Fulda: Eine Anfrage zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum und die Antwort des Magistrats
Dürfen Gäste eines Lokals mit Außengastronomie von einer städtischen Videoüberwachung aufgenommen werden? Um diese datenschutzrechtliche Frage zu klären, hat die Fraktion Die Linke.Offene Liste in der Stadtverordnetenversammlung von Fulda eine Anfrage an den Magistrat gestellt.
Quelle: Gremieninformationssystem der Stadt Fulda (dort S. 8)
Unter mehreren Gesichtspunkten interessant ist die Antwort (im verlinkten Dokument S. 16) des Fuldaer Bürgermeisters Dag Wehner (CDU):
Zu Frage 1 „Welche Außenbereiche welcher Gastronomiebetriebe liegen im Aufnahmeradius solcher Kameras?“ informiert er, dass drei Bereiche in Fulda von Videokameras der Stadt überwacht (Borgiasplatz / Steinweg / Jesuitenplatz; Universitätsplatz; Bahnhofsplatz) und dass von diesen Kameras auch die Außenflächen von insgesamt 15 Gastronomiebetrieben erfasst werden.
Zu Frage 2 „Wie wird verhindert, dass Menschen, die diese Gastronomiebetriebe besuchen, von diesen samt Kameras erfasst bzw. beobachtet werden?“ antwortete der Bürgermeister: „Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung ist § 14 Abs. 4 Nr. 1 HSOG. Danach können die Gefahrenabwehrbehörden unter den dort genannten Voraussetzungen zur Sicherung öffentlicher Straßen und Plätze mittels Bildübertragung offen beobachten und aufzeichnen. Die Videoüberwachung auf den öffentlichen Plätzen im Innenstadtbereich der Stadt Fulda dient zur Prävention und Aufklärung von Straftaten und soll den Bürgerinnen und Bürgern, die die öffentlichen Plätze aufsuchen, mehr Sicherheit vermitteln. Personen, die sich auf den Plätzen im öffentlichen Bereich aufhalten, werden von den Kameras erfasst. Dies betrifft auch die sondergenutzten Bereiche der Außengastronomie, die dadurch ihre Eigenschaft als öffentliche Straße oder öffentlicher Platz nicht verlieren. Die Gefahrenabwehrbehörde erachtet die Überwachung auch als verhältnismäßig, da die Videoüberwachung nicht in einen privaten Bereich eindringt. Das Persönlichkeitsrecht der Besucher der Außengastronomiebetriebe ist durch die Videoüberwachung nicht stärker betroffen als wenn sie sich auf der überwachten Straße oder dem überwachten Platz bewegen würden. Die Außengastronomiebereiche sind ohne weiteres durch jedermann einsehbar und vermitteln nicht den Eindruck eines Privatbereichs. Auch ein vor Ort anwesender Polizei- oder Ordnungs-polizeibediensteter könnte die Bereiche entsprechend einsehen. Der Schutzbereich des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs wird durch die Überwachung nicht tangiert, da dieses Grundrecht keinen Anspruch auf einen unbeobachteten Außengastronomiebereich auf einer öffentlichen Fläche vermittelt.“
Eine rechtlich durchaus fragwürdige Argumentation:
- Die Bedingung für Videoüberwachung öffentlicher Plätze, auf die sich die Stadt Fulda beruft, lautet: „Die Gefahrenabwehrbehörden können mittels Bildübertragung offen beobachten und aufzeichnen 1. zur Sicherung öffentlicher Straßen und Plätze, auf denen wiederholt Straftaten begangen worden sind, sofern tatsächliche Anhaltspunkte für weitere Straftaten bestehen…“
- Ob legal durch kommunale Satzung und/oder Vertrag an private Gastronomiebetreiber üerlassene öffentliche Verkehrsflächen noch in den Geltungsbereich des § 14 Abs. 4 Nr. 1 HSOG fallen, erscheint mindestens zweifelhaft. Denn die Überwachung durch die Kommune greift erstens in das Hausrecht der Betreiber*innen der Gastronomiebetriebe ein. Und zweitens bewegen sich Besucher*innen dieser Gastronomiebetriebe deshalb in einem Bereich, der nicht mehr dem uneingeschränkten Verfügungsrecht der Kommune unterliegt.
- Auch technisch wäre es mit nur geringen Aufwand möglich, die Außenbereiche der Gastronomiebetriebe aus dem Schwenkbereich der Kameras auszublenden und/oder die Aufnahmen dieser Bereich vor einer Einsichtnahme oder gar Speicherung durch kommunale Ordnungskräfte oder die Polizei zu verpixeln.
Positiv an der Antwort des Fuldaer Bürgermeister: „Wir haben Ihre Anfrage allerdings zum Anlass genommen, zu dieser Frage eine Stellungnahme des Hessischen Datenschutzbeauftragten einzuholen.“ Dessen Antwort dürfte nicht nur für Fulda von Interesse sein.
Wünschenswert wäre, wenn das Beispiel aus Fulda Schule machen würde und Anfragen dieser Art auch in anderen Stadt- und Gemeindeparlamenten gestellt würden.
Wurden die Inhaber der Gastronomiebetriebe (=Betroffene) im Rahmen der Beratungen vor der Beschlussfassung bzw. vor Installation der Überwachungseinrichtungen BETEILIGT?
Wie werden die Gäste unübersehbar und in verständlicher Sprache darüber informiert, dass sie sich in einem GEFAHRENBEREICH aufhalten?
Sind Getränke und Speisen in diesem GEFAHRENBEREICH (Außenbereich) dort günstiger (Bonus-Aspekt), weil man durch den dortigen Aufenthalt ein großes Risiko eingeht?
Erstatten die CDU bzw. die Stadt, die dadurch entstehenden Umsatzverluste für die Gastronomen?
Wie wurde die Ausbildung und die Ausstattung des Bedienungspersonals an die NEUE GEFAHRENLAGE angepasst.
Tragen diese Schutzkleidung, Helme oder ähnliche Ausstattungen zu ihrer eigenen Sicherheit?
Ach ja, den geplanten Wochenendtrip nach Fulda verschieben wir dann mal besser solange, bis die städtischen ANGSTMACHER abgewählt wurden oder sich die „Sicherheitslage“ wieder entspannt hat.
Dazu ein kleiner Buchtipp:
Das Buch gibt es übrigens auch in dortigen Buchhandlungen
Trügerische Sicherheit
Wie die Terrorangst uns in den Ausnahmezustand treibt
von
Schaar, Peter (Anm.: ehem. Bundesdatenschutzbeauftrager; er weiß also, von was er redet!)
http://www.dombuchhandlung-fulda.de/product/3000000222872/Sach–und-Fachbuecher_Sachbuecher/Peter-Schaar/Truegerische-Sicherheit
Abschließende Frage:
Wie teuer ist eigentlich diese TOURISMUS-Fördermaßnahme;
durch einmalige bzw. regelmäßige Beiträge?
„Während das Risiko, Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden, bei nur 1:27,3 Millionen (0,0000037 Prozent) liegt, kommt einer Studie von Canada Life (2015a) zufolge eine von 110 Personen (0,91 Prozent) an den Folgen einer ungesunden Ernährung ums Leben. Das Risiko, an den Folgen regelmäßigen Rauchens zu sterben, liegt bei 1:180 (0,56 Prozent). 81 Prozent unterschätzen das Todesrisiko durch ungesunde Ernährung und 72 Prozent unterbewerten das Risiko, an den Folgen von Tabakkonsum zu sterben, aber 79 Prozent der Menschen überschätzen das Risiko eines Terroranschlags (Canada Life, 2015b).“
Na, da haben wir doch den Grund für die Videoüberwachung! Die Gastronomen scheinen schlechtes Essen zu servieren.
Ich frage mich allen Ernstes, ob die ganzen Entscheidungsträger nur noch mit ihren subjektiven Angstgefühlen Entscheidungen treffen oder warum das Ganze so ausartet? Mit Zahlen ist das nicht zu belegen. Oder hören die auch nur auf das politische und lobbyverseuchte Gerede von ganz oben?
Und mit welcher Mühe die Grenzen dieser Überwachungsgesetze ignoriert oder gedehnt werden, lässt nur darauf schließen, dass in ein paar Jahren der höchstpersönliche Lebensraum auch zur Öffentlichkeit erklärt wird. Die Wohnung liegt ja innerhalb der Stadtgrenzen – zack – Kamera hängt in jedem Raum. Naja, in vielen Wohnzimmern ist das jetzt schon der Fall, ein Live-Zugriff wird dann schnell alternativlos.
Inzwischen wünsche ich mir fast, Orwells Vision wäre Realität. Dort waren die technischen Möglichkeiten begrenzter…