Überleben vs. Datenschutz?

Adinfinitumfr/ August 5, 2015/ alle Beiträge, Gesundheitsdatenschutz, Telematik-Infrastruktur/ 5Kommentare

So stellt ein sehr propagandistisch anmutender Artikel auf der Website der Süddeutschen die Alternativen gegenüber, geradeso, als ob der Datenschutz die Menschen tötet.

Deutschland hat die digitale Revolution im Gesundheitswesen bislang verpennt – im Namen des Datenschutzes. Das schadet vor allem den Patienten.“ So mahnt der Autor die Deutschen, doch bitte endlich die Kontrolle über ihre Daten aufzugeben. Ich meine: Dies haben bereits viel zu viele Deutsche getan!

Wenn jeder Arzt die Krankenakte eines Patienten einsehen könnte,“ so meint der Autor, könnte er „diesen entsprechend besser behandeln„. Er verkennt hier vielerlei: Zum einen hat der Arzt meistens überhaupt nicht die Zeit, eine komplette Patienteakte zur Kenntnis zu nehmen und bisher zeichnet es sich ab, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen den Ärzten eben nicht mehr Zeit verschafft, sondern immer mehr ihrer Zeit dafür auffrisst, Dokumentationsarbeit zu leisten. Es ist fragwürdig, ob der Patient davon etwas hat und ob dies nicht vielmehr dem Profit der Gesundheitswirtschaft dient, die hierdurch über einen immer größeren Datenfundus verfügt. Dass dies nicht unbedingt zum Wohle des Patienten dient, soll die gar nicht so ferne liegende Vision eines Gesundheitsscorings illustrieren. Arvato, die Firma, die die Vernetzung im Gesundheitswesen aufbaut, kommt bestimmt nicht auf solche Ideen. Schließlich verdient ihre Tochter Arvato Infoscore ja auch nicht wirklich an klassischem Scoring.

Zum anderen ist dieser universelle Zugriff auf die Patientengeschichte oft gar nicht wünschenswert. Man hat Mühe, sich vorzustellen, wie ein Patient noch eine unabhängige Zweitmeinung einholen soll. Des weiteren kann ein solcher Zugriff auf die Patientenakte sogar tödlich sein. Die Annahme, dass diese nur korrekte Diagnosen enthält, ist nicht haltbar.

Gescheitert ist das Vorhaben an den Ränkespielen der mächtigen Interessensgruppen im Gesundheitssystem,“ klagt der Autor des Artikels in der Süddeutschen. Hier unterstellt er eben mal so, dass die Patienten nur danach lechzen, dass ihre Krankengeschichte universell und möglichst ohne störenden Datenschutz durchleuchtet werden kann. Der Datenschutzgenießt höhere Priorität als die Interessen der Patienten,“ poltert er weiter, als ob die Patienten nicht selbst ein vitales Interesse am Schutz ihrer intimsten Daten hätten.

Endgültig als blinder Fortschrittsgläubiger enttarnt er sich mit der Ansicht, dass „Mediziner und Apotheker jederzeit [anhand eines persönlichen Medikamentenverzeichnisses] kontrollieren [können], ob sich die Medikamente untereinander vertragen oder welche Auswirkungen es hat, wenn ein weiteres verschrieben wird.“ Jeder, der nur ein Fünkchen Ahnung von Biochemie hat, weiß, dass sich so etwas nicht alleine anhand einer Liste von Medikamenten entscheiden läßt, sondern in hohem Maße von der individuellen Biochemie des individuellen Patienten abhängt. Man kann nur beten, dass wir keine Medizin bekommen, die Patienten in erster Linie aufgrund von Medikamentenlisten behandelt. Viel wichtiger ist die Betreuung durch den Arzt, der zur Zeit immer noch die Wirkung eines Medikaments auf den Patienten beobachten muss und mit seiner Fachkompetenz und Erfahrung entscheiden muss, ob der Patient ein Medikament (oder eine Medikamentenkombination) verträgt und nicht, ob sich die Medikamente untereinander grün sind.

Man frägt sich, wie ein derart tendenziöser und datenschutzfeindlicher Artikel zustande kommen kann. Ich bin der Meinung, dass der Patient die Hoheit über seine Daten behalten muss und selbst entscheiden können muss, was damit geschieht. Dies wurde zwar mit dem Projekt eGK ursprünglich versprochen, von diesem Versprechen ist jedoch nichts mehr übrig. Alle können auf die Daten zugreifen, nur der Patient selber nicht. Und das vom Bundesgesundheitsministerium ausgearbeitete eHealth-Gesetz sieht Sanktionen für Patienten vor, die bei diesem System nicht mitmachen wollen. Willkommen in der schönen, neuen Welt!

Links:

http://www.sueddeutsche.de/politik/gesundheit-der-digitale-patient-1.2591921

5 Kommentare

  1. Der Patient muss die Hoheit über seine Daten behalten und selbst entscheiden können, was damit geschieht. Die Umsetzung erfordert die Datenproduktion für einen bestimmten Sektor einer Gesellschaft, entgegen seiner bisherigen Ausrichtung in Hard- und Software, vollkommen umzukrempeln. Das gravierende Problem liegt in der Verallgemeinerung des Begriffs -seine Daten- im Verhältnis zu einer automatisierten Form der Datenproduktion, die verschiedene Typen von Daten produziert: Primärdaten, Sekundärdaten, Metadaten, Maschinen- und Log-Daten. In der hier richtigen gezogenen Konsequenz bedeutet dies, dass die Produktion dieser Daten bereits in jedem eingebetteten elektronisch-digitalen System und in der manuellen Erfassung der Daten im Gesundheitswesen konzeptionell und funktional verändert werden muss! Metadaten (siehe wikipedia) sind Ausdruck des Fortschritts und Sie helfen uns heute den globalen Wissensspeicher auszubauen und zu nutzen, was zu einer enormen Steigerung der Wissensproduktion geführt hat. Metadaten werden auch für die medizinische Forschung gebraucht. Für die richtige Forderung nach der Datenoberhoheit heißt dies dann konkret eine diffizile Grenze für die Produktion von Sekundär- und Metadaten im Gesundheitswesen zu ziehen. Hier schlummert ein vollkommen neuer Aufgabenbereich neue Konzepte für Hochtechnologien zu entwickeln, in die Demokratie und Freiheit unmittelbar integriert wird. Aus den angedeuteten Gründen resultiert die Aufgabe den genutzten Begriff -seine Daten- weiter aufzuschlüsseln und neue Lösungen für die Datenproduktion im Gesundheitswesen vorzuschlagen.

    1. Meines Erachtens muss die Forderung nach Datenhoheit, wie sie ja das Recht auf informationalle Selbstbestimmung zum Ausdruck bringt, auf jeden Fall auch Metadaten und abgeleitete Daten. Wenn ich nicht will, dass unbefugte erfahren, dass ich Bluthochdruck habe, dann will ich auch nicht, dass die Information, dass ich eine diesbezügliche Untersuchung über mich ergehen ließ, in die falschen Hände gerät.

      1. Ja man muss in jedem Fall, bezogen auf das Gesundheitswesen eine andere Regelung für Metadaten finden. In den Medien wird in Artikeln sehr oberflächlich so getan, als wenn die strikte Ablehnung der eGK und TI gleichzusetzen ist mit der Ablehnung von Fortschritt und Telemedizin im Allgemeinen. Das ist typisch, so kommen wir nicht weiter. Unsere Fähigkeiten ermöglichen es uns mit Hilfe unserer Kreativität andere Lösungen zu finden. Was noch unter den Tisch fällt ist folgendes: die echte Wahlfreiheit und echte uneingeschränkte Selbstbestimmung. Das heisst es geht um die Freiwilligkeit in einer Demokratie, die erhalten werden muss. Wenn in jeder elektronisch-digitalen Komponente, in jedem Gerät WLAN zur Cloud eingebaut ist und kein echter Switch Oft Schalter existiert und die eGk erzwungen wird, dann ist dies eine technische Diktatur und keine freiheitliche Demokratie. Das wurde vergessen in dem Zeitungsartikel zu erwähnen.

  2. Bundesgesundheitsminister Gröhe warnt davor, dass bei den Gesundheits – Apps persönliche Gesundheitsdaten ungeschützt ins Internet gelangen könnten …
    Wer denkt denn sowas?
    https://de.nachrichten.yahoo.com/erste-krankenkasse-bezuschusst-fitnessmesser-wie-applewatch-143517174.html
    Das kann selbstverständlich bei der eGK und der IT – Telematikinfrastruktur niemals passieren …

    1. Die Leute von Bertelsmann haben Gröhe bestimmt gesagt, dass die Daten nur bei ihnen sicher sind. Man will sich doch kein Stück vomn Kuchen wegnehmen lasse!

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