Verteidiger der freien Meinungsäußerung fordern Europaparlamentarier auf, gegen automatisierte Online-Zensur zu stimmen
Die Europäische Union (EU) erwägt eine neue gesetzliche Regelung, welche die freie Meinungsäußerung ernsthaft gefährdet. Mehr als 60 Menschenrechts- und JournalistInnen-Organisationen fordern die Mitglieder des EU-Parlaments auf die Vorlage abzulehnen. Die Verordnung, die im Falle ihrer Annahme in der gesamten EU gelten würde, schafft Anreize für Online-Plattformen, automatisierte Werkzeuge wie Upload-Filter einzusetzen, um Inhalte zu entfernen, die als „terroristisch“ eingestuft werden. Besonders besorgniserregend ist, dass jedes beliebige EU-Land ohne jede Kontrolle oder gerichtliche Überprüfung anordnen kann, dass Online-Inhalte, die irgendwo in der EU gehostet werden, innerhalb einer Stunde entfernt werden. Dies könnte autoritären Regimen, wie denen in Polen und Ungarn, den Weg ebnen, ihre Kritiker im Ausland zum Schweigen zu bringen, indem sie jenseits ihrer Grenzen geltende Entfernungsanordnungen ausstellen und so ihre Gerichtsbarkeit effektiv über ihre Grenzen hinaus ausweiten. Da die Löschungen innerhalb einer Stunde vollzogen sein müssen, wird Online-Plattformen keine andere Möglichkeit bleiben, als diesen Anordnungen nachzukommen, um Geldstrafen oder andere rechtliche Probleme zu vermeiden. Die Verordnung ist auch nicht geeignet, die Unstimmigkeiten zwischen den EU-Ländern darüber, welche Inhalte als Terrorismus, Ironie, Kunst oder journalistische Berichterstattung einzustufen sind, zu klären.
Während der Plenarsitzung vom 26.-29.04.2021 werden die Europaabgeordneten für oder gegen eine Verordnung zum Umgang mit der Verbreitung von terroristischen Inhalten im Internet stimmen müssen.
Ein Internationales Bündnis von mehr als 60 Organisationen, aus Deutschland u.a Amnesty International, Chaos Computer Club, Digitalcourage, Digitale Gesellschaft, Internationale Liga für Menschenrechte und Reporter ohne Grenzen, fordert in einem Offenen Brief an die EU-Parlamentarier*innen, „den Vorschlag abzulehnen, da er eine ernsthafte Bedrohung für die Meinungs- und Redefreiheit, den freien Zugang zu Informationen, das Recht auf Privatsphäre und die Rechtsstaatlichkeit darstellt… Die vorgeschlagene Verordnung hat in ihrer jetzigen Form keinen Platz im EU-Recht.“
Im Offenen Brief werden drei Probleme der beabsichtigten Neuregelung benannt:
- „Der Vorschlag motiviert Online-Plattformen nach wie vor, automatisierte Tools, wie z.B. Upload-Filter, zur Moderation von Inhalten zu verwenden.
- Es bestehen gravierende Mängel bei der unabhängigen gerichtlichen Kontrolle.
- Die Mitgliedsstaaten werden ohne jegliche Kontrolle grenzüberschreitende Entfernungsanordnungen ausstellen.“
Abschließend erklären die unterzeichnenden Organisationen: „Wir fordern das Europäische Parlament dringend auf, diesen Vorschlag abzulehnen, da er die Meinungs- und Redefreiheit, die Freiheit des Zugangs zu Informationen, das Recht auf Privatsphäre und die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft bedroht. Indem er unter dem Vorwand den digitalen Binnenmarkt stärken zu wollen den Rahmen für die Strafverfolgung verzerrt, wird er darüber hinaus einen gefährlichen Präzedenzfall für jede zukünftige EU-Gesetzgebung zur Regulierung des digitalen Ökosystems schaffen. Somit hat die vorgeschlagene Verordnung zum Umgang mit der Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet in ihrer jetzigen Form keinen Platz im EU-Recht.“