Kann Estland Vorbild sein bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens? Fragen an die Kassenärztliche Bundesvereinigung
n der neuesten Ausgabe ihres Magazins Klartext stellt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) unter dem Titel „Gesundheit anderswo: Der Tigersprung der Esten“ (Seiten 28 – 30) mit begeisterten Worten das Gesundheitswesen im EU-Staat Estland vor. Ein Grund, um diese Veröffentlichung gründlich und mit kritischem Blick zu lesen.
Der Beitrag beginnt mit der Feststellung: „In Sachen Digitalisierung ist Estland eines der fortschrittlichsten Länder – in fast allen Bereichen des Gesundheitlichen Lebens.“ Zur Digitalisierung des Gesundheitswesens wird dann wie folgt informiert: „ 2008 trat das Staatliche Regulierungsgesetz für den Austausch von Gesundheitsinformationen in Kraft, demgemäß die einzelnen Leistungserbringer dazu verpflichtet sind, medizinische Daten an die Datenbank des Gesundheitsinformationssystems ENHIS weiterzuleiten. Rund 95 Prozent der estnischen Gesundheitsdienstleister nutzen das E-Health-System. Sie müssen nicht nur alle relevanten Behandlungsdaten erheben und in das System einpflegen, sondern diese im Behandlungskontext auch verwenden…“
Was hier verschwiegen wird: In Estland werden – ebenso wie in Dänemark und Österreich – alle Menschen ohne ihre vorherige Einwilligung mit ihren Gesundheits- und Behandlungsdaten in einem zentralisierten System erfasst. Individuell können sich Menschen, die dies wollen in einem komplizierten Verfahren dann aus diesem System wieder ausklinken. Neudeutsch wird dies Opt-out genannt.
Bei aller Kritik an der e-Health-Politik in Deutschland: Dass hier am Beginn der Datenerfassung immer noch die aktive und Informierte Einwilligung des Patienten in eine zentralisierte Datenerfassung erforderlich ist, bevor diese erfolgen darf (§ 291a Abs. 5 SGB V) – das sogenannte Opt-in–Verfahren – ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass informationelle Selbstbestimmung über die eigenen Gesundheits- und Behandlungsdaten möglich bleibt. Stellt sich die Frage:
Will sich die KBV hier neu positionieren?
Weiter aus dem KBV-Magazin Klartext: „… wurden mit Hilfe von EU-Fördermitteln vier Projekte auf den Weg gebracht: Allen voran steht die elektronische Krankenakte, die Teil des Patientenportals ‚Patsiendiportaal‘ ist. Patienten und Gesundheitsdienstleister haben dort Zugriff auf die online gespeicherten Gesundheitsdaten. Estland ist das weltweit erste Land, in dem flächendeckend eine Akte eingeführt wurde, die alle medizinischen Daten einer Person von der Geburt bis zum Tod enthält. Die Gesundheitsdaten wurden 2009 im Zuge eines Informationsaustausches in das elektronische System ENHIS übertragen. Mittlerweile sind 95 Prozent aller durch Krankenhäuser und Ärzte erhobenen Gesundheitsdaten digitalisiert. Das Portal enthält die individuelle Krankenakte mit Angaben zur Krankengeschichte, Untersuchungsergebnisse, E-Rezepte und Röntgenbilder. Estnische Patienten können jederzeit sehen, wer Einblick in ihre elektronische Akte hat, also beispielsweise welcher Arzt wann den Befund eines Kollegen eingesehen hat. Die Patientenakte ist das Rückgrat für die drei übrigen Projekte, die ihrerseits Informationen in das System einspeisen. Die digitale Bilddatenbank erlaubt es, Röntgenbilder, Fotos oder Videos des Patienten zu speichern und anderen Gesundheitsdienstleistern zur Verfügung zu stellen. Mit dem Online-Tool der E-Registrierung können Termine über das Internet vereinbart, geändert und mit einer Erinnerungsfunktion versehen werden. Künftig sollen damit auch die Wartezeiten überwacht werden… Die Realisierung des vierten Projektes, des E-Rezeptes, mündete in eine nationale Datenbank, über die Verordnungen zwischen Ärzten, Apotheken, Patienten und der Haigekassa versendet und gespeichert werden können. Mithilfe ihres Ausweises können die Esten ein vom Arzt elektronisch verordnetes Medikament selber abholen oder es sich von einer autorisierten Person mitbringen lassen. Heute werden 98 Prozent aller Rezepte auf elektronischem Weg ausgestellt und eingelöst.“
Welche Folgen die vollständige Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens bedeuten kann, wird deutlich in einem Beitrag des Startup Magazins Berlin Valley unter dem Titel „Estland: Pionier bei der Digitalisierung und in Sachen E-Government“:
Quelle: „Estland: Pionier bei der Digitalisierung und in Sachen E-Government“
Ist das die Zukunft, die wir wollen?
Oder ist das der Gläserne Bürger, der Alptraum von Orwells 1984?
Quelle: „Estland: Pionier bei der Digitalisierung und in Sachen E-Government“
Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 15.12.1983 als Grundrecht postulierte Informationelle Selbstbestimmung hat in einem solchen System ausgedient. Wenn erst im Nachhinein festgestellt werden kann, wer wann zu welchem Zweck auf die eigenen personenbezogenen Daten zugegriffen hat, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Datenschutz als Menschenschutz ist dann Vergangenheit.
ad 1: Estland hat kein Grundgesetz in seiner Verfassung verankert, so wie es bei uns der Parlamentarische Rat nach dem 2. Weltkrieg – angesichts der Barbarei der Nationalsozialisten im Dritten Reich – am 23. Mai 1949 in Bonn verabschiedet hatte.
ad 2: Diese dort (im GG) als Grundrecht postulierte Informationelle Selbstbestimmung kann nur mit einer Verfassungsänderung mit 2/3 Mehrheit außer Kraft gesetzt werden.
Gesundheitsdaten von allen Bürgern eines Landes, die nach estnischem Vorbild in einer telematischen Infrastruktur für jeden bereitgehalten werden, sind auch leichte Beute für dunkle Mächte, wie wir sie im Dritten Reich hatten und wie sie auch heutzutage überall in Europa zu beobachten sind. Die vollmundigen Absichtserklärungen aller Gesundheitspolitiker für eine weltweite Verbesserung der Gesundheitsversorgung kann sich sehr schnell ins Gegenteil verkehren, wenn Kosten zu hoch und Resourcen zu knapp werden.
Da nach estnischem Modell alle Bürger in einer Datenbank gelistet sind, kann hier sehr schnell eine Auslese – „die guten ins Töpfchen – die schlechten ….. !!“ – getroffen werden.
DAS hatten wir schon einmal vor gut 70-80 Jahren. Stichwort: Hadamar, Grafeneck, Sonnenstein, Bernburg, Brandenburg, Hartheim und viele andere Orte mehr.
Im 21. Jahrhundert wird dann diese „Entsorgung“ der kostenintensiven Bürger und Patienten unter dem Begriff „sozialverträgliche Behandlung“ zusammengefasst. Das Resultat ist das Gleiche wie vor 70-80 Jahren.
Joachim Schäffler
Danke für diese offenen Worte !!
Erschütternd ist zudem, dass man in Estland (zumindest unter den “echten“ Estländern – nicht denen die russische Vorfahren haben) den Eindruck bekommt, dass diesem auch uneingeschränkt zugestimmt wird. Es ist wirklich so, als würde man dort glauben, dass dieses alles gerade gut für die Estländer sei. Was wohl in der Geschichte mit dem Erzfeind Russland begründet ist. Man glaubt dort einfach, dass all dieses dazu beiträgt, dass möglichst nur noch (wieder) “echte“ Estländer dort leben und alle anderen (endlich) “aussortiert“ würden. Und, sofern man keine russischen Vorfahren hat, man darüber zum anerkannten “Club“ gehört, in dem man sich ja keine Sorgen machen muss.
Daher auch die völlige Online-Offenheit bei inzwischen vielen weiteren Bereichen von sensibelsten personenbezogenen Daten wie Einkünfte, Erwerbstätigkeiten, Steuern, Versicherungen, Wohnverhältnisse sowie Verwandtschaften etc. Und wenn man auch die Nachrichten etwas verfolgt, sind dort wohl inzwischen schon sämtliche Behörden und Institutionen total online verknüpft.
Möchte eigentlich gar nicht weiter auf die ja schon völlig zu Recht und sehr gut dargestellten (leider) auch beinahe rassistischen Gegebenheiten eingehen – jedoch wurde und wird mir zumindest echt Angst und Bange, wenn man solche Entwicklungen beobachtet. Und ich habe es selbst mehrfach Vorort gesehen sowie von Betroffenen gehört, wie sowohl Estländer auf der Straße als auch Behörden mit “nicht-reinrassigen“, also meist Estländern mit russischen Vorfahren, umgehen. Und gerade unter der heutigen Jugend dort, herrscht ein derartiger Nationalstolz vor, dass man sich nur noch die Augen reiben kann.
Und dass sich diese so gutgeglaubte grenzenlose Digitalisierung eben einmal völlig ins Gegenteil verkehren kann, wird dort jedenfalls überhaupt nicht gesehen, ganz im Gegenteil.