„Das ist #Spahnsinn“ – Datenschützer kritisieren die Pläne von Gesundheitsminister Spahn zur elektronischen Übertragung von Krankheitsdaten
Seit wenigen Tagen liegt ein Referentenentwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vor. Datenschützer und Patienten sind alarmiert: „Bundesgesundheitsminister Spahn will eine auf zentralen Servern liegende ‚elektronische Patientenakte‘ mit Zugriff sowohl über die Gesundheitskarte und ihre Telematikinfrastruktur, als auch über das Internet.“ erklärt Dr. Silke Lüder vom Bündnis Stoppt die E-Card. „Das bedeutet eine gigantische Sammlung sensibler Daten auf einem zentralen Server – für Datendiebe ein extrem attraktives Ziel mit hohem finanziellen Wert. Patienten, deren Daten dort gespeichert werden, werden quasi enteignet“. Außerdem bergen beide Zugriffswege Risiken: Der Zugang über die Gesundheitskarte erfordert ein zentrales Register aller vorhandenen elektronischen Akten in der Telematik-Infrastruktur. So kann man leicht nachprüfen, welche Versicherten keine elektronischen Akten haben. Bei Versicherten mit elektronischer Akte kann man über dieses Zentralregister mindestens feststellen, wo ihre Akte zu finden ist.
Der nun zusätzlich vorgesehene Zugang per Smartphone oder Tablet über das Internet bedeutet offene Schnittstellen in der Telematikinfrastruktur, welche aus Sicherheitsgründen als geschlossenes Netz geplant war. Damit vervielfältigt sich die Gefahr unbefugter Zugriffe auf die elektronischen Patientenakten. Die übertragenen Daten auf den oft unzureichend gesicherten Mobilgeräten sind weiteren Gefahren ausgesetzt: Zugriffe durch Schadsoftware, Staatstrojaner und persönliche Assistenten (wie z.B. Cortana oder Siri) der Internet-Konzerne.
Auch die Einwilligungsregelung soll sich ändern: Mit der Übertragung von Daten in die elektronische Akte durfte bislang erst begonnen werden, wenn der Betroffene gegenüber einem Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeuten oder Apotheker eingewilligt hatte und die Einwilligung auf der Gesundheitskarte dokumentiert war. Dies setzte voraus, dass die Patienten auch tatsächlich in der Lage sein mussten, ihre Entscheidung bewusst und in Kenntnis der Risiken einer Offenlegung ihrer Daten zu treffen – was bei Kranken und Hilfsbedürftigen nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Nach dem Gesetzentwurf soll nicht einmal diese Möglichkeit mehr gegeben sein. Denn die Patienten sollen ihre Zustimmung auch pauschal auf anderen Wegen oder nur gegenüber der Krankenkasse erklären können. Dies macht es schwer nachvollziehbar, ob tatsächlich eine Einwilligung vorliegt oder ob sie eventuell sogar widerrufen wurde.
Außerdem soll eine „elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ (eAU) eingeführt werden. Das bedeutet, dass alle Angaben, die bisher vom Versicherten auf Papier an die Krankenkasse geschickt wurden, künftig unter Angabe der Diagnose über eine Telematikinfrastruktur geleitet werden sollen. Der Versicherte hat so keine Möglichkeit, sich gegen diese elektronische Übertragung sensibler Daten zu entscheiden.
„Die zentrale Speicherung mit Online-Zugang im Browser, ohne ausreichende Verschlüsselung vereint das Schlechte aus zwei Welten“ fasst Anwalt und IT-Fachmann Jan Kuhlmann, Vorsitzender des Vereins Patientenrechte und Datenschutz e.V., zusammen. „Die beabsichtigte Einwilligungsregelung und eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gefährden die informationelle Selbstbestimmung des Versicherten. Wir bewerten diese Vorschläge als #Spahnsinn“.
Die Stellungnahme wird unterstützt von:
Die Aktion „Stoppt die e-Card“ ist ein breites Bündnis von mehr als 50 Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützern, Patienten und Ärzteverbänden. Die Bündnispartner sehen in der elektronischen Gesundheitskarte eine Gefahr für die ärztliche Schweigepflicht, die informationelle Selbstbestimmung der Bürger und für eine gute medizinische Versorgung. Das Bündnis ist seit 2007 aktiv.
dieDatenschützer Rhein Main – eine lokale Gruppe des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und Partner der Aktion: Stoppt die e-Card! Die aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind u. a. die unzulässige Videoüberwachung des öffentlichen Raums; die elektronische Gesundheitskarte (eGK) und die Digitalisierung des Gesundheitswesens, der Sozialdatenschutz, z.B. bei Job-Centern und die Überwachung durch Geheimdienste und andere staatliche Stellen.
Die Digitale Gesellschaft e.V. hat sich der gerechten und demokratischen Teilhabe aller Menschen am digitalen und vernetzten Zeitalter verschrieben. Wir setzen uns gegen einseitige Sicherheits- und Urheberrechtspolitik, für Transparenz und Fairness, gegen Hinterzimmerlobbyismus und für Nutzerrechte ein. Wir wollen Grund- und Freiheitsrechte in der digitalen Welt verteidigen und ausbauen.
Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) ist ein Verband, der den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und zählt mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland Dietrich, Dermatologe in Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige Medizin, bei der Patient und Arzt im Mittelpunkt stehen und die ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleibt.
Die Humanistische Union e. V. – Landesverband Berlin-Brandenburg ist eine unabhängige Bürgerrechtsorganisation. Seit unserer Gründung 1961 setzen wir uns für den Erhalt und Ausbau der Grundrechte in Deutschland ein. Wir sind für die Durchsetzung des Rechts auf selbstbestimmtes Leben und Sterben. Der Landesverband engagiert sich für eine Unabhängige Polizeibeauftragte, ein demokratisches Versammlungsrecht. Sie lehnt das Volksbegehren für mehr Videoüberwachung ab.
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. Aktiv, streitbar, couragiert und – wenn menschenrechtlich geboten – zivil ungehorsam engagiert sich das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Im Themenbereich „Gesundheitssystem / Bioethik“ treten wir für Datensouveränität und Patient*innenrechte ein und haben uns u.a. kritisch mit Big Data im Gesundheitswesen und der e-Card auseinander gesetzt.
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
Patientenrechte und Datenschutz e.V. ist ein Zusammenschluss von Mitgliedern gesetzlicher Krankenkassen, die die elektronische Gesundheitskarte und die geplante Vernetzung im Gesundheitswesen, die sog. “Telematikinfrastruktur”, aus Datenschutzgründen kritisieren.
Thure von Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin Auf der Suche nach einem passenden Modell, um die Spaltung der Medizin in eine für seelenlose Körper und eine für körperlose Seelen zu überwinden, haben sich in der Akademie Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Fachrichtungen zusammen getan. In Regionalgruppen, Workshops, Modellwerkstätten und Tagungen werden die Grundgedanken des entstehenden Modells (wissenschaftstheoretische Ansätze der Semiotik, des Konstruktivismus und der Systemtheorie) vertieft, diskutiert und in ihrer Brauchbarkeit überprüft. Ziel ist die Entwicklung einer Theorie der Humanmedizin, die die individuelle Wirklichkeit der Beteiligten reflektiert.