Frankfurt: Polizeiliche Videoüberwachung im Szeneviertel am Widerstand der LGBTIQ-Community gescheitert
Nach mehreren queerfeindlichen Übergriffen in der Frankfurter Innenstadt, die in mehreren Fällen auch teils schwere Körperverletzungen zur Folge hatten, hatte die Frankfurter Polizei – so nachlesbar in einer Pressemitteilung der Frankfurter Polizei vom 13.07.2022 – während des Christopher Street Day „zusätzliche, mobile Sicherheitskameras im Bereich der Konstablerwache“ eingesetzt. Dies war auf Protest der betroffenen Personen und ihrer Vereinigungen gestoßen, weil Erfahrungen aus der Vergangenheit Misstrauen gegen polizeiliches Handeln hervorgerufen hatte.
Die Absicht der Polizei, das Szeneviertel in der Nähe der Konstablerwache dauerhaft und regelmäßig – wenn auch nicht ständig rund um die Uhr – durch Videokameras der Polizei zu überwachen, ist jetzt aber am Widerstand der LSBT*IQ Community gescheitert. Dies geht aus einer Pressemitteilung der Frankfurter Polizei vom 19.092022 hervor. Darin wird u. a. mitgeteilt: „Die Einrichtung einer temporären Videoschutzzone im Szeneviertel, über die nach den letzten Übergriffen kontrovers diskutiert wurde, stellt die Polizei nach aktueller Bewertung zunächst zurück, auch wenn die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Der Grund dafür liegt in der nach Einschätzung des Polizeipräsidiums eher kritischen bis sogar ablehnenden Einstellung der LSBT*IQ Community zu diesem Thema. Die Installation einer solchen Videoschutzanlage steht derzeit dem übergeordneten Ziel des Vertrauensaufbaus und der Erhöhung der Anzeigebereitschaft entgegen. Durch die polizeiliche Präsenz am Wochenende ist zudem ein erhöhter Grundschutz gegeben.“
Das Frankfurter Polizeipräsidium bestätigt mit dieser Stellungnahme, dass in der Szene – berechtigt – Vorbehalte gegen die Polizeibeamt*innen und ihre Haltung und Handlungen bestehen.
Kann Videoüberwachung vor Angriffen auf Leib und Leben schützen?
Bedauerlicherweise nicht, wie einige (medial bekannt gewordene) Einzelfälle wie z. B. in Augsburg, Berlin oder Mannheim zeigen. Diese Angriffe fanden unter den Augen von Videoüberwachungskameras statt.
Taten im Affekt – darum handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle von Angriffen auf unbekannte Dritte – können von Kameras auch deshalb nicht verhindert oder in ihrer Zahl wesentlich reduziert werden, weil Affekt-Taten nicht von rationalem Handeln gesteuert werden. Darauf weisen unterschiedliche Studien zur Wirksamkeit von Videoüberwachung hin:
- „… auf Gewaltkriminalität hat die Videoüberwachung keinen Einfluss… Die Überwachung eines Raumes steigert demnach das Entdeckungsrisiko (Erhöhung der Kostenseite) für einen Straftäter. Dies setzt jedoch voraus, dass ein potentieller Straftäter rational agiert. In der Praxis wird man jedoch sehr schnell feststellen, dass eine Vielzahl der Verbrechen eben nicht Ergebnis rationaler Wahlhandlungen sind, sondern affektuell geprägt sind und/ oder von unbedarften, berauschten Tätern begangen werden. Rational agierende Täter werden die Videoüberwachung vermutlich als eine Erhöhung ihres Entdeckungsrisikos wahrnehmen. Jedoch erscheint die Annahme hierduch Kriminalität zu verhindern wenig plausibel. Vielmehr wird es zu einer Verlagerung der Kriminalität kommen…“ (Veröffentlichung von Prof. Dr. Christian Wickert aus 2020, Dozent für die Fächer Soziologie und Kriminologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen)
- „Argumente für die Videoüberwachung werden aber auch darin gesehen, dass ihr eine abschreckende Wirkung für potentielle Straftäter zugeschrieben wird und dass sie gegebenenfalls die Möglichkeit eines vorbeugenden Einsatzes von Sicherheitskräften bei frühen Gefährdungsanzeichen bietet. Der wissenschaftliche Nachweis eines allgemein kriminalitätsreduzierenden Effekts der Videoüberwachung konnte bisher allerdings nicht überzeugend geführt werden. Für städtische und zentrumsnahe öffentliche Plätze fallen die Effekte sehr unterschiedlich aus, lediglich für die Eindämmung der Kriminalität in Parkhäusern und auf Parkplätzen sowie des Raubes und Diebstahls im öffentlichen Personennahverkehr erweist sich die Videoüberwachung nach bisherigen Befunden als wirksam…“ (Studie des Kriminologischen Forschungsinstitus Niedersachsen aus 2018, dort S. 54)
- „In Stadtzentren und Wohngebieten sowie im öffentlichen Nahverkehr hatte die Videoüberwachung nur geringen oder keinen signifikanten Effekt auf die Kriminalität. Es ergab sich auch kein Erfolg hinsichtlich der Verringerung von Gewaltdelikten.“ (Studie der Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention aus 2005, dort S. 2)
Grüne im zuständigen Ortsbeirat für die Innenstadt fordern einen Regionalrat für das „Bermudadreieck“.
https://www.grueneffmobr1.de/startseite/volltext-startseite/article/unser-antrag-im-ortsbeirat-1-ein-regionalrat-fuer-das-bermudadreieck/
Zitat:
„Es ist jedoch offensichtlich, dass den Übergriffen allein mit polizeilichen Mitteln nicht erfolgreich entgegnet werden kann. Es sind eine Vielzahl kleiner und koordinierter Maßnahmen erforderlich, die am besten in einem Gremium wie dem Regionalrat abgestimmt und vereinbart werden können. In einem Regionalrat könnte wieder dringend benötigtes Vertrauen zu dem umstrittenen 1. Polizeirevier aufgebaut werden, was der polizeilichen Aufklärungsarbeit sicherlich gut tun würde. Zudem fehlt in diesem Bereich eine angemessene soziale Kontrolle. Diese kann nicht allein durch die Polizei hergestellt werden, sondern es braucht auch eine Allianz aus Gastronomen, Shopbetreibern, Einrichtungen und Anliegenden. Außerdem muss die Szene dafür sensibilisiert werden, schon auf kleinste Vorfälle angemessen zu reagieren.“