Privatisierung hoheitlicher Ordnungsaufgaben in Neu Isenburg: Hessische Polizei ignoriert OLG-Entscheidung
Ein Gastbeitrag eines ungenannt bleiben wollenden Verfassers! Die Redaktion dieser Homepage bedankt sich für die Zusendung des Beitrags und die Einwilligung in die Veröffentlichung.
Im Hessischen Neu-Isenburg schickt die Polizei einen privaten Sicherheitsdienst, den Rhein-Main Sicherheitsdienst (RMS GmbH), los um Ordnungsprobleme wie z. B. Ruhestörungen im Stadtgebiet zu unterbinden. Dies ist nach einer Entscheidung des Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/ Main (Beschluss vom 03.01.2020 – Aktenzeichen: 2 Ss-OWi 963/18) rechtlich gar nicht möglich, weil es sich dabei um hoheitliche Aufgaben handelt; der Artikel 33 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ist diesbezüglich sehr eng auszulegen befand damals der zuständige Richter.
In der Bundesrepublik Deutschland dürfen nur behördliche Amts-/ Hoheitsträger, z. B. von Polizei und Ordnungsämtern, in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen, weil nur sie über entsprechende hoheitliche Eingriffsbefugnisse verfügen. Ein privater Sicherheitsdienst verfügt selbst im öffentlichen, kommunalen Auftrag über keine Sonderrechte und hat de facto nur die Rechte die allen Bürgerinnen und Bürgern zustehen: Die sogenannten Jedermannsrechte. Und auch noch wichtig hierbei: Private Sicherheitsdienste sind den Bürgerinnen und Bürgern – im öffentlichen Raum – nicht weisungsbefugt; sie dürfen auch nicht um die Vorlage des Personalausweises bitten oder Platzverweise erteilen. Somit scheidet die angestrebte Feststellung von Ordnungswidrigkeiten durch Private komplett aus.
Nach der o. a. Gerichtsentscheidung ist “public private security“ (private City-Streifen/ Sicherheitsfirmen im Auftrag von Stadt-/ Gemeindeverwaltungen) in Hessen verboten, weil dieses PPP-Modell im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung rechtswidrig ist.
“(…) Laut Polizeidirektor Jürgen Moog benötigen private Sicherheitsdienste auch für ihre bloße Anwesenheit auf öffentlichen Straßen und Plätzen eine rechtliche Grundlage. Die gebe es jedoch nicht. Streifengänge seien laut Gesetz „hoheitliches Handeln“, das alleine der Polizei und Ordnungsbehörden vorbehalten bleibe. Bereits mehrfach habe das hessische Innenministerium diese Auffassung in Schreiben an Städte und Gemeinden klar vertreten. (…)“ (Frankfurter Rundschau, 02.02.2019)
In Neu-Isenburg agieren Polizei & RMS GmbH also eindeutig rechtswidrig (weil ohne rechtliche Grundlage), selbst wenn die private City-Streife die Bürgerinnen und Bürger zu Ordnungsproblemen nur belehrt! (Einleitung/ Intro)
“Mehr Sicherheit im Sommer in Neu-Isenburg durch ‚City-Streife’“
“(…) ‚Am häufigsten haben wir es in den Sommermonaten mit Ruhestörungen zu tun. Dann machen wir auf die schwierige Situation aufmerksam. Manchmal werden wir direkt von der Polizei angerufen, in den meisten Fällen können wir auf unseren Kontrollgängen schon früh einschreiten, bevor Nachbarn oder Anwohner sich beschweren’… (…)“ (of-news.de, 26.07.2023)
“Das Ende der Scheinpolizei“
Mehrere Jahre lang hatte das Ordnungsamt Frankfurt/ Main Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen einfach in Uniformen der Stadtpolizei gesteckt um Falschparker festzustellen und verwaltungsrechtlich zu verfolgen. Etwas “behördliches offizielles“ wurde diesbezüglich den Bürgerinnen und Bürgern einfach vorgetäuscht. Dieser “Frankfurter Schwindel“ flog auf, weil ein Falschparker sich gegen diese Praxis (Bußgeld) gerichtlich wehrte. Am 21.1.20 griff die Süddeutsche Zeitung dieses Thema auf und läutete damit: “Das Ende der Scheinpolizei“ in Frankfurt/ Main ein. Securitas & Co. hatten Jahrelang an diesem rechtswidrigen PPP-Modell prächtig verdient.
Das OLG Frankfurt/ Main stellte mit seinem Urteilsspruch auch klar, dass die Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf private Dienstleister bei der derzeitigen Rechtslage (Art. 33 Abs. 4 GG) in Deutschland nicht möglich ist (Beschluss vom 03.01.2020, Az: 2 Ss-Owi 963/18). Diese Gerichtsentscheidung dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass Anfang Oktober 2022 einem privaten Sicherheitsdienst Streifengänge im Frankfurter Bahnhofsviertel behördlich – nämlich durch die Stadtpolizei in Frankfurt/ Main – verboten wurden. Die private Ordnungspräsenz in der Niddastraße sorgte bundesweit für Aufsehen.
Zudem wird die enge Zusammenarbeit (police private partnership) zwischen Polizei und privaten Sicherheitsdiensten seit Jahren kritisiert: Der Datenschutz kann nicht eingehalten werden, wenn die Polizei ihre privaten Hilfssheriffs z. B. zu häuslichen Ruhestörungen schickt und dazu Adressdaten und andere Informationen an private City-Streifen übermittelt, welche im Endeffekt (als Protokoll) auf PC’s von Sicherheitsfirmen gespeichert werden. Und auch der polizeiliche Neutralitätsgrundsatz dürfte diesbezüglich nicht unerheblich sein, wie vor vielen Jahren in der Bundeshauptstadt diskutiert wurde:
“(…) Wer sich von Angehörigen eines privaten Sicherheitsdienstes falsch behandelt fühlt, sollte im Zweifel immer die Polizei rufen, empfiehlt ein Sprecher der Berliner Polizei. Die hat allerdings zu den privaten Sicherheitsdiensten kein neutrales Verhältnis mehr, denn im März 2002 ist die Berliner Polizei eine so genannte Sicherheitspartnerschaft mit dem privaten ‘Arbeitskreis für Unternehmenssicherheit Berlin-Brandenburg‘ (Akus) eingegangen. (…)“ (Berliner Zeitung, Lokales, 10.09.2003 – zitiert nach Labournet.de),
Die hessische Polizei hat für die Städte Frankfurt/ Main und Wiesbaden mit dem Lobbyverband der Sicherheitswirtschaft, Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) e. V., Kooperationsverträge abgeschlossen, was dieses Thema, die Privatisierung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht einfacher macht; im Bundesgebiet finden sich zahlreiche Kooperationsverträge zwischen der Polizei und der örtlichen Sicherheitswirtschaft (BDSW-Unternehmen) für Städte und ganze Bundesländer.
Die Sicherheitswirtschaft möchte mit Städten und Gemeinden noch stärker ins Geschäft kommen um “am Tropf der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler“ durch stabile öffentliche Aufträge satte Unternehmensgewinne zu generieren. Ein Traum des BDSW: teilprivatisierte Ordnungsämter, welche als public private partnership betrieben werden sollen.
Die Einbindung der Privaten in die polizeiliche Arbeit wirkt nicht nur in Hessen unsicher, wo die Rechtslage eindeutig ist: Die Polizei hat nirgendwo – zu Lasten von Grundrechten der Bürgerinnen und Bürgern – ihre originären Aufgaben auf private Sicherheitsdienste zu übertragen. Die bei vielen Menschen – zurecht – unbeliebte hessische Landesregierung (aktuell Ressort Innenminister Peter Beuth) hat sich zumindest bei diesem Thema, der Privatisierung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, bereits vor Jahren klar positioniert und wird darin, in ihrer Haltung (Aussage von Jürgen Moog s. o.), durch die o. g. OLG-Entscheidung gestärkt.
Die Hessischen Berufsvertretungen (Landesverbände) der Polizei, Gewerkschaft der Polizei & Deutsche Polizeigewerkschaft, hingegen ducken sich auch bei diesem Thema seit Jahren weg, so wie bei allen Affären und Skandalen (z. B. rechtsextreme polizeiliche Chatgruppen, Datenschutz-Skandalen auf Hessischen Polizeidienststellen im Zuge der “NSU 2.0“-Ermittlungen, das aufgelöste Frankfurter SEK, “Hanau-Attentat“ u.v.m.) rund um die Hessische Polizei.
Das “polizeiliche Problembundesland Hessen“ (taz) hat ein neues Problem: Die Privatisierung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in direkter Zusammenarbeit und im Auftrag der Landespolizei – entgegen dem Gesetz und der Rechtsprechung!
Weitere Informationen zum Thema:
“public private security“ sofort stoppen! (Indymedia, 27.05.2023)
Heimsheim: Rechtlicher Befugniswildwuchs bei privater City-Streife (Indymedia, 20.11.2022)
Im Bundesland Brandenburg werden seit einigen Jahren private Sicherheitsdienste in polizeiliche Fahndungen miteinbezogen. Und diese Form der Zusammenarbeit von staatlichen und privaten Ordnungshütern geht vielen Bürger/innen und Politiker/innen zu weit, weil polizeiliche Fahndungen, nach Personen und Sachen, hoheitliche Aufgaben darstellen, welche Eingriffsbefugnisse erfordern. Ursprünglich sollten die Privaten innerhalb dieser Kooperation sogar Zugriffsrechte erhalten.
Die Fraktionsvorstitzende der Bündnisgrünen in Brandenburg, Ursula Nonnemacher, sagte diesbezüglich im November 2018: „Eine Einbeziehung in die Fahndung geht deutlich zu weit“.
Kriminalität: Brandenburger Polizei kooperiert mit privaten Sicherheitsfirmen bei Verbrechensbekämpfung – auch bei Fahndungen (Berliner Zeitung, 15.11.18)
https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/kriminalitaet-brandenburger-polizei-kooperiert-mit-privaten-sicherheitsfirmen-bei-verbrechensbekaempfung-auch-bei-fahndungen-li.9606