Hessen vorn? Bodycam-Einsatz jetzt auch im Strafvollzug?
Die schwarz-grüne hessische Landesregierung war 2013 Vorreiter beim Einsatz von Bodycams durch die Polizei. Und jetzt soll diese Form der Überwachung auch im Strafvollzug in Hessen zum Einsatz kommen. Mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung für ein „Zweites Gesetz zur Änderung hessischer Vollzugsgesetze“ (Landtagsdrucksache 20/2967) sollen sowohl das Hessische Strafvollzugsgesetz als auch das Hessische Untersuchungshaftvollzugsgesetz eine Regelung enthalten, wonach Bodycams eingesetzt werden können.
§ 45 Abs. 2 Hessisches Strafvollzugsgesetz soll ergänzt werden durch die Bestimmung: „Soweit es zum Schutz von Vollzugsbediensteten, Gefangenen oder Dritten gegen eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit unbedingt erforderlich ist, erfolgt in Bereichen einer zu bestimmenden Anstalt und innerhalb von Transportfahrzeugen dieser Anstalt, in denen nicht bereits eine Videoüberwachung erfolgt, unter Rücksichtnahme auf das Schamgefühl d er Gefangenen eine Beobachtung durch offenes technisches Erfassen mittels Bild-und Tonübertragung; soweit es für die Durchführung der Beobachtung unerlässlich ist, können hierbei personenbezogene Daten auch über andere Personen als Gefangen. e verarbeitet werden… Die Hessische Ministerin der Justiz oder der Hessische Minister der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung die… zu bestimmende Anstalt und die zeitliche Dauer eines dort durchzuführenden Modellprojekts festzulegen.“ (Landtagsdrucksache 20/2967, S.12). Die sinngemäß gleiche Regelung soll auch in § 30 Abs. 2 Hessisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz aufgenommen werden (Landtagsdrucksache 20/2967, S.18).
Begründet wird die vorgesehene Neuregelung wie folgt: „Die vorgesehene Änderung dient der Schaffung der rechtlichen Grundlage für die Durchführung eines Modell- bzw. Pilotprojekts zur Nutzung einer sog. Bodycam in einer einzelnen, noch festzulegenden Justizvollzugsanstalt, um insbesondere, aber nicht nur, den Schutz der Vollzugsbediensteten vor gewalttätigen Attacken zu verbessern.Bedienstete des Justizvollzuges werden wie auch Polizeibeamte bei der Verrichtung ihres Dienstes Ziel von entsprechenden Attacken. Auch können solche Gefahren für Gefangene oder Dritte entstehen. Wie der Einsatz im Rahmen der Polizei zeigt, schreckt die Bodycam potenzielle Aggressoren ab und trägt zu einer Deeskalation bei. Durch die ergänzende Tonaufnahme können auch die Weisungen der Vollzugsbediensteten und mögliche verbale Aggressionen bis hin zu Beleidigungen dokumentiert werden. Zudem ist der Beweiswert der kombinierten Bild-und Tonaufnahme aufgrund der Unveränderlichkeit als sehr hoch einzuschätzen…“ (Landtagsdrucksache 20/2967, S.18).
Diese Regelungen treffen nicht nur auf den Widerstand der Opposition im Hessischen Landtag, wie die Frankfurter Rundschau am 01.07.2020 berichtet. Auch der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BDSD – Landesverband Hessen), Fachgewerkschaft im Deutschen Beamtenbund, lehnt den Einsatz von Bodycams in Straf- und Untersuchungshaftanstalten entschieden ab. In einer Stellungnahme, die der Verband im Rahmen einer Anhörung im Hessischen Landtag abgegeben hat, wird u. a. festgestellt: „Der BSBD Hessen hat bereits mehrmals und deutlich Stellung gegen den Einsatz von Bodycams bezogen. Zum einen wird die Notwendigkeit nicht erkannt, zum anderen halten wir den Einsatz weder für zielführend noch für zweckdienlich. Wir teilen die Auffassung des Hauptpersonalrats Justizvollzug. Wie in der Begründung zu dieser Gesetzesänderung ausgeführt wird, benutzt auch die Polizei Bodycams nur an öffentlich zugänglichen Orten, Justizvollzugsanstalten haben jedoch keine öffentlich zugänglichen Räume. Im Justizvollzug ist die Privatsphäre des Gefangenen betroffen, insbesondere wenn in der Begründung zum Gesetzentwurf darauf hingewiesen wird, dass die Bodycam besonders in ‚normalen Hafträumen‘ zum Einsatz kommen soll, also dort, wo keine andere Kameraüberwachung der Anstalt greift. Gerade hier ist die Privatsphäre in ganz besonderer Weise berührt. Aber genau in solchen Bereichen schaltet die Polizei ihre Bodycams aus! Kein Einsatz in Privatwohnungen! Es wird von einem Einsatz der Bodycam bei Gefährdung von Leib, Leben, Gesundheit gesprochen. Wenn im Justizvollzug eine solche Gefährdung gegeben ist, wird der Haftraum aber nicht mehr herkömmlich oder durch einzelne Bedienstete geöffnet, hierzu gibt es Einsatzpläne… Wie eine Kamera in solchen Situationen gar deeskalierend wirken kann, erschließt sich überhaupt nicht. Die Polizei muss das Einschalten der Bodycam im Übrigen vorher ankündigen. Die Bodycam läuft nicht permanent mit. Im Vollzug sind plötzlich auftretende Situationen zu bewältigen, die das sofortige Handeln der vor Ort tätigen Bediensteten erfordert. Hier kann man dann nicht erst den Einsatz bzw. das Anschalten ankündigen. Auch niedrigschwelligere Konflikte im Stationsalltag, in der Freistunde oder der Freizeit sollten nicht auf diese Weise behandelt werden, Bodycams wirken hier nicht abschreckend oder gar konfliktklärend…“ (Stellungnahme S. 5 – 6).
Ob und ggf. welche Stellungnahme der Hessische Datenschutzbeauftragte zum beabsichtigten Bodycam-Einsatz in Justizvollzugsanstalten abgegeben hat, ist derzeit öffentlich nicht bekannt.