungshandeln als rechtmäßig deklariert, ist enttäuschend.
  • Dass der Hessische Informationsfreiheitsbeauftragte – der in Personalunion zugleich Hessischer Datenschutzbeauftragter ist – dazu rät, dass eine Person, die einen Antrag auf Informationszugang gestellt hat und in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen lebtsich mit ihren persönlichen Lebensumständen gegenüber der Behörde entblößen soll, wenn sie die Kosten für die Informationsbereitstellung nicht tragenkann, ist aber mehr als nur skandalös.

Für Tätigkeiten aufgrund dieses Gesetzes werden keine Kosten (Gebühren und Auslagen) oder sonstigen Entgelte erhoben“

Diese Position nimmt der frühere Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, in seinem im Oktober veröffentlichten Entwurf für ein Landestransparenzgesetz (dort § 14) ein. Die gleiche Regelung findet sich im Entwurf für ein Bundestransparenzgesetz (auch dort § 14), der 2022 von dem zivilgesellschaftlichen Bündnis für ein Bundestransparenzgesetz (FragdenStaat, Netzwerk Recherche, Mehr Demokratie e.V., Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit, Transparency International Deutschland, Abgeordnetenwatch, Lobbycontrol, Wikimedia Deutschland, Deutscher Journalisten-Verband) veröffentlicht wurde.

Diese Forderung muss auch für Informationsfreiheit und Transparenz der öffentlichen Verwaltung in Hessen gelten – sowohl gegenüber Landesbehörden als auch gegenüber kommunalen Gebietskörperschaften!

 

1 Kommentar

  1. SCHUFA auf dem Prüfstand des EuGH

    Derzeit beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Auskunftei SCHUFA Holding AG (nachfolgend: SCHUFA). Hintergrund sind mehrere Klagen von Privatpersonen gegen den Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HBDI) vor dem Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden.
    Der HBDI hatte im Vorfeld mehrere Beschwerden gegen die Auskunftei SCHUFA zurückgewiesen, wogegen vor dem VG geklagt wurde.
    Das VG legte dem EuGH daraufhin mehrere Vorabentscheidungsfragen vor. Ende letzter Woche wurden die Schlussanträge des Generalanwalts Priit Pikamäe veröffentlicht (Pressemitteilung). An die Schlussanträge des Generalanwalts ist der EuGH nicht gebunden; diesen jedoch in der Vergangenheit häufig gefolgt.

    https://www.datenschutz-notizen.de/schufa-auf-dem-pruefstand-des-eugh-3241398/

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