Die abschnittsbezogene Geschwindigkeitskontrolle („Section Control“) – eine Sonderform der Videoüberwachung – ist an ihren Unzulänglichkeiten gescheitert
Die abschnittsbezogene Geschwindigkeitskontrolle (neudeutsch: „Section Control“) war ein Projekt des Niedersächsischen Innenministeriums zur Verkehrsüberwachung. Die Pilotanlage in der Nähe von Hannover – in Betrieb genommen im Dezember 2018 – zeichnete sich dadurch aus, dass sowohl bei der Ein- als auch bei der Ausfahrt des überwachten Streckenabschnitts je ein verschlüsseltes, mit Zeitstempel versehenes Heckfoto des passierenden Fahrzeugs gefertigt wurde. Anhand eines Abgleichs dieser beiden mit Zeitstempel versehenen Fotos wurde bei der Ausfahrt aus dem überwachten Bereich die Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt. Bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit wurde dann zur Identifizierung des Menschen am Lenkrad eine unverschlüsselte Aufnahme der Front sowie des Hecks des Fahrzeugs gefertigt.
Das Verwaltungsgericht Hannover hatte darauf hin am 13.03.2019 dem Antrag eines Anwalts aus der Region auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgeben, mit denen der Kläger begehrte, dass das Land Niedersachsen es unterlässt, Geschwindigkeitskontrollen hinsichtlich der von ihm geführten Fahrzeuge mittels der Anlage „Section Control“ durchzuführen. Das Gericht stellte fest, dass es für diese Überwachungsanlage keine gesetzliche Grundlage gab. Diese wurde danach durch Änderungen im Niedersächsischen Polizeigesetz geschaffen, so dass die Anlage im Juli 2019 erneut in Betrieb genommen wurde.
Seit 11.07.2023 ist in § 14a HSOG geregelt, dass auch in Hessen abschnittsbezogene Geschwindigkeitskontrolle („Section Control“) möglich ist: „Die Ordnungsbehörden und die Polizei dürfen im öffentlichen Verkehrsraum zur Verhütung der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen… Bildaufzeichnungen offen anfertigen und damit auf einer festgelegten Wegstrecke die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Kraftfahrzeugs ermitteln (Abschnittskontrolle)…“
Jetzt kam das (vorläufige?) aus für die abschnittsbezogene Geschwindigkeitskontrolle in Niedersachsen. Der NDR meldete am 23.01.2024: „Hintergrund für die Abschaltung von ‚Section Control‘ seien neue gesetzliche Bestimmungen zur Verschlüsselung der von dem System gesammelten Daten, teilte der Betreiber Jenoptik auf NDR Nachfrage mit. Diese Vorgaben könne die Anlage nicht erfüllen. Es ist nach Angaben des Unternehmens auch nicht vorgesehen, das Streckenradar technisch nachzubessern. Deswegen durfte die Anlage nur noch bis Ende 2023 betrieben werden…“
Da dieser Beitrag fehlerhafte Angaben enthielt, meldete sich der Niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte mit einer Pressemitteilung zu Wort: „Wir sind sehr verwundert darüber, dass in einigen Berichten der Datenschutz als Hauptursache für das Aus der Anlage genannt wurde. Bei der Entscheidung des Herstellers waren – neben wohl auch wirtschaftlichen Gründen – Richtlinien zur IT-Sicherheit ausschlaggebend. Diese sollen das manipulationssichere Übertragen der Daten gewährleisten.“ In dieser Stellungnahme wird ergänzend mitgeteilt: „Bei den technischen Vorgaben handelt es sich… um eine Richtlinie des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)… Die entsprechende Richtlinie… des BSI empfahl bereits seit längerem, bei solchen Verfahren eine RSA-Schlüssellänge von mindestens 3000 Bits zu verwenden und räumte zuletzt eine Übergangsfrist bis Ende 2023 ein. Der Berichterstattung zufolge hätte der Hersteller der Anlage das System nachbessern müssen und hatte sich dagegen entschieden…“
Es war also nicht „der Datenschutz“, der für ein (vorläufiges?) Ende dieser Form von Videoüberwachung sorgte.
Und da Jenoptik der bislang einzige Hersteller dieser Anlagen ist, kann sich auch der neue hessische Innenminister dieses Instrument „in die Tonne kloppen“ und den § 14a HSOG einmotten oder besser: Durch eine gesetzliche Neuregelung außer Kraft setzen lassen.
Aber auch das Bündnis aus Verkehrs- und Umweltverbänden, das den Entwurf eines Verkehrswendegesetzes für Hessen erarbeitet hat, hat die Forderung nach „Section Control“ in seinen Gesetzentwurf aufgenommen und ist – zumindest damit – jetzt gescheitert.
Update 11.02.2024
Die Bürgerrechtsgruppe freiheitsfoo aus Hannover hat in einer Dokumentation unter dem Titel „Heimlich, still und leise: Bundesweit einzige ‚Section Control‘-Pilotanlage wird abgeschaltet und abgebaut“ die zehnjährige politische und juristische Auseinandersetzung im die Überwachungsanlage nahe Hannover zusammengestellt.
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Was Ihr in Eurem Beitrag nur andeutet:
Die letzte hessische Landesregierung von CDU und Grünen hat zwar den Entwurf des Verkehrswendegesetzes abgelehnt, siehe
https://wirtschaft.hessen.de/presse/landesregierung-im-gespraech-mit-initiatoren-des-verkehrswendegesetzes
Aber für die Vorlage in Sachen Abschnittskontrolle hat sie sich „bedankt“ und sie fast wortgleich als § 14b HSOG ins hessische Polizeirecht aufgenommen.
Im Entwurf des Verkehrswendegesetzes wird gefordert:
Das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2005 (GVBl. I S. 14), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. August 2018 (GVBl. S. 374), wird wie folgt geändert: § 14 wird wie folgt geändert: Dem Absatz 6 wird folgender Absatz 7 angefügt: „Die Gefahrenabwehrbehörden und die Polizei dürfen im öffentlichen Verkehrsraum zur Verhütung der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen nach Maßgabe des Satzes 2 Bildaufzeichnungen offen anfertigen und damit auf einer festgelegten Wegstrecke die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Kraftfahrzeugs ermitteln (Abschnittskontrolle). Die Bildaufzeichnungen dürfen nur das Kraftfahrzeugkennzeichen, das Kraftfahrzeug und seine Fahrtrichtung sowie Zeit und Ort erfassen; es ist technisch sicherzustellen, dass Insassen nicht zu sehen sind oder sichtbar gemacht werden können. Bei Kraftfahrzeugen, bei denen nach Feststellung der Durchschnittsgeschwindigkeit keine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vorliegt, sind die nach Satz 2 erhobenen Daten sofort automatisch zu löschen. Die Abschnittskontrolle ist kenntlich zu machen.“
https://www.verkehrswende-hessen.de/verkehrswendegesetz-volltext/#Artikel_4_%E2%80%93_Aenderung_des_Hessischen_Gesetzes_ueber_die_oeffentliche_Sicherheit_und_Ordnung
§ 14b HSOG lautet:
Abschnittskontrolle
„Die Ordnungsbehörden und die Polizei dürfen im öffentlichen Verkehrsraum zur Verhütung der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen nach Maßgabe des Satz 2 Bildaufzeichnungen offen anfertigen und damit auf einer festgelegten Wegstrecke die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Kraftfahrzeugs ermitteln (Abschnittskontrolle). Die Bildaufzeichnungen dürfen nur das Kraftfahrzeugkennzeichen, das Kraftfahrzeug und seine Fahrtrichtung sowie Zeit und Ort erfassen; es ist technisch sicherzustellen, dass Insassen nicht zu sehen sind oder sichtbar gemacht werden können. Bei Kraftfahrzeugen, bei denen nach Feststellung der Durchschnittsgeschwindigkeit keine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vorliegt, sind die nach Satz 2 erhobenen Daten sofort automatisch zu löschen. Die Abschnittskontrolle ist kenntlich zu machen.“
https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/jlr-SOGHEV20P14b
Ein „schöner Erfolg“ für die Verkehrswende? Ich denke: Nein!
Streckenradar kann derzeit nirgends in Deutschland eingeführt werden
Sachsen-Anhalt würde gern Tempo-Abschnittskontrollen einführen. Mangels Anbieter kommt es momentan dazu nicht.
11.08.2024, 13:47 Uhr
Lesezeit: 2 Min.
Autos
Von Andreas Wilkens
https://www.heise.de/news/Streckenradar-kann-derzeit-nirgends-in-Deutschland-eingefuehrt-werden-9831438.html