Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke – oder: Wer braucht noch den „Verfassungs“schutz zur Aufklärung neonazistischer Gewalttaten?

Datenschutzrheinmain/ Juni 23, 2019/ alle Beiträge, Hessische Landespolitik, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 0Kommentare

Spätestens nach Veröffentlichung der Recherchen von „EXIF – Recherche & Analyse“, einer unabhängigen antifaschistischen Rechercheplattform, die sich mit der rechten und neonazistischen Szene befasst, erscheint diese Frage berechtigt und notwendig.

Während Bundes- und Landesämter für „Verfassungs“schutz den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke in ihren Stellungnahmen als „Einzeltäter“ kennzeichneten, über den er seit mehr als 10 Jahren keine neuen Erkenntnisse über rechtsradikale Aktivitäten gäbe,

  • hat EXIF in einem umfangreichen Beitrag dokumentiert, der dass der „Einzeltäter“ auch aktuell eng in neonazistische Gewalttäter-Strukturen eingebunden ist. Seine letzte bekannte Aktivität: Am 23.03.2019 trafen sich in Mücka in Sachsen Neonazis der Gruppen Brigade 8 und Combat 18. Mit dabei: Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke.
  • In einem weiteren Beitrag hat EXIF Aktivitäten des mutmaßlichen Mörders in und mit der militanten nordhessischen Neonazi-Szene veröffentlicht.

Veröffentlichungen dieser Art sind gelebter Verfassungsschutz. Sie machen deutlich, dass es vor allem Journalist*innen und Aktivist*innen antifaschistischer Gruppen sind, die wesentliche Informationen über gewaltbereite neonazistische Gruppen und ihre Mitglieder sammeln, aufbereiten, der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und damit Demokratie und Freiheit verteidigen.

Insbesondere das Hessische Landesamt für „Verfassungs“schutz (LfV) scheint nach Presseberichten auch jetzt – wie im Falle des NSU-Mordes an Halit Yozgat am 06.04.2006 in Kassel – eher an „Quellenschutz“ und Verschleierung als an aktiver Unterstützung von Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung des Mordes an Walter Lübcke interessiert zu sein.

Die Frankfurter Rundschau informiert am 22.06.2019: Die SPD-Landtagsfraktion fordert, dass die hessischen Sicherheitsbehörden alle Akten zum Kasseler Neonazi Stephan E., der als dringend tatverdächtig im Mordfall Lübcke gilt und in Untersuchungshaft sitzt, an den Generalbundesanwalt übergeben… ‚Wenn wir sagen ,alle Akten‘, dann meinen wir auch alle‘, sagte Günther Rudolph, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion. Man erwarte vom Landesamt für Verfassungsschutz, dass es den Ermittlern auch die Akten übergebe, ‚die dort für eine halbe Ewigkeit als ,geheim‘ eingestuft wurden‘. Die Akten müssten zudem auch der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtags vorgelegt werden. Es müsse dringend geklärt werden, ob sich in den zum Teil für 120 Jahre gesperrten Akten aus dem Umfeld des NSU-Untersuchungsausschusses auch Hinweise auf Stephan E. fänden, so Rudolph. ‚Vollständige Aufklärung ist das, was die Behörden den Hinterbliebenen des ermordeten Regierungspräsidenten Lübcke schulden.‘ Die Linke fordert ebenfalls, Akten und als geheim eingestufte Protokolle aus dem NSU-Untersuchungsausschuss erneut einsehen zu dürfen. ‚Außerdem müssen alle Akten, die Stephan E. und sein Umfeld betreffen und dem Ausschuss damals vorgelegt wurden, erneut auf den Tisch‘, sagte Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Linken. Schaus hatte im NSU-Ausschuss bereits 2015 nach behördlichen Erkenntnissen zu Stephan E. gefragt.“

Ob der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) und das LfV auch aktuell – ähnlich wie beim Mord an Halit Jozgat und der mehr als nur dubiosen Rolle des LfV-Beamten Andreas Temme – erfolgreich jede Aufklärung der Verstrickungen des Verfassungsschutzes und seine „informellen Mitarbeiter*innen“ in die gewaltbereite Neonaziszene verhindern können?

Es wird auf den Druck der demokratischen Öffentlichkeit ankommen, damit dies nicht erneut passiert.

Da der „Verfassungs“schutz erkennbar und wiederholt mehr seine eigenen Strukturen, seine Mittelmänner (und -frauen) und deren kriminelles Umfeld schützt als Grundgesetz und Hessische Landesverfassung ist er für die Verteidigung von Demokratie und Freiheit unbrauchbar. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz zu schließen haben – aus den Erfahrungen aus dem NSU- und dem NSA-Skandal heraus – im Rahmen der Kampagne ausgeschnüffelt bereits 2016 rund 1.000 Menschen und 11 Organisationen gefordert. Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main war beim Abschluss dieser Kampagne mit einem Vertreter aktiv dabei.

EXIF – Recherche & Analyse“ veröffentlicht auf Grund eigener Recherche, Analyse und Information Kurzmeldungen zu aktuellen Aktivitäten der rechten und neonazistischen Szene; Hintergrundberichte, um Strukturen und Personen rechter Netzwerke offen zu legen und analysiert Bilder von Demonstrationen, Aktivitäten und Treffen von organisierten Neonazis.

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