Wiesbaden: Kommunales Jobcenter bremst mit der Kostenschere die kommunale Informationsfreiheitssatzung aus

Transparenz/ Februar 10, 2023/ alle Beiträge, Hessische Landespolitik, Informationsfreiheit / Transparenz, Jobcenter Wiesbaden/ 0Kommentare

Am 01.01.2023 trat die kommunale Informationsfreiheitssatzung der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden in Kraft.

Ein an sozialpolitischen Fragestellungen interessierter Bürger hat die neu gewonnene Möglichkeit genutzt, sich Informationen zu verschaffen. In einer E-Mail an die Leitung des kommunalen Jobcenters der Stadt Wiesbaden beantragt er „mir sämtliche Arbeits- bzw. Dienstanweisungen des kommunalen Jobcenters der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Bearbeitung von Anträgen und sonstigen Anliegen von Bürger/innen, die Leistungen nach SGB II beantragen oder bereits beziehen, in elektronischer Form, ggf. als PDF-Dateien, zur Verfügung zu stellen…“

Hilfsweise verwies er darauf, dass ihn insbesondere neun konkret benannte Arbeits- bzw. Dienstanweisungen interessieren, nämlich

  1. Bearbeitung eines Antrags auf Leistungen nach SGB II und die dabei zu beachtenden Fristen,
  2. Umgang mit akut mittellosen Antragsteller/innen,
  3. Entgegennahme und Bearbeitung von Unterlagen, die Antragsteller/innen persönlich abgeben oder die sie dem Jobcenter zusenden,
  4. Prüfung der Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten (KdU),
  5. Umgang mit Wohnraumbeschaffungskosten (Kaution / Wohngenossenschaftsanteil),
  6. Verfügbarkeit und Nutzung von Dolmetscherdienstleistungen,
  7. den Ermittlungsdienst des Jobcenters,
  8. Hausverbotsregelung(en) und
  9. die Tätigkeit der Widerspruchs- bzw. Rechtsbehelfsstelle des Jobcenters und die dabei zu beachtenden Fristen.“

Seinen Antrag und den nachfolgenden Schriftwechsel mit der Behörde stellte er der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main für eine Veröffentlichung in anonymisierter Form zur Verfügung.

Das Jobcenter Wiesbaden reagierte schnell; für den Anfrager aber unerwartet. Ihm wurde mitgeteilt, dass er – sollte er tatsächlich sämtliche Arbeits- bzw. Dienstanweisungen erhalten wollen – mit Kosten von 2.100 € rechnen müsse, die aber wg. der Verwaltungskostensatzung auf 500 € begrenzt seien. Sollte er seinen Auskunftsanspruch auf die neun genannten Dokumente beschränken, müsse er immer noch mit Kosten von 180 – 240 € rechnen.

Der Bürger erklärte daraufhin: Als langjährigem Sachbearbeiter im Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt ist mit bekannt, dass hier alle Arbeits- und Dienstanweisungen bezogen auf die Sozialgesetzbücher I, VIII, X, XI, XII und auf andere in der Sachbearbeitung zu beachtende Rechtsgrundlagen den Sachbearbeiter*innen und ihren Vorgesetzten in übersichtlicher und systematischer Form als pdf-Dateien im Intranet des Amtes für einen unkomplizierten und schnellen Abruf zur Verfügung gestellt werden. Sollte es in Frankfurt eine kommunale Informationsfreiheitssatzung geben (noch gibt es sie nicht) und ein Frankfurter Bürger auf die Idee kommen, die von mir genannten neun Dokumente beim Jugend- und Sozialamt anzufordern, wäre ich als Sachbearbeiter in der Lage, diese in deutlich weniger als 30 Minuten im Intranet des Amtes aufzufinden, die pdf-Dateien in eine E-Mail einzufügen und diese an den anfragenden Bürger zu versenden. Ihrer Darstellung muss ich entnehmen, dass das Jobcenter der Stadt Wiesbaden diesen Stand von Bürokommunikation und -organisation noch nicht erreicht hat, sondern anscheinend noch im Stadium einer öffentlichen Verwaltung verharrt, die von Stehpulten, Tintenfässern, Federkielen, handschriftlicher Bescheiderteilung und nicht hinreichend gepflegten Archiven geprägt ist.“ Als Zeichen seines Verständnisses für die Arbeitssituation im Jobcenter Wiesbaden reduzierte er seinen Antrag auf nur noch drei konkret benannte Arbeits- bzw. Dienstanweisungen.

Wieder reagierte die Verwaltung schnell. Sie reduzierte den Kostenrahmen für das reduzierte Auskuftsbegehren auf 60 – 120 €.

Der betroffene Bürger und die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main stellen dazu fest:

  • Die Wiesbadener Informationsfreiheitssatzung wird in ihrem Sinngehalt konterkariert durch ein Verwaltungshandeln, wie es das kommunale Jobcenter der Stadt Wiesbaden exekutieren möchte.
  • Einzelne Bürgerinnen und Bürger, aber auch Bürgerinitiativen, die im Regelfall nicht über größere Geldmittel verfügen, werden mit der Geldschere daran gehindert, ihre Rechte aus der Informationsfreiheitssatzung wahrzunehmen. Insbesondere Menschen, die selber Leistungen vom Sozialamt oder Jobcenter beziehen oder diese beantragen wollen oder müssen, sind damit komplett vom Informationsfreiheitsanspruch ausgenommen.
  • Das Verwaltungshandeln des Jobcenters widerspricht auch dem Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetz (HDSIG), auf das sich die Wiesbadener Informationsfreiheitssatzung ausdrücklich stützt. In § 88 Abs. 1 HDSIG wird zu den Kosten von Auskunftsersuchen geregelt: Die Gebühren sind auch unter Berücksichtigung des Verwaltungsaufwandes so zu bemessen, dass die antragstellenden Personen dadurch nicht von der Geltendmachung ihres Informationsanspruchs nach § 80 Abs. 1 abgehalten werden.“

Der Bürger hat sich dafür entschieden, seinen Informationsfreiheitsantrag vorerst zurückzustellen, den Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftragten über den Schriftwechsel zu informieren und diesen um eine Stellungnahme zu den von der Stadt Wiesbaden geplanten Kostenregelungen zu bitten.


Für Tätigkeiten aufgrund dieses Gesetzes werden keine Kosten (Gebühren und Auslagen) oder sonstigen Entgelte erhoben“

Diese Position nimmt der frühere Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, in seinem im Oktober veröffentlichten Entwurf für ein Landestransparenzgesetz (dort § 14) ein. Die gleiche Regelung findet sich im Entwurf für ein Bundestransparenzgesetz (auch dort § 14), der 2022 von dem zivilgesellschaftlichen Bündnis für ein Bundestransparenzgesetz (FragdenStaat, Netzwerk Recherche, Mehr Demokratie e.V., Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit, Transparency International Deutschland, Abgeordnetenwatch, Lobbycontrol, Wikimedia Deutschland, Deutscher Journalisten-Verband) veröffentlicht wurde.

Diese Forderung muss auch für Informationsfreiheit und Transparenz der öffentlichen Verwaltung in Hessen gelten!


Informationsfreiheit und Transparenz – ein Blick nach Hamburg!

Als Behörde nach Bundesrecht veröffentlicht das Jobcenter Hamburg auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) alle seine Arbeits- und Dienstanweisungen auf seiner Homepage in einer auch für Laien gut verständlichen und nutzbaren Form..

Am 06.10.2012 ist das Hamburgische Transparenzgesetz (HmbTG) in Kraft getreten. Es regelt nicht nur, wie Anträge auf Informationen gestellt werden können. Zudem verpflichtet es die öffentliche Verwaltung in Hamburg zusätzlich, eine Vielzahl von Dokumenten und Daten kostenfrei online zur Verfügung zu stellen. Gemäß § 2 Absatz 6 HmbTG ist das „Informationsregister ein zentral zu führendes, elektronisches und allgemein zugängliches Register…“. Dieses Register ist das Kernstück des neu geschaffenen Transparenzportal Hamburg, das alle nach dem HmbTG zu veröffentlichenden Informationen enthält. Seit dem 1. Oktober 2014 steht es online zur Verfügung.

 

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