Zukunftsvisionen in der Gesundheitspolitik
Die Möglichkeiten, die ein universeller Zugriff auf unsere medizinischen Daten bietet, macht manche Akteure auf der poltischen Bühne schier blind vor Visionen. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), ist so fasziniert vom Segensreichtum dieser Möglichkeiten, dass er dem Patienten gar das Recht absprechen will, sich diesem Segen zu entziehen. Er meinte auf der Tagung „Innovation für mehr Sicherheit“ der Techniker Krankenkasse, es dürfe nicht vom Good Will des Einzelnen abhängen, ob seine medizinischen Daten ausgewertet werden. Ferner: „Wir müssen eine Debatte darüber beginnen, ob der Patient der Sammlung seiner Daten widersprechen darf.“ Hier würden die schlimmsten Alpträume der Gegener einer völlig enthemmten Datensammlung war werden. Die Visionen des Herrn Hecken haben gar Huxleysche Dimensionen, würde sie doch genau in die Unfreiheit münden, die dieser in seiner Dystopie „Brave New World“ beschreibt.
Hier erschreckt sogar Überwachungsminister Heiko Maas, der ehedem schon vom Ablehner der Vorratsdatenspeicherung zu ihrem Beführworter wurde. Noch meint er: „Niemand darf gezwungen werden, intime Fitness-Daten Dritten zugänglich zu machen.“ Aber wie lange wird er diesmal brauchen, um umzufallen und Gesetze auf den Weg zu bringen, die genau diesen Zugang Dritter zu intimen Fitnessdaten regeln, mit der Begründung — darf man es auszusprechen wagen — dass man just diese Daten braucht, um Terroristen zu fangen?
Ähnlich visionär kommt Jens Baas, der Chef der Techniker Krankenkasse daher. Er findet die Idee einer elektronischen Patientenakte ganz prima: „In solch einen Datenpool würden nicht nur die Arzt- und Klinikinformationen für jeden Patienten einfließen, sondern auch jene Daten, die immer mehr Menschen über ihre Fitness-Armbänder, digitalen Armbanduhren und andere tragbaren Messgeräte sammeln, die mit dem Internet verbunden sind. Die Kasse (oder auch der Arzt) soll die Daten dazu nutzen können, die Versicherten besser zu betreuen, den Medikationsplan zu überwachen, eine bessere Therapie zu empfehlen oder auch bloß mehr Sport, mehr Bewegung oder eine andere Ernährung. Diese elektronische Akte soll dem Patienten gehören, er soll jederzeit auf sie Zugriff haben und sie mitnehmen können, wenn er die Kasse wechselt.“
Kein Wort über nicht vorgesehenen Mißbrauch durch Datendiebe, die es sicher geben wird, weil diese Datendossiers umso wertvoller werden, je reichhaltiger sie sind. Multipliziert mit 70 Millionen Versicherten entsteht hier eine Summe, die die Restchance, dass sich kein Datenfreibeuter findet, der sich diesen Schatz für finstere Zwecke aneignet, gegen Null gehen läßt. Mindestens so gruselig ist aber auch die Naivität der Befürworter bezüglich der vorgesehenen Verwendung, wie sie aus der Feststellung spricht, dass der Patient die Akte mitnehmen können soll, wenn er die Kasse wechselt. Längst schon ist das System nämlich so konstruiert, dass eine bessere Beschreibung ist, dass die Akte ihn verfolgen wird, selbst wenn er die Kasse wechselt. Durch eine neue, lebenslang gültige Krankenversicherungsnummer hat er nämlich nicht einmal mehr diese Möglichkeit, seine Krankengeschichte abzustreifen, um sich von einer diskriminierenden Diagnose in seiner fernen Vergangenheit zu lösen. Wahrhaft keine schöne neue Welt.
Links:
https://twitter.com/hashtag/Wearables?src=hash
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/02/10/Politiker-und-verbraucherschuetzer-kritisieren-vorschlage
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gesundheit-silicon-valley-oder-barmbek-1.2854223
Problem: Die Infrastruktur, usw. ist bereits ausgerollt und etabliert. Das kann und wird man nie wieder zurückfahren können. Das größte Problem ist die absolute Gleichgültigkeit bezüglich dieser Themen und es ist nicht möglich einem Bürger, der sowieso schon „Politikverdrossen“ ist auch noch das Thema Datenschutz näher zu bringen. Empört sind alle. Machen tut keiner was. Und das kann und wird sich auch nie ändern, so lange Profitorientiertes Streben dahinter steht.
So einfach und erschreckend ist leider die Wahrheit. Habe ich resigniert? Nein. Aber das sind leider die Fakten.