Seniorenbeirat der Stadt Frankfurt fordert Recht auf ein analoges Leben ein und Unterstützung von Senior*innen bei der Nutzung digitaler Angebote
Ende Mai 2024 hat sich der Seniorenbeirat der Stadt Frankfurt mit einer „Anregung an die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung“ gewandt, darauf hingewiesen, dass „Im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge… der Kommune eine besondere Verantwortung zu(kommt)“ und gefordert:
- „Älteren Menschen muss die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden.
- Die Bewältigung des Alltags darf nicht beeinträchtigt werden, weil der Zugriff aufs Internet nicht eingeübt ist. Deshalb müssen alle bestehenden Angebote zur Erlangung dieser Kompetenzen unseren älteren Bürger:innen niedrigschwellig angeboten werden, damit die Selbstbestimmung und Autonomie im Alter gestärkt werden…
- Wir betonen das Recht auf ein analoges Leben…“
In der Begründung seiner Anregung stellt der Seniorenbeirat fest:
- „Durch die zunehmende Digitalisierung werden viele ältere Menschen in ihrer Alltagsbewältigung eingeschränkt und von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen. Viele Dienstleistungsangebote werden ausschließlich digital angeboten, z.B. die Terminvergabe bei Behörden und Arztpraxen. Aufgrund der Schließung von Bank- und Postfilialen werden auch diese Dienstleistungen nur noch online angeboten…
- Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft sind deshalb im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge dazu aufgerufen, die digitale Exklusion älterer Bürger:innen ernst zu nehmen und gute digitale wie nicht-digitale Lösungen anzubieten, damit ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben aller Bürger:innen in Deutschland bis ins hohe Alter gewährleistet bleibt…
- Telefonische Erreichbarkeit, Terminvereinbarungen sowie Sprechstunden in Präsenz der unterschiedlichsten Institutionen sollen auch weiterhin analog und nicht nur digital gewährleistet werden.“
Bei seinen Forderungen stützt sich der Seniorenbeirat auf eine Studie der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V. (BAGSO) mit dem Titel „Leben ohne Internet – geht’s noch?“, veröffentlicht im Dezember 2022. Diese Studie ermöglicht erstmals einen umfassenden Einblick, unter welchen subjektiven Ausgrenzungserfahrungen ältere Menschen ohne Zugang zum Internet leiden. Die Rückmeldungen der Betroffenen zeigen, dass hiervon nahezu alle Lebensbereiche betroffen sind.
Als erste Fraktion hat die CDU im Frankfurter Stadtparlament sichtbar auf die Initiative des Seniorenbeirats reagiert. Mit einem Antrag vom 05.06.2024 (NR 959) „Frankfurter Digitaloffensive für Seniorinnen und Senioren“ hat die CDU-Fraktion allerdings das Thema Recht auf ein analoges Leben und die damit verbundenen Anforderungen an eine kommunale Daseinsvorsorge aus ihrem Antragstext verbannt und lediglich in der Antragsbegründung kurz erwähnt.
Im September 2023 kritisierten 24 Migrations- und Sozialberatungsstellen aus Hamburg In einem Offenen Brief die Digitalisierungspolitik der Behörden in der Hansestadt. Sie forderten:
Digitale Zugänge dürfen analoge / direkte Möglichkeiten, sich an Behörden zu wenden, nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
Und Dr. Bernd Lorenz, Fachanwalt für IT-Recht und zertifizierter Datenschutzbeauftragter hat zu dieser Problematik in MMR – Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung unter dem Titel „Das Recht auf ein analoges Leben“ die „Anerkennung eines neuen Grundrechts“ gefordert. Er kommt zum Ergebnis: „Privatpersonen steht ein Recht auf ein analoges Leben als Grundrecht zu. Daraus ergibt sich zum einen das Recht, auf analogem Wege am öffentlichen Leben teilzunehmen. Zum anderen beinhaltet dies das Recht, sich vorzubehalten, im Internet nicht präsent zu sein und nicht namentlich auf Webseiten erwähnt zu werden.“ Und unter der Überschrift „Schnell gelesen …“ fasst Lorenz seine Position abschließend so zusammen:
- „Für Privatpersonen, die nicht am Internet teilnehmen können oder wollen, ist eine analoge Lösung bereitzustellen. Kosten dürfen für diese analoge Lösung nicht erhoben werden.
- Privatpersonen müssen die Möglichkeit haben, Steuererklärungen weiterhin in Papierform einzureichen…
- Eine Abschaffung des Bargelds wäre verfassungswidrig. Auch würde es gegen das Recht auf ein analoges Leben verstoßen, wenn das Bargeld zwar nicht abgeschafft wird, aber keine Möglichkeit besteht, bei Behörden bzw. Unternehmen bar zu bezahlen.“