Zum Abschied aus dem Amt: Hessens bisheriger Datenschutzbeauftragter Ronellenfitsch äußert skurrile Positionen zu skurrilen und weniger skurrilen Anliegen
Aus Anlass seiner am 25.02.2021 erfolgten Verabschiedung aus dem Amt des Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wurde auf der Homepage des Hessischen Landtags ein Interview mit Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch veröffentlicht.
Ein paar wenige Auszüge aus den von Ronellenfitsch gemachten Aussagen, verbunden mit einer Kommentierung aus Sicht der Mitglieder der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main.
1.
Ronellenfitsch erklärt: „Mittlerweile jedoch sind Daten einerseits Teil der individuellen Selbstbestimmung, andererseits haben sie einen ganz konkreten Wert. Es geht nicht mehr in erster Linie darum, ob jemand in seiner Würde verletzt wird, sondern vielmehr darum, ob jemand in seiner finanziellen Nutzung beeinträchtigt wird. Es geht also um ein eigentums- und vermögensrechtliches Interesse an den eigenen Daten. Um eine Payback-Karte zu bekommen, gebe ich meine Daten preis. Aber dafür bekomme ich ja auch einen Preisnachlass. Der wirtschaftliche Wert meiner Daten sollte immer auch mir selbst zugutekommen und zugleich der Allgemeinheit nutzen – so wie jedes Eigentum… Eine Information, zum Beispiel eine Adresse für eine Produktwerbung, kostet in den USA im Wirtschaftsverkehr zirka 40 Dollar. Wäre es nicht denkbar, davon 20 Dollar dem ursprünglichen Dateneigentümer zu überlassen?“
Dieser Aussage muss aus Sicht der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main entschieden widersprochen werden. Sie stellt eine Abkehr von Schutz personenbezogener Daten dar.Begriffe wie „Datensouveränität“, „Datenschatz“ und „Dateneigentum“ reduzieren das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1983 mit dem sogenannten Volkszählungsurteil postulierte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auf kaufmännische Maßstäbe. Dies ist weder mit der Würde des Menschen (Art. 1 GG) noch mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) zu vereinbaren. Wenn die Würde des Menschen unantastbar ist, dann ist und bleibt sie auch unverkäuflich.
2.
Auf die Frage „Wie finden Sie die Corona-App, die mit dem Verweis auf Datenschutz viel weniger im Kampf gegen die Pandemie leistet, als sie technisch leisten könnte?“ antwortet Ronellenfitsch: „Entscheidend für einen erfolgreichen Einsatz sind die Standortdaten der Nutzer. Dass die nicht erfasst werden dürfen, macht die App viel schlechter. Ich finde, da geht der Datenschutz zu weit.“
Auch hier ist aus Sicht der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main Widerspruch angesagt. Klartext zum Thema Datenschutz und Corona-App spricht der Bundesdatenschutzbeauftragte Dr. Ulrich Kelber: „Wieso sollte auch der Verzicht auf datenschutzrechtliche Prinzipien wie Erforderlichkeit, Geeignetheit, Verhältnismäßigkeit oder das Vorhandensein einer transparenten Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten notwendig sein, um eine Pandemie zu bekämpfen? … Nein, die pauschale Einschränkung des Grundrechts auf den Schutz personenbezogener Daten wird die Infektionszahlen nicht senken. Solche Debatten verunsichern, statt zum Ziel beizutragen. Ich möchte den Blick von den Talk-Show-Parolen auf das Sinnvolle und Machbare lenken: Mehr als 22 Millionen Menschen haben die Corona-Warn-App auf ihrem Mobiltelefon installiert… Jetzt geht es darum, dass dieser Beitrag noch größer werden kann, zum Beispiel durch eine automatische Erkennung von potenziellen Infektionsclustern durch das Robert Koch-Institut und die Gesundheitsämter. Dafür gibt es konkrete und schnell umsetzbare Vorschläge, die ohne datenschutzrechtlichen Kahlschlag funktionieren.“
3.
Die Frage „Wie weit darf eine Kamera das eigene Haus überwachen?“ beantwortet Ronellenfitsch wie folgt: „Dass eine Kamera den eigenen Eingang schützt, ist ein legitimes Anliegen. Um den Überwachungskorridor zu definieren, habe ich immer den sogenannten Pinkelabstand genommen. Das heißt, eine Kamera darf etwa 1,50 Meter rund ums Haus schützen: Alle, die weiter weg stehen, können nicht mehr an die Hauswand pinkeln. Das mag geschmacklos sein, ist aber einfach verständlich zu machen.“
Bei diesem Thema hat die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main eigene gute und weniger gute Erfahrungen mit Herrn Ronellenfitsch uns seiner von ihm geleiteten Behörde gemacht. Die wichtigste: In einem Schreiben vom 23.06.2019 wurde der Hessische Datenschutzbeauftragte nach der weiteren Bearbeitung einer Beschwerde vom 26.05.2014 gefragt. Damals hatte die Gruppe eine Liste mit 369 Standorten von Videoüberwachungsanlagen in Frankfurt (insgesamt ca. 820 einzelne Kameras) übermittelt, mit denen Straßen und Plätze in Frankfurt überwacht werden. Mehr als fünf Jahre danach war leider festzustellen: Nach den Rückmeldungen aus der Behörde wurden nur 142 der 369 Standorte von Überwachungskameras abschließend geprüft. Dies entspricht 38,5% aller Anlagen. Die bislang letzte Rückmeldung ging ein am 10.09.2018. Seitdem herrscht „Funkstille“. Und diese „Funkstille“ dauert bis zum Tag der Verabschiedung von Herrn Ronellenfitsch an.
4.
Am Ende des Interviews wird Ronellenfitsch gefragt: “Und welcher Song passt für die Pläne, die Sie von jetzt an haben?“ Seine Antwort: „Rock ’n’ Roll is here to stay.“
Dem ist unbesehen zuzustimmen!
Die Mitglieder der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main gratulieren Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch und allen Datenschutz-interessierten Menschen in Hessen zum Ausscheiden aus dem Amt als Datenschutzbeauftragter des Landes Hessen. Herrn Ronellenfitsch wünschen wir aus diesem Anlass gute Gesundheit, ein langes Leben und noch viel Freude an seiner E-Gitarre und am Rock ’n’ Roll.
Unsere Stellungnahme habe ich eben nochmal separat an die FR geschickt, wg der Berichterstattung auf den Seiten F18/F19 in der heutigen Ausgabe der FR
LG
Uli