Familienkassen missachten Datenschutzbestimmungen bei Prüfung des Kindergeldanspruch von EU-Bürger*innen
EU-Bürger*innen haben Anspruch auf Familienleistungen (Kindergeld) für ihre in einem anderen EU-Staat wohnenden Kinder, und das auch dann, wenn sie arbeitslos geworden sind. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 07.02.2019 (Aktenzeichen: C-322/17) entschieden.
Beratungsstellen für Erwerbslose oder für Migrant*innen nehmen seit einigen Monaten eine erheblich verschärfte Praxis der Familienkassen bei der Prüfung dieser Kindergeldansprüche von EU-Bürger*innen wahr. Die Familienkassen haben ihre Praxis erheblich verschärft, wie viele und welche Unterlagen für die Prüfung eines Kindergeldanspruchs durch EU-Bürger*innen eingereicht werden müssen. Viele der angeforderten Dokumente haben keinerlei Relevanz für die Prüfung des Kindergeldanspruchs (z. B. Kindergartenbescheinigungen oder Belege über die Zahlung der Rundfunkgebühren). Zudem führen die Anforderungen dazu, dass Unionsbürger*innen ihren Kindergeldanspruch in der Praxis kaum durchsetzen können oder die Bearbeitung monate- oder sogar jahrelang dauert.
In einem Schreiben der Familienkasse NRW Nord vom Dezember 2020 werden 18 unterschiedliche Kategorien von unterschiedliche Belege angefordert werden, von denen ein Großteil für die Prüfung des Kindergeldanspruchs nicht notwendig sind. Das sind z. B.
- Nachweis der Zahlung des Rundfunkgebührenbeitrags (früher GEZ);
- ärztliche Bescheinigungen über die Wahrnehmmung der Untersuchungstermine für Kinder unter sechs Jahren;
- Kopien der Krankenversichungskarten aller Familienmitglieder.
Diese Praxis zielt erkennbar darauf ab, die Realisierung von gesetzlichen Leistungsansprüchen zu verhindern bzw. zu verzögern. Dies ist nicht nur eine unzulässige Diskriminierung von EU-Bürger*innen, sie widerspricht auch den Vorgaben des Bundeszentralamts für Steuern (dort S. 88). In dieser Dienstanweisung (dort S. 88) ist zum Kindergeld vorgegeben: „Die Familienkassen haben alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die entscheidungserheblichen Tatsachen aufzuklären… dabei ist der Grundsatz der Datenminimierung zu beachten …Für den Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Kindergeldberechtigten vollständig und richtig sind…Den Angaben des Kindergeldberechtigten kann Glauben geschenkt werden, wenn nicht greifbare Umstände vorliegen, die darauf hindeuten, dass seine Angaben falsch oder unvollständig sind…“.
In einem anderen vergleichbaren Fall hat die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg ALSO e.V. den Bundesdatenschutzbeauftragten eingeschaltet und sich über die Vielzahl von angeforderten, großteils irrelevanten Dokumenten beschwert.Die Antwort des Bundesdatenschutzbeauftragten hat bestätigt: Die Familienkassen dürfen diese Menge an Belegen nicht anfordern.
Wenn die Familienkasse eine Vielzahl irrelevanter Dokumente anfordert, empfiehlt es sich für Betroffene daher,
- das o. g. Schreiben des Bundesdatenschutzbeauftragten des Bundesdatenschutzbeauftragen an die Familienkasse zu senden und um Berücksichtigung zu bitten;
- selbst den Bundesdatenschutzbeauftragten einzuschalten (Kontaktdaten hier);
- eine Beschwerden an die Datenschutzbeauftragte der Bundesagentur für Arbeit und an das Bundeszentralamt für Steuern als Aufsichtsbehörde der Familienkassen zu richten.