Oberlandesgericht Stuttgart erklärt Videoüberwachung in einem Supermarkt für illegal
Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat mit Urteil vom 18.05.2021 (Aktenzeichen: 12 U 296/20) den Inhaber eines Supermarkts dazu verurteilt, die Videoüberwachung der öffentlich zugänglichen Bereiche des Markts einzustellen oder rechtskonform auszurichten. Ein anders lautendes Urteil des Landgerichts Stuttgart wurde aufgehoben.
Was ging der Entscheidung voraus?
Im März 2018, d. h. vor Inkrafttreten der DSGVO, betrat ein Kunde den Supermarkt und stelle fest, dass dort durch Videoüberwachungskameras beobachtet wurde. Da der Kunde keinen Hinweis auf die installierten Kameras fand, mahnte er – unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts – den Inhaber des Ladens ab und forderte ihn auf, künftig nur noch rechtskonforme Videoüberwachung zu betreiben sowie ihm ein Schmerzensgeld für die rechtswidrige Überwachung zu zahlen. Der Ladeninhaber wies die Forderungen zurück. Das Landgericht Stuttgart wies die Klage des Kunden zurück. Diese Entscheidung lies der Kunde nicht auf sich beruhen und erreichte in der 2. Instanz ein bemerkenswertes anderslautendes Urteil.
Interessantes aus der Entscheidung des OLG Stuttgart
Das OLG Stuttgart wies zwar den Schmerzensgeldanspruch des Klägers zurück, entwickelte aber zu den Themen
- Zweckbestimmung von Videoüberwachungsanlagen;
- Anforderung an die Beweislast von Verantwortlichen für Videoüberwachung und
- Anspruch auf immateriellen Schadensersatz wg. rechtswidriger Überwachung
Positionen, die auch über den Einzelfall hinaus von Interesse sind.
Zur Zweckbestimmung von Videoüberwachungsanlagen erklärte das OLG, dass die Feststellung, Videoüberwachung sei erforderlich sei zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung nicht ausreichend sei. Der Verantwortliche müsse prüfen, ob auch mit weniger in die Persönlichkeitsrechte der Kund*innen eingreifenden Maßnahmen (z. B. eine andere Aufteilung des Raumes und der Waren, Spiegel, Kontrollgänge des Personals) der gleiche Zweck erreicht werden könne. Dies müsse im Rahmen eines Verzeichnisses der Verarbeitungstätigkeiten (Art. 30 Abs. 3 DSGVO) auch dokumentiert werden, sowohl schriftlich wie elektronisch.
Zur Anforderung an die Beweislast von Verantwortlichen für Videoüberwachung stellte das OLG fest, dass nicht der Kunde die Illegalität der Überwachung nachweisen müsse, sondern der Betreiber der Videoüberwachungsanlage deren Legalität. Dazu verwies das OLG auf die Rechenschaftspflicht in Art. 5 Abs. 1 DSGVO. Danach muss der Verantwortliche für die Datenverarbeitung die Rechtmäßigkeit dieser Verarbeitung ggf. gegenüber den Datenschutz-Aufsichtsbehörden nachweisen. Das OLG Stuttgart stellt dazu in seinem Urteil fest: „Wenn Art. 5 Abs. 2 DSGVO als spezielles Datenschutzgesetz bestimmt, dass der (für die Datenerhebung) Verantwortliche für die Einhaltung der Rechtmäßigkeit der Datenerhebung… verantwortlich ist und dessen Einhaltung nachweisen können muss, ist nicht ersichtlich, dass diese Pflicht nicht auch gegenüber dem von der DSGVO geschützten Bürger gelten soll. Der Nachweis der Rechtmäßigkeit der Überwachung ist daher auch im Zivilprozess vom Beklagten zu erbringen…“(Rn. 28)
Beim Anspruch auf immateriellen Schadensersatz wg. rechtswidriger Überwachung entwickelte das OLG, unter welchen Bedingungen ein Schadensersatzanspruch bestehen könnte: „Als Nichtvermögenssschaden durch Verstöße gegen das Datenschutzrecht kommen etwa die öffentliche Bloßstellung durch Zugänglichmachung personenbezogener Daten für Dritte, soziale Diskriminierung, Hemmung in der freien Persönlichkeitsentfaltung, Reduzierung des Menschen auf ein Datenverarbeitungsobjekt, psychische Auswirkungen bei der betroffenen Person infolge des Datenschutzverstoßes oder Identitätsdiebstahl bzw. -betrug in Betracht…“ (Rn. 39)
Insgesamt ein Urteil, das geeignet sein kann, die Flut an Videoüberwachungskameras in Einkaufszentren, Supermärkten, Gaststätten, Restaurants und vergleichbaren Einrichtungen einzudämmen. Zuvilgerichtlich dagegen vorzugehen, kann im Einzelfall erfolgreich sein. Allerdings ist zu beachten, dass dabei ein nicht unerhebliches Prozesskostenrisiko vorhanden ist.
Ein anderer Weg, der erfolgreich sein kann, aber keine Kosten verursacht, ist die Beschwerde bei der jeweils zuständigen Datenschutz-Aufsichtsbehörde. Dazu hat die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main nach Inkrafttreten der DSGVO im Mai 2018 Hinweise veröffentlich, die nach wie vor aktuell sind. Sie sind hier nachlesbar.