Gastbeitrag: Bewertung der Alltagstauglichkeit des eGk- / Telematik-Projektes durch einen Arzt

Datenschutzrheinmain/ Dezember 7, 2014/ alle Beiträge, Telematik-Infrastruktur/ 7Kommentare

Wilfried Deiß, Internist und Hausarzt mit einer Praxis in Siegen und mit früheren Berufserfahrungen als Krankenhausarzt und als Notarzt, hat uns eine Stellungnahme zugesandt in der er aus Sicht seiner langjährigen ärztlicher Tätigkeit den Nutzen der eGk und der dahinter stehenden telematischen Infrastruktur im ärztlichen Alltag bewertet.

Herr Deiß hat sich erstmals 2006 ausführlich mit eGK / Telematik beschäftigt, damals mit einem „Offenen Brief an Patientinnen und Patienten“, der bundesweit in der Ärztlichen Presse Schlagzeilen machte und zu etlichen weiteren Initiativen führte. Schon damals ging es um die Alltagstauglichkeit. Denn, selbst wenn der Datenschutz perfekt eingehalten würde: was nützt ein Projekt, das im Alltag eine Behinderung darstellt und daher von Ärzten und Patienten nicht angenommen wird? 2007 erschien dann ein Beitrag „Fuchs statt Monster“ im Deutschen Ärzteblatt, in dem Herr Deiß darlegte, wie die medizinischen Ziele des Telematik-Projektes viel einfacher und vor allem OHNE zentrale Datenspeicherung erreichbar ist.

Aktuell stellt Herr Deiß in einem fiktiven „Wettbewerb“ das Telematik-Projekt, das er GK-Cloud nennt, einer alternativen Verfahrensweise vor, die sich im Alltag als deutlich überlegen erweist, für einen Bruchteil der Kosten. Die Stellungnahme trägt den Titel Informationsübermittlung im Gesundheitswesen mit Hilfe der Elektronischen Gesundheitskarte eGK: Ein vergleichender Wettbewerb: GESUNDHEITSKARTEN-CLOUD (=GK-Cloud) gegen PATIENTEN-BASISDOKUMENT (=P-BD). Das Patienten-Basisdokument verwendet er in seiner Praxis bereits seit 17 Jahren mit Kenntnis und Zustimmung seiner PatientInnen.

Sein Motiv, diesen Beitrag jetzt zu veröffentlichen und zur Diskussion zu stellen beschreibt er mit den Worten Ich werde den Eindruck nicht los, dass die nächsten Monate sehr entscheidend werden für das Telematik-Projekt…“.

Zwei Auszüge aus der Stellungnahme von Herrn Deiß:

„… als Krankenhausarzt hatte ich mich ständig darüber geärgert, bei der Einweisung von neuen Patienten keine ausreichende Information von den niedergelassenen Ärzten zu bekommen. Dabei ist das, was unbedingt benötigt wird, gar noch so viel. Nämlich nur 2 Listen, erstens eine Zusammenstellung aller wichtigen aktuellen Dauerdiagnosen (und möglichst wichtige Vorerkrankungen, Allergien, Unverträglichkeiten). Und zweitens einen aktuellen Medikationsplan. Ausgestattet mit diesem PATIENTENBASISDOKUMENT (P-BD) lässt sich in Zusammenhang mit den aktuellen Befunden nahezu jede dringliche Situation bewältigen. Daher habe ich nach meiner Niederlassung dafür gesorgt, dass jedem unserer hausärztlichen Patienten und Patienten jederzeit ein aktuelles PATIENTEN-BASISDOKUMENT zur Verfügung steht. Das ist gar nicht so schwierig. Jeder Hausarzt muss sowieso dafür Sorgen (allein schon wegen der Abrechnung), dass eine vollständige Liste von Dauerdiagnosen zur Verfügung steht. Auch ein aktueller Medikationsplan muss für den Patienten zur Verfügung stehen. Wer als Hausarzt diese beiden Listen nicht irgendwo in seiner Patientenakte hat, der macht seine Arbeit nicht richtig. Wenn diese beiden Listen ein wenig aufgearbeitet werden, und dafür gesorgt wird, dass mit einem Tastenklick das Ganze auf ein DIN-A4-Blatt ausgedruckt wird, hat der Patient eine hervorragende Information dabei. Ich kann Ihnen sagen, dass fast 100% unserer Patienten dieses Angebot annehmen und auch selbst mit darauf achten, dass sie immer eine aktuelle Version des PATIENTEN-BASISDOKUMENTES in Händen haben. Wie der Patient damit umgeht, ob er das Blatt bei jedem Facharztkonsil oder bei jedem Krankenhaus vorliegt, kann er selbst entscheiden. Und die Kollegen in Praxen und Krankenhäusern sind begeistert. Das Blatt erleichtert die ärztliche Arbeit sehr, gewinnt Zeit für das Wesentliche, vermeidet Fehler, verbessert zudem die schriftlichen Berichte, die danach an den Hausarzt zurück gehen.“

„Für mich also Notarzt war schon vor Jahren erkennbar, dass das Prinzip der GK-Cloud nur selten wirklich hilfreich sein wird. Wenn ich als Notarzt zu einem leblosen oder nicht ansprechbaren Patienten komme, sind Vorinformationen zunächst zweitrangig. Wenn ein Herz-Kreislauf-Stillstand besteht, laufen die weiteren Maßnahmen nach einem festen Schema ab. Während einer Reanimation beauftrage ich nebenbei einen der Rettungssanitäter, in den Taschen des Patienten nach zu sehen, ob es irgendwelche schriftlichen Informationen über Diagnosen oder einen Medikamentenplan gibt, dann kann das schon einmal hilfreich sein… Demgegenüber nützt uns die Gesundheitskarte kaum etwas. Zum einen haben sowieso aus nachvollziehbaren Gründen nur wenige Prozent der Bevölkerung ihre Zustimmung zu einer Speicherung persönlicher Krankenakten in einem Datennetz gegeben. Wenn wir nun im Notfall beim Patient eine Gesundheitskarte vorfinden, wissen wir noch nicht, ob der Patient zu denen gehört, die ihre Zustimmung erteilt haben. Wir könnten -wenn wir die Zeit dazu hätten- die Gesundheitskarte in unseren Notarzt-Laptop einführen und das prüfen. Wenn ja, dann dürften wir den „Notfalldatensatz“ aus der Karte auslesen… Zudem auch der Inhalt des Notfalldatensatzes sehr fraglich ist. Was soll denn da rein, was soll der Hausarzt da reinschreiben? Nennung von Allergien und Unverträglichkeiten bringt im Notfall so gut wir gar nichts. Also müssten doch eigentlich alle wichtigen Vorerkrankungen mit rein, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Diabetes, Krampfanfälle. Dann müsste also der Hausarzt im Prinzip wieder die ganze Dauerdiagnosenliste mühevoll übertragen. Da das dann eine Mehrfachdokumentation ist, ist das ein ungeheurer Aufwand. Zudem: Vielleicht einer von 1000 Patienten, für die Notfalldatensätze geschrieben wurden, gerät bewusstlos an einen Notarzt, und bei nur jedem 5000ten bringt dem Notarzt diese Information etwas. Und da der Notfalldatensatz rein theoretisch regelmäßig aktualisiert werden müsste, ist das eine ungeheuer aufwändige und sinnlose Arbeit, die den Hausarzt vor allem Zeit kostet. Dagegen ist der mäßige Aufwand für ein PATIENTEN-BASISDOKUMENT, das auf Papier ausgedruckt werden kann oder auch per Fax oder verschlüsselte Mail verschickt werden kann, sehr viel sinnvoller…“

Der Beitrag von Herrn Deiß ist hier im Wortlaut dokumentiert: deisss_eGK_Gesundheitskarten-Cloud_versus_Patienten-Basisinformation-1

Herr Deiß und die Redaktion dieser Homepage sind an Rückmeldungen zu seinem Beitrag interessiert. Nutzen Sie dazu die Kommentarfunktion.

Insbesondere Ärztinnen und Ärzte möchten wir bitten, aus Ihrer beruflichen Sicht zu den Vorschlägen von Herrn Deiß Stellung zu nehmen.

Ergänzende Informationen:

7 Kommentare

  1. Ich begrüße das Projekt von Hr. Dr. Deiss. Ich würde mir wünschen, dass er sich mit dem CCC austauscht. Mit Sicherheit könnten von dort entscheidende Input-Ideen für seine Umsetzung kommen, da dort das Knowhow für Workarounds von Verschlüsselungsthemen dieser ID vorliegt. Insbesondere der Teil, die Datenhoheit selbst beim Patienten oder vom Patienten erlaubten beteiligten Ärzten hin zu verlagern (statt das, was die Telematik-Nutznießer-Konzerne sich erhoffen), begrüße ich sehr.

    Den Wettbewerb für sein schlüsselfertiges Konzept als alternative zu einer Cloudlösung könnte er auch mittels Open Innovation lösen lassen. Beispiel: atizo.ch

  2. mal ehrlich…alles schön und praxisgerecht, aber nicht jetzt vor Toresschluß…sowas hatte seine Blütezeit vor 8 jahren – heute ist schon 5 nach Zwölf und die Politik und Rechteverwerter aus der Industrie wollen mal wieder etwas Unnützes, wie auch z.B. die Maut durchpeitschen, koste es was es wolle !!! NO CHANCE !!!

  3. Ich schließe mich den Ausführungen von Herrn Deiß voll an, wäre sofort dabei. Ich hatte schon mal einen Kommentar hierzu ins Netz gestellt, weil ich ihn so interessant fand:
    http://praxiswilfrieddeiss.de/no-online-egk
    Gruß Mona

  4. Vielen Dank an Herrn Deiß! Ich trage seit Jahren ein zusammengefaltetes DIN-A4-Blatt mit meinen übrigen Papieren bei mir. Auf der einen Seite befindet sich eine Kopie meines Impfausweises, auf der anderen sind etwa 200 Telefonnummern noch recht gut leserlich abgebildet. Nach etwa einem Jahr ist das Papier zumeist verschlissen und wird ganz einfach durch ein neues ersetzt.

    Das Naheliegende kann ja so einfach sein!

    Allerdings verdient an solch banalen Lösungen niemand wirklich Geld, weswegen auch kein gesteigertes Interesse besteht, diesen naheliegenden Ansatz offensiv zu verbreiten. Der andere Ansatz ist jedoch ein Milliardengeschäft. Deshalb finden sich immer irgendwelche vermeintlichen Vorteile, die dafür sprechen. Die Lobbyisten, die hier eingeschaltet werden, können gar nicht so teuer sein, dass sich das für die Profiteure nicht lohnen würde. Und es finden sich leider auch genug einfältige Politiker, die aus ihrer Sicht auf der Höhe der Zeit sein möchten, und fast alles mitmachen, was sie zwar nicht verstehen, aber irgendwie modern zu sein scheint.

  5. Habe das mal auf meinen Blog gestellt.

  6. Das ist ein großartiger Beitrag von Herrn Dr. Deiß. Wenn wirklich eine Verbesserung im Gesundheitsbereich beabsichtigt wäre, würde dieses Konzept verfolgt werden. Natürlich wissen wir, dass es leider nicht um Weiterentwicklungen geht, sondern ums Geschäft. Als eGK-Verweigerin nun noch ein wunderbares Argument mehr, meine Position zu verfestigen.

  7. Ich kann Herrn Deiss nur zustimmen und wünschte mir, jemand von den Zuständigen bekäme eine Erleuchtung und würde verstehen, daß der Praktiker eine günstige und sichere Lösung erarbeitet hat, bei der die nötigen Daten da ankommen, wo sie für den Patienten gebraucht werden. Angeblich arbeiten doch alle zum Wohle des Volkes, aber Gott hat ihnen wohl noch nicht geholfen?

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