Rheinland Pfalz: Steht hinter jeder Videoüberwachungskamera im öffentlichen Raum künftig ein Schlapphut vom „Verfassungs“schutz?
Von der demokratischen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, hat die Landesregierung Rheinland-Pfalz (SPD/FDP/Grüne) in den Mainzer Landtag eine Gesetzesnovelle zum Landesverfassungsschutzgesetz eingebracht, die dem Landesamt für „Verfassungs“schutz eine Fülle weiterer Befugnisse einräumt. Am 29.01.2020 hat der Landtag mit der Mehrheit der Regierungsparteien und unter Zustimmung der CDU-Opposition der Gesetzesnovelle zugestimmt.
Wie weit die Schnüffelrechte der Schlapphüte geht, macht schlaglichtartig ein Blick in § 21 (Zugriff auf Videoüberwachungen des öffentlich zugänglichen Raums) des Gesetzes deutlich.
- „(1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 5 unentgeltlich auf verfügbare Einrichtungen zur Videobeobachtung des öffentlich zugänglichen Raums zugreifen. Die Betreiber oder die verfügungsberechtigten Personen haben den Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde auf Verlangen unverzüglich Zutritt zu den Räumlichkeiten, in der sich die Einrichtung befindet, zu gewähren und die Mitbenutzung der Einrichtung zu dulden.
- (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 5 auf gespeicherte Bild- und Tonaufzeichnungen aus Videoüberwachungen des öffentlich zugänglichen Raums zugreifen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in § 5 genannten Schutzgüter vorliegen. Die Betreiber haben der Verfassungsschutzbehörde die relevanten Daten auf Verlangen unverzüglich und unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Die Verfassungsschutzbehörde hat die angeforderten Bild- und Tonaufzeichnungen so weit wie möglich nach Datum, Ort und Zeit einzugrenzen und dies dem Betreiber mitzuteilen.
- (3) …“
Muss man also ab sofort bei jeder Videoüberwachungskamera in Rheinland-Pfalz, die den öffentlichen Raum beobachtet, damit rechnen, dass ein Schlapphut gerade das Geschehen vor der Linse beobachtet oder sich eine Aufzeichnung ansieht? Und das unabhängig davon,ob diese Kamera von öffentlichen oder privaten Stellen betrieben wird und auch unabgängig davon, ob diese Kamera den Kriterien der Europ. Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entspricht oder nicht?
In der Begründung für die Neuregelungen in § 21 Landes“verfassungs“schutzgesetz wird deutlich, wes Geistes Kind die Parlamentarier von SPD, FDP, Grünen und CDU im Mainzer Landtag sind und wie weitgehend die Schlapphüte auch in Eigentums- und Verfügungsrechte eingreifen und Räume und Technik okkupieren dürfen:
„Öffentliche Veranstaltungsorte sowie öffentliche Plätze und Infrastruktureinrichtungen werden zunehmend mit öffentlichen Videoüberwachungsanlagen ausgerüstet… ist in Zeiten einer abstrakt hohen Gefährdungslage durch terroristische Anschläge eine Zunahme von Videoüberwachung an öffentlichen Orten und auf Veranstaltungen mit großem potenziellen Schadensrisiko, wie z. B. bei Volks-festen, Umzügen und Sport- oder Musikveranstaltungen aber auch Infrastruktureinrichtungen wie Bahnhöfen und Flughäfen zu verzeichnen… Die islamistischen Terroranschläge der Vergangenheit haben gezeigt, dass die Täter gezielt den öffentlichen Raum für ihre Anschlagsziele auswählen, um möglichst großen Schaden anzurichten… Die Auswertung der Videoüberwachung kann neben Zwecken der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr nicht zuletzt auch dem positiven Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger dienen. Den Verfassungsschutzbehörden können Video-und Tonaufnahmen darüber hinaus Aufschluss über komplexe Zusammenhänge terroristischer Tatbegehungen und weitere für die nachrichtendienstliche Analyse tragende Erkenntnisse geben… Zur Aufgabenerfüllung… auf verfügbare Einrichtungen zur Videobeobachtung von öffentlich zugänglichen Räumen zugreifen. Öffentlich zugängliche Räume sind örtliche Bereiche, die von jedermann betreten werden können oder bei denen die Zugänglichkeit anhand von allgemeinen Merkmalen bestimmt wird, die von jedermann erfüllt werden können. Beispielhaft sind Konzerte aber auch Bahnhöfe oder Flughäfen zu nennen. Auf eine häusliche Bedachung kommt es nicht an… werden die Betreiber von Einrichtungen zur Videobeobachtung verpflichtet, den Zutritt zu den entsprechenden Räumlichkeiten zu gewähren und die Mitbenutzung der Videobeobachtungsanlage zu dulden. Insoweit besteht eine Mitwirkungsverpflichtung der Betreiber bzw. der über die entsprechenden Räumlichkeiten verfügungsberechtigten Personen… haben die Betreiber die relevanten Daten auf Verlangen unverzüglich und unentgeltlich zur Verfügung zustellen. Es besteht insoweit eine Mitwirkungsverpflichtung.Dabei hat die Verfassungsschutzbehörde, soweit möglich, die angeforderten Bild- und Tonaufzeichnungen nach Datum, Ort und Zeit einzugrenzen und dem Betreiber mitzuteilen…“
Prof. Dr. Dieter Kugelmann, Landesdatenschutzbeauftragter von Rheinland-Pfalz, hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf des jetzt verabschiedeten Gesetzes zu § 21 erklärt:
- „Besonders kritisch ist die neu geschaffene Möglichkeit des Zugriffes auf Videoüberwachungsanlagen des öffentlich zugänglichen Raums zu bewerten. Die Regelung entspricht nicht dem Bestimmtheitsgebot und dem Gebot der Normenklarheit, ist vor dem Hintergrund des Trennungsgebotes verfassungsrechtlich zweifelhaft und auch sicherheitspolitisch nicht überzeugend…
- Im Rahmen von zahlreichen Entschließungen sprechen sich die Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder mehrfach gegen Videoüberwachung und deren Ausweitung aus… Der Grund liegt unter anderem darin, dass mittels Videoüberwachung unzählige Daten Unbeteiligter, die keinerlei Anlass zur Überwachung gegeben haben, verarbeitet werden…
- …ist anzumerken, dass im Bereich der Kontrolle der Videoüberwachung ein aufsichtliches Vollzugsdefizit besteht. Angesichts der erheblichen Anzahl von privaten und öffentlichen Betreibern, die den öffentlich zugänglichen Raum überwachen, ist es dem LfDI und auch den anderen Datenschutzaufsichtsbehörden kaum möglich, durch eine flächendeckende Kontrolle sicherzustellen, dass die Videoüberwachungsanlagen im Einklang mit geltendem Recht betrieben werden. Der von diesen unzulässigen Anlagen ausgehende ungerechtfertigte Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen würde durch die Verwendung der Daten durch die Verfassungsschutzbehörde perpetuiert und vertieft…
- Die in § 21 LVerfSchG-E geregelten Befugnisse… eröffnen der Landesverfassungsschutzbehörde damit den Zugang zu einer nicht bezifferbaren Anzahl von Datenverarbeitungsanlagen, ohne dass dies hinreichend bestimmt und rechtsstaatlich angemessen geregelt wird. Hier wird nicht klar, ob ein Zugriff in Echtzeit oder auch ein Zugriff auf vorhandene Aufzeichnungen gemeint ist. Es ist zum einen nicht klar, ob die Regelung sich an private oder öffentliche Betreiber richtet, ins-besondere auch an solche Videoüberwachungsanlagen von den Polizeibehörden. Dazu ist anzumerken, dass… der Verfassungsschutzbehörde als Ausprägung des Trennungsgebotes keine exekutiven polizeilichen Befugnisse, insbesondere keine Zwangsbefugnisse zustehen…
- Der Vorschrift in der vorliegenden Form mangelt es an der verfassungsrechtlich erforderlichen Bestimmtheit. Neben den Eingriffsschwellen fallen auch die Löschungsregelungen hinter denen des Landesdatenschutzgesetzes oder des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes weit zurück…
- Die Regelung ist ersatzlos zu streichen.“
Dieser Forderung wurde leider nicht entsprochen. Bleibt zu hoffen,
- dass die Zustimmung der Mehrheit des rheinland-pfälzischen Landtags zu dieser und anderen neuen und schwerwiegenden Eingriffsmöglichkeiten des Landes“verfassungs“schutzes in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht ohne Reaktion bleibt und
- dass sich Personen und Organisationen finden, die dazu beitragen, dieses Gesetz einer verfassungsrechtlichen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht und/oder den Verfassungsgerichtshof von Rheinland-Pfalz zu unterziehen.
Kleine Korrektur:
Die Fraktionen von SPD, FDP und Grünen im Landtag haben zu ihrem eigenen Gesetzentwurf kurzfristig noch einen Änderungsantrag eingebracht (Landtagsdrucksache 17/11145),
der zum Thema Videoüberwachung lautet:
Übersetzt in die Sprache und die Realitäten der Jahre 1933 – 1945 lautet diese Bestimmung:
Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 5 unentgeltlich auf verfügbare Einrichtungen privater und öffentlicher Betreiber zur Videobeobachtung des öffentlich zugänglichen Raums in Echtzeit zugreifen.
Ist das keinem der Damen und Herren Landtagsabgeordnete von SPD, FDP und Grünen in Rheinland-Pfalz aufgefallen? Oder ist es ihnen egal?