Digital first, Teilhabe second? Bundestag lehnt Garantie auf Offline-Zugang zu Behörden ab

WS/ November 30, 2023/ alle Beiträge, Grundrecht auf analoges Leben, Hessische Landespolitik/ 2Kommentare

Sowohl im Innen- als auch im Digitalausschuss des Bundestags wurde einen Antrag der Linksfraktion Für ein Offlinezugangsgesetz abgelehnt.

Im Antragstext stellt die Linksfraktion u. a. fest:

  • Ein erheblicher Teil der Bevölkerung in Deutschland hat keinen Zugang zum Internet. Das Statistische Bundesamt teilte im April 2023 mit, dass knapp 6 Prozent der Menschen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren im Jahr 2022 in Deutschland noch nie das Internet genutzt hatten. Dies entspreche knapp 3,4 Millionen Menschen in Deutschland. In der Gruppe der 65- bis 74-Jährigen betreffe dies sogar 17 Prozent…
  • Für die Altersgruppe ab 80 Jahren kommt die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte Studie „D80+ – Hohes Alter in Deutschland“ zum Ergebnis, dass nur 37 Prozent von ihnen das Internet nutzen und nur 34 Prozent ein Smartphone. Dabei gebe es innerhalb dieser Gruppe erhebliche Unterschiede: Ältere Gruppen, Frauen, niedriger Gebildete, Einkommensschwächere, Menschen mit kognitiven Einschränkungen und Personen in Heimen nutzen das Netz teils nur wenig…
    Der D21-Digital-Index 2021/2022 beziffert die Zahl der ‚Offliner*innen‘ in Deutschland mit 9 Prozent und stellt ebenfalls fest, dass die Zugehörigkeit zu bestimmten benachteiligten Gruppen dies verstärkt: Gut die Hälfte der Menschen ohne Internet-Zugang ist 76 Jahre oder älter. 70 Prozent von ihnen sind weiblich und 76 Prozent haben einen niedrigen Bildungsgrad. Mehr als 50 Prozent von ihnen haben ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 2.000 Euro…
  • Der aktuelle Regelsatz in der Grundsicherung sieht für Kauf und Reparatur von Festnetz- und Mobiltelefonen sowie von anderen Kommunikationsgeräten derzeit 3,34 Euro vor. Davon kann niemand ein Smartphone kaufen, ohne sich zu verschulden…
  • Das Europäische Parlament hat in seiner… Entschließung ‚Digitale Kluft: die durch die Digitalisierung verursachten sozialen Unterschiede‘… betont, (dass) viele tägliche Dienste eine nicht digitale Lösung bieten sollten, um den Bedürfnissen derjenigen Bürger gerecht zu werden, die nicht über die für die Nutzung von Online-Diensten erforderlichen Fähigkeiten oder Kenntnisse verfügen, die Dienste offline nutzen möchten oder die keinen Zugang zu digitalen Geräten und Anwendungen haben.
  • ist offensichtlich, dass es in Deutschland – wie auch international – weiterhin einen Digital
    Gap gibt, der die Benachteiligung bereits diskriminierter Gruppen verstärkt. Solange dies der Fall ist, darf niemand durch nur in digitaler Form vorhandene Leistungen und Angebote von ihrer Nutzung ausgeschlossen werden. Das gilt insbesondere – aber nicht nur – für öffentliche Leistungen, deren Nutzung für die Bevölkerung verpflichtend ist.
  • Darüber hinaus ist es das Recht aller, aus Gründen der Datensparsamkeit, -minimierung und –sicherheit, auf digitale Kommunikation zu verzichten und zwar auch und gerade, wenn es den Austausch von Daten mit staatlichen Stellen betrifft. Für die meisten Menschen ist nicht durchschaubar, ob und welche möglicherweise privaten Dritten beispielsweise als Dienstleister einbezogen sind. Angesichts vielfacher Veröffentlichungen über Datenlecks oder Ransomware-Angriffe auf Behörden und andere öffentliche Einrichtungen ist Zurückhaltung mehr als nachvollziehbar…“

Eine durchaus zutreffende Zustandsbeschreibung! Und eine berechtigte Forderung:

Das Grundrecht auf analoges Leben muss dauerhaft sichergestellt werden!

  • Das fordern u. a. 24 Migrations- und Sozialberatungsstellen aus Hamburg in einem Offenen Brief, in dem sie die Digitalisierungspolitik der Behörden kritisieren und in dem sie fordern: Digitale Zugänge dürfen analoge / direkte Möglichkeiten, sich an Behörden zu wenden, nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
  • Dr. Bernd Lorenz, Fachanwalt für IT-Recht und zertifizierter Datenschutzbeauftragter hat dazu in MMR – Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung unter dem Titel Das Recht auf ein analoges Leben die „Anerkennung eines neuen Grundrechts“ gefordert. Er kommt zum Ergebnis: „Privatpersonen steht ein Recht auf ein analoges Leben als Grundrecht zu. Daraus ergibt sich zum einen das Recht, auf analogem Wege am öffentlichen Leben teilzunehmen. Zum anderen beinhaltet dies das Recht, sich vorzubehalten, im Internet nicht präsent zu sein und nicht namentlich auf Webseiten erwähnt zu werden.“ Und unter der Überschrift „Schnell gelesen …“ fasst Lorenz seine Position abschließend so zusammen: „Für Privatpersonen, die nicht am Internet teilnehmen können oder wollen, ist eine analoge Lösung bereitzustellen. Kosten dürfen für diese analoge Lösung nicht erhoben werden. Privatpersonen müssen die Möglichkeit haben, Steuererklärungen weiterhin in Papierform inzureichen… Eine Abschaffung des Bargelds wäre verfassungswidrig. Auch würde es gegen das Recht auf ein analoges Leben verstoßen, wenn das Bargeld zwar nicht abgeschafft wird, aber keine Möglichkeit besteht, bei Behörden bzw. Unternehmen bar zu bezahlen. Wer als Privatperson nicht im Internet präsent sein will, hat das Recht, dass sein Name im Internet nicht erwähnt wird. Der Name von Privatpersonen darf in solchen Fällen nicht auf Webseiten veröffentlicht werden.“
  • In einer Stellungnahme zum Entwurf für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen E-Government-Gesetzes (Landtagsdrucksache 20/9427) die dem hessischen Landtag am 28.01.2023 vorgelegt wurde, hat auch die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main dafür plädiert, das Grundrecht auf analoges Leben dauerhaft zu sichern und – mit Blick auf DänemarkFehlentwicklungen bei der Digitalisierung benannt.

2 Kommentare

  1. Digitale Welt – Analog ist die gesündere Lebensweise
    von Yahoo
    deutschlandfunkkultur.de/digitale-welt-analog-ist-die…
    Der Autor Andre Wilkens entwirft in seinem Buch „Analog ist das neue Bio“ Zukunftszenarien der digitalen Welt. Aus dem Podcast Buchkritik Los gehen, anschauen, ausleihen. Und nicht mal…
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/digitale-welt-analog-ist-die-gesuendere-lebensweise-100.html

  2. Vorsicht bei der Online Beantragung von Führungszeugnissen und Meldebescheinigungen!!!

    Die Online-Beantragung von Führungszeugnissen ist nur über das Onlineportal des Bundesamtes für Justiz (www.fuehrungszeugnis.bund.de) möglich. Anderslautende Internetadressen, bei denen vermeintlich Führungszeugnisse beantragt werden können, stehen in keinem Zusammenhang mit dem Bundesamt für Justiz und sollten nicht verwendet werden!

    In letzter Zeit häufen sich die Fälle der Online-Beantragung von Meldebescheinigungen über kommerzielle Portale, welche in keinem Zusammenhang mit eventuell verfügbaren Online Angeboten der Meldebehörden zur Beantragung von Meldebescheinigungen stehen. Achtung Kostenfalle! Bitte nutzen Sie den nachfolgenden Link:

    Beantragung Meldebescheinigung
    https://www.koblenz.de/rathaus/verwaltung/stadtverwaltung/aemter-eigenbetriebe/buergeramt/#accordion-1-0

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