Videoüberwachung und Waffenverbotszone im Frankfurter Bahnhofsviertel – eine polizeiliche „Erfolgs“-Erzählung mit blinden Flecken

CCTV-NeinDanke/ Juli 11, 2024/ alle Beiträge, Videoüberwachung, Videoüberwachung in der Region/ 0Kommentare

Bilanz nach sechs Monaten… Mit Hilfe neuer Kameras 300 Straftaten aufgeklärt“ – so fasst die Hessenschau am 07.07.2024 in einer Überschrift zusammen, was die Frankfurter Polizeiführung mitzuteilen hat; Erfolge in der Aufklärung krimineller Delikte:

  • …Straftaten wie Körperverletzung, Diebstahl, Drogenhandel und Straßenraub…
  • Bis Anfang Juli seien Aufnahmen der Videoschutzanlagen (VSA) in 580 Fällen ausgewertet worden. In 302 Fällen konnten demzufolge Tatverdächtige identifiziert werden…
  • Die Zahlen sprechen für sich und zeigen eindrucksvoll, wie die Aufnahmen solcher VSA in einem stark kriminalitätsbelasteten Bereich zur Tataufklärung und zu einer beweisgesicherten Strafverfolgung beitragen können.”

Ja, „zur Tataufklärung und zu einer beweisgesicherten Strafverfolgung“ können die Videoüberwachungskameras einen Beitrag leisten. Was in der Bilanz der Polizei bzw. im Beitrag der Hessenschau aber fehlt, sind Hinweise auf folgende Sachverhalte:

  • Durch die neu installierten Kameras wurde keine einzige Straftat wie Körperverletzung, Diebstahl, Drogenhandel und Straßenraub verhindert.
  • Die Überschrift des Beitrags lautet: “…über 300 Straftaten aufgeklärt”, im Text ist dann nur noch „302 Fällen“ die Rede, in denen „Tatverdächtige identifiziert werden“ konnten. Wie viele dieser Tatverdächtigen letztlich von einem Gericht rechtskräftig verurteilt werden, kann derzeit weder von der Polizei noch von anderen Beobachter*innen beurteilt werden.
  • Inwieweit einzelne Deliktgruppen, z. B. der Handel mit illegalen Substanzen, sich in Bereiche außerhalb des Blicks der Videoüberwachungsanlagen verlagert haben, ist aus der polizeilichen Erfolgsmeldung nicht herauszulesen.
  • Interessant wäre auch eine Information dazu, bei wie vielen der genannten über 300 Verdächtigen ein Tatnachweis auch ohne die Videoüberwachung möglich gewesen wäre. Denn viele der Vergehen dürften in die Bereiche unerlaubter Drogen- oder Waffenbesitz fallen.
  • Dass bei Affekthandlungen, dazu zählt ein nicht unerheblicher Teil der Straftaten aus der Deliktgruppe Angriffe auf Leib und Leben, von den Täter*innen Videoüberwachungskameras im Umfeld der Tat nicht oder kaum beachtet werden, gehört ebenfalls zu einem vollständigen Bild. So wurde am 07.03.2024 ein 43-jähriger Rollstuhlfahrer bei einer Auseinandersetzung in der Waffenverbotszone im Frankfurter Bahnhofsviertel unter den Augen der polizeilichen Videoüberwachungskameras erstochen.
  • Auch die Tatsache, dass die Kameraaufnahmen nicht ständig live beobachtet, sondern im Regelfall nur aufgezeichnet werden, gehört zum Gesamtbild.

Insoweit ist auch die von der Polizei verwendete Begrifflichkeit Videoschutzanlage für die Videoüberwachungskameras unzutreffend. Selbst der früher von der Polizei genutzte Begriff Videobeobachtung gibt den Sachverhalt besser wieder: Kameras beobachten und überwachen ein Geschehen, eingreifen können sie nicht. Da mindestens zeitweise nicht beobachtet, sondern nur aufgezeichnet wird, wäre Videoaufzeichnung eine treffendere Bezeichung als Videoschutzanlage.

Aus Sicht der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main ist daher die Frage zu stellen, ob der bereits erfolgte massive Ausbau der Videoüberwachung im Bahnhofsviertel und die von der Polizei erhobene Forderung, dort noch weitere Kamerastandorte einzurichten, zielführend sein kann, um bei den zweifellos vorhandenen Problemen im Bahnhofsviertel eine Lösung, mindestens aber eine Reduzierung zu erreichen.

Videoüberwachungskameras mögen bei einem Teil der Menschen im Bahnhofsviertel ihr subjektives Sicherheitsempfinden erhöhen. Dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aller sich dort aufhaltenden Menschen durch die permanente Kameraüberwachung beeinträchtigt wird, gehört zu einer Bilanz ebenso wie die Tatsache, dass Kameras kriminelles Handeln nicht verhindern.

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