Nach dem tödlichen Messerangriff in Brokstedt: Hilft Videoüberwachung in Bussen, Bahnen und Bahnhöfen bei Angriffen mit Messern oder anderen Waffen?

CCTV-NeinDanke/ Januar 31, 2023/ alle Beiträge, Videoüberwachung/ 0 comments

Am 25.01.2023 starben zwei Reisende eines Regionalzugs in Brokstedt (Schleswig-Holstein) nach einem Messerangriff eines Mitreisenden.

Nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ aus Kreisen von CDU/CSU und AfD sowie aus Polizeigewerkschaften nehmen dieses tragische Ereignis zum Anlass, einen weiteren Ausbau der Videoüberwachung in Bussen, Bahnen und Bahnhöfen zu fordern. Auch Organisationen wie der Fahrgastverband ProBahn stimmen in diesen Ruf ein. „Wir fordern einen flächendeckenden Ausbau der Videoüberwachung in allen Waggons“, erklärte ein Vertreter von Pro Bahn gegenüber der Zeitung The Epoch Times. Das könne Kriminalität in den Zügen womöglich nicht immer verhindern. „Es hilft aber in jedem Fall, die Täter zu fassen…“

So tragisch, wie dieser tödliche Angriff für die betroffenen Personen und ihr persönliches und familiäres Umfeld ist, muss trotzdem die Frage erlaubt sein:

Kann Videoüberwachung vor Angriffen auf Leib und Leben schützen?

Bedauerlicherweise nicht, wie einige (medial bekannt gewordene) Einzelfälle wie z. B. in Augsburg, Berlin oder Mannheim zeigen. Diese Angriffe fanden unter den Augen von Videoüberwachungskameras statt. Taten im Affekt oder von psychisch kranken Menschen – darum handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle von Angriffen auf unbekannte Dritte – können von Kameras auch deshalb nicht verhindert oder in ihrer Zahl wesentlich reduziert werden, weil Affekt-Taten nicht von rationalem Handeln gesteuert werden. Darauf weisen unterschiedliche Studien zur Wirksamkeit von Videoüberwachung hin:

  • „… auf Gewaltkriminalität hat die Videoüberwachung keinen EinflussDie Überwachung eines Raumes steigert demnach das Entdeckungsrisiko (Erhöhung der Kostenseite) für einen Straftäter.  Dies setzt jedoch voraus, dass ein potentieller Straftäter rational agiert. In der Praxis wird man jedoch sehr schnell feststellen, dass eine Vielzahl der Verbrechen eben nicht Ergebnis rationaler Wahlhandlungen sind, sondern affektuell geprägt sind und/ oder von unbedarften, berauschten Tätern begangen werden. Rational agierende Täter werden die Videoüberwachung vermutlich als eine Erhöhung ihres Entdeckungsrisikos wahrnehmen. Jedoch erscheint die Annahme hierduch Kriminalität zu verhindern wenig plausibel. Vielmehr wird es zu einer Verlagerung der Kriminalität kommen…“ (Veröffentlichung von Prof. Dr. Christian Wickert aus 2020, Dozent für die Fächer Soziologie und Kriminologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen)
  • Argumente für die Videoüberwachung werden aber auch darin gesehen, dass ihr eine abschreckende Wirkung für potentielle Straftäter zugeschrieben wird und dass sie gegebenenfalls die Möglichkeit eines vorbeugenden Einsatzes von Sicherheitskräften bei frühen Gefährdungsanzeichen bietet. Der wissenschaftliche Nachweis eines allgemein kriminalitätsreduzierenden Effekts der Videoüberwachung konnte bisher allerdings nicht überzeugend geführt werden. Für städtische und zentrumsnahe öffentliche Plätze fallen die Effekte sehr unterschiedlich aus, lediglich für die Eindämmung der Kriminalität in Parkhäusern und auf Parkplätzen sowie des Raubes und Diebstahls im öffentlichen Personennahverkehr erweist sich die Videoüberwachung nach bisherigen Befunden als wirksam…“ (Studie des Kriminologischen Forschungsinstitus Niedersachsen aus 2018, dort S. 54)
  • In Stadtzentren und Wohngebieten sowie im öffentlichen Nahverkehr hatte die Videoüberwachung nur geringen oder keinen signifikanten Effekt auf die Kriminalität. Es ergab sich auch kein Erfolg hinsichtlich der Verringerung von Gewaltdelikten.“ (Studie der Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention aus 2005, dort S. 2)

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