Videoüberwachung in ärztlichen Praxisräumen: Von manchen erwünscht, aber unzulässig
Wiederholt hat der Weser-Kurier aus Bremen dieses Thema aufgegriffen, zuletzt am 06.09.2024 mit einem Streitgespräch zwischen dem kommissarischen Landesdatenschutzbeauftragten in Bremen, Steffen Bothe, und dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen, Bernhard Rochell.
„2023 kam es laut Polizei zu drei Fällen von gefährlicher und schwerer Körperverletzung in Arztpraxen. In neun angezeigten Fällen ging es um einfache Körperverletzung und drei Mal um Bedrohung. Zudem wurden 113 Diebstähle in Praxisräumen angezeigt“, informiert der Weser-Kurier.
Kann Videoüberwachung in ärztlichen Praxisräumen kriminelles Handeln verhindern? Da Angriffe auf Leib und Leben Dritter häufig affektgetrieben erfolgen, ist dies für diese Delikte weitgehend ausgeschlossen.
Und rechtfertigt der Schutz vor Diebstählen die Überwachung aller Patient*innen? Aus Sicht des kommissarischen Landesdatenschutzbeauftragten in Bremen, Steffen Bothe, ist dies nicht der Fall.
Er stellt im Gespräch mit dem Weser-Kurier u. a. fest: „Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie gehen zu einem Arzt für Geschlechtskrankheiten und vor Ort werden von Ihnen Videos aufgezeichnet… Das ist ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht… Videoüberwachung in Praxen ist absolut unzulässig, sprich: illegal. Würden wir den Namen einer Praxis erfahren, die derart handelt, würden wir die Kameras deinstallieren lassen und ein Bußgeld verhängen.“
Der kommisarische Landesdatenschutzbeauftragte in Bremen kann sich bei seiner Argumentation einerseits auf die DSGVO, andererseits auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2019 (Aktenzeichen: 6 C 2.18) stützen. Die Klägerin in diesem Verfahren war eine Zahnärztin aus Potsdam. Ihre Praxis konnte durch Öffnen der Eingangstür ungehindert betreten werden; der Empfangstresen war nicht besetzt. Die Klägerin hat oberhalb dieses Tresens eine Videokamera angebracht. Die aufgenommenen Bilder konnten in Echtzeit auf Monitoren angesehen werden, die die Klägerin in Behandlungszimmern aufgestellt hatte. Nach einer Beschwerde eines Patienten und einer Begehung der Praxis durch Mitarbeiter*innen der Landesdatenschutzbeauftragten in Brandenburg wurde von dieser der Betrieb der Kameras während der Öffnungszeiten der Praxis untersagt. Die von der Zahnärztin vorgetragenen Argumente für Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit Überwachung konnten nicht überzeugen. Die Landesdatenschutzbeauftragte stellte fest, dass während der Öffnungszeiten der Praxis sowohl die Videoüberwachung der öffentlich zugänglichen Räume als auch der Behandlungszimmer unzulässig sei.
Ungeachtet dieses eindeutigen Urteils erklärte der Vorstandvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen laut Weser-Kurier, dass nicht nur in immer mehr Arztpraxen, sondern auch in Krankenhäusern und bei Bereitschaftsdiensten die Räumlichkeiten immer häufiger videoüberwacht würden. „Wir stellen uns schützend vor unsere Mitglieder und befürworten das“, so Rochell. Und meint, dies an einem Beispiel als hilfreich darstellen zu können. Er erzählt dem Weser-Kurier von einem Vorfall im Jahr 2023, bei dem ein Mann vor der Notaufnahme des St. Joseph-Stifts in Bremen dem Opfer, mit dem es vorher einen Streit gab, die Kehle durchgeschnitten habe. Der Täter sei aufgrund der Videoaufzeichnungen schnell gefasst worden. „Und dann frage ich: Was ist wichtiger – Datenschutz oder Menschenleben?“
Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich – könnte man Herrn Rochell entgegenhalten. Der Bremer Landesdatenschutzbeauftragte sagt es etwas anders, aber nicht weniger richtig: „Ich verstehe nicht, wozu man Kameras installieren möchte… Videoaufzeichnungen verhindern schließlich keine Straftaten.“