Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen über nicht-digitale Wege muss gewährleistet bleiben – Offener Brief an die europäische Kommission, den Rat der EU und das europäische Parlament
Bürgerrechtsorganisationen aus mehreren europäischen Staaten stellen in diesem Offenen Brief u. a. fest: „Obwohl mehr als 40% der europäischen Bevölkerung nicht über die nötigen Grundkenntnisse im Umgang mit digitalen Medien verfügt, schreitet die digitale Transformation immer schneller voran. Die Einschränkung nicht-digitaler Kommunikationskanäle führt dazu, dass Betroffene keinen Zugang mehr zu grundlegenden Dienstleistungen haben.“ Sie fordern deshalb: „Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen über nicht-digitale Wege muss dringend gewährleistet bleiben.“
Im Offenen Brief wird die Entwicklung beschrieben: „Für die Interaktion mit Behörden, Banken, Energieversorgern, bei der Arbeits- oder Wohnungssuche oder dem Fahrkartenkauf usw. ist die Nutzung digitaler Medien unumgänglich geworden. Im Zuge dieses Digitalisierungsprozesses werden traditionelle Interaktionskanäle, wie der Kontakt vor Ort (Schalter), per Telefon oder Post, reduziert oder gar abgeschafft… Am stärksten von Schwierigkeitem im Umgang mit der Digitalisierung betroffen sind ältere Menschen, Menschen mit niedrigem Bildungsniveau, Arbeitslose, Frauen, Menschen mit Behinderungen, wie auch Migrant*innen mit prekären Aufenthaltsstatus. Diese Schwierigkeiten kommen oftmals zu bereits bestehenden sozialen Benachteiligungen hinzu, was bei bereits vulnerablen Personen zu einer ‚doppelten Belastung‘ führt. Die Einschränkung nicht-digitaler Kommunikationskanäle führt dazu, dass Betroffene keinen Zugang mehr zu grundlegenden Dienstleistungen haben und weitere Ausgrenzungen erfahren:e der Energieversorgung etc.“
Die Unterzeichner*innen des Offenen Briefs konstatieren „eine EU-Strategie voller Widersprüche“ und stellen fest:
- „Diese Befunde machen einen eklatanten Widerspruch sichtbar: nämlich jenen zwischen den Lebensumständen von 40% der europäischen Bevölkerung, die von bestimmten Nutzungsmöglichkeiten des Digitalen ausgeschlossen sind, und einer europäischen Politik, die nahezu blind die Weiterentwicklung der digitalen Technologien verfolgt.
- Seit 2011 ist die Europäische Kommission jedoch verpflichtet, bei der Ausführung oder Bereitstellung von Grundversorgungsleistungen auf die Einhaltung gemeinsamer Grundsätze wie allgemeinen Zugang und Gleichbehandlung.
- Im Jahr 2017 wurde das Recht auf Grundversorgungsleistungen im Europäischen Referenzrahmen für Sozialrechte wie folgt verankert: Jede Person hat das Recht auf den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung, Verkehr, Finanzdienste und digitale Kommunikation. Hilfsbedürftigen wird Unterstützung für den Zugang zu diesen Dienstleistungen gewährt.
- Diese Grundlage, die gemeinsame Werte der verschiedenen Mitgliedsstaaten verkörpert, wird heute auf dem Altar der Digitalisierung geopfert. Die Strategie Digitales Jahrzehnt der EU legt fest, dass bis 2030 100% der öffentlichen Dienste, einschließlich der Gesundheitsdienste, online zugänglich sein sollen…“
Gefordert wird ein „Moratorium, um die fortschreitende Digitalisierung grundlegender Dienstleistungen auf europäischer Ebene einzufrieren, wenn diese dazu führt, dass nicht-digitale Dienstleistungen gleichzeitig aufgegeben werden. Wir fordern ein Moratorium, um den Zugang zu allen grundlegenden Dienstleistungen wiederherzustellen und die Aufrechterhaltung nicht-digitaler Kommunikationskanäle mit Dienstleistern der Grundversorgung zu gewährleisten. Diese Kommunikationskanäle sollten von angemessener Qualität sein, sich durch eine hohe Verfügbarkeit auszeichnen und keine zusätzlichen Kosten für die Nutzer*innen mit sich bringen (zum Beispiel die eine gute Verfügbarkeit von Amts- und Bankfilialien mit ausreichend langen Öffnungszeiten und gut geschultem Schalterpersonal)…“
Die im Offenen Brief vertretenen Positionen stehen nicht allein!
Bereits im September 2023 kritisierten 24 Migrations- und Sozialberatungsstellen aus Hamburg In einem Offenen Brief die Digitalisierungspolitik der Behörden in der Hansestadt. Sie forderten: Digitale Zugänge dürfen analoge / direkte Möglichkeiten, sich an Behörden zu wenden, nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
Und Dr. Bernd Lorenz, Fachanwalt für IT-Recht und zertifizierter Datenschutzbeauftragter hat zu dieser Problematik in MMR – Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung unter dem Titel „Das Recht auf ein analoges Leben“ die „Anerkennung eines neuen Grundrechts“ gefordert. Er kommt zum Ergebnis: „Privatpersonen steht ein Recht auf ein analoges Leben als Grundrecht zu. Daraus ergibt sich zum einen das Recht, auf analogem Wege am öffentlichen Leben teilzunehmen. Zum anderen beinhaltet dies das Recht, sich vorzubehalten, im Internet nicht präsent zu sein und nicht namentlich auf Webseiten erwähnt zu werden.“ Und unter der Überschrift „Schnell gelesen …“ fasst Lorenz seine Position abschließend so zusammen:
- „Für Privatpersonen, die nicht am Internet teilnehmen können oder wollen, ist eine analoge Lösung bereitzustellen. Kosten dürfen für diese analoge Lösung nicht erhoben werden.
- Privatpersonen müssen die Möglichkeit haben, Steuererklärungen weiterhin in Papierform einzureichen…
- Eine Abschaffung des Bargelds wäre verfassungswidrig. Auch würde es gegen das Recht auf ein analoges Leben verstoßen, wenn das Bargeld zwar nicht abgeschafft wird, aber keine Möglichkeit besteht, bei Behörden bzw. Unternehmen bar zu bezahlen.“
Update 04.12.2024
Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main unterstützt den Offenen Brief und hat ihn unterzeichnet.
Quelle: Homepage des Offenen Briefs
Zitat:
„Am stärksten von Schwierigkeitem im Umgang mit der Digitalisierung betroffen sind ältere Menschen, Menschen mit niedrigem Bildungsniveau, Arbeitslose, Frauen, Menschen mit Behinderungen, wie auch Migrant*innen mit prekären Aufenthaltsstatus. Diese Schwierigkeiten kommen oftmals zu bereits bestehenden sozialen Benachteiligungen hinzu, was bei bereits vulnerablen Personen zu einer ‚doppelten Belastung‘ führt. Die Einschränkung nicht-digitaler Kommunikationskanäle führt dazu, dass Betroffene keinen Zugang mehr zu grundlegenden Dienstleistungen haben und weitere Ausgrenzungen erfahren:e der Energieversorgung etc.“
Das mag zunächst etwas grotesk klingen, aber es ist stark anzunehmen dass genau dies eines der Ziele der ‚Digitalisierung‘ ist. Bzw. ein gewünschter Nebeneffekt im Gesamtkonzept.
Das Kausalitätsprinzip funktioniert hier gleichermaßen als sozioökonomischer Motor der relevanten Industrie, sowie als Katalysator für den Digitalisierungsprozess der menschlichen Infrastruktur. Wer sich die Historie der ‚Smart-Devices‘ ansieht stellt schnell fest dass der eigentliche Grund für die Einführung von Touch-Screens usw. darin lag, die Handhabung ins Extremste zu vereinfachen, sodass auch Menschen ohne jegliche Kenntnis von Computern damit umgehen können und damit an den Prozess der Digitalisierung gewöhnt werden können. Gleichermaßen fördert dies die Nachfrage nach immer mehr Geräten und immer weiter greifender Digitalisierung. Also quasi ein Perpetuum mobile Effekt.
In den letzten Jahren hat dies vor Allem die Normalisierung permanenter Totalüberwachung durch ein stetig wachsendes Meer an immer kleiner und leistungsfähiger werdenden Kameras herbeigeführt. In den kommenden Jahren werden wir nun die Vernetzung dieser Geräte sehen und letztlich auch die Vergesellschaftung mit „KI“, wodurch ein weiterer Schritt in Richtung menschlicher Retardierung eintritt. Dies ist auch der Punkt an dem der Artikel ansetzt: Eine Populationsschicht welche nicht mit Smart-Devices der letzten Generationen umgehen kann, fordert im Zuge der Zwangsdigitalisierung den Ausbau von KI-gestützten Human-Interfaces. Das bedeutet dass z.Bsp. traditionelle Smart-Phones nicht mehr nötig sein werden, da quasi alles über biometrische Erkennung und menschliche Sprache ablaufen wird. Dem Mensch wird dadurch der letzte Rest der ‚Eigenverantwortung‘ im Umgang mit diesen Prozessen genommen.
Ich empfehle hierzu das Buch ‚Genesis‘ von Kissinger & Schmidt
https://www.goodreads.com/book/show/56620811-the-age-of-ai-and-our-human-future
Darin wird deutlich dass der eigentliche Sinn von ‚Digitalisierung‘ (sprich: Gewöhnung an permanente Überwachung, digitale ID & Währungen, Implementation von KI usw.) darin besteht, eine neue Spezies heran zu züchten, welche (Zitat): „cognitively diminished“ ist. Also mental degeneriert und nicht mehr fähig zu begreifen was ‚Realität‘ ist. Vollkommen abhängig von KI in allen Lebensbereichen und der Formung ihres Weltbilds. Wenn man dieses Theorem auf den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte überträgt (Einführung des Internets, Online-Handel, soziale Medien, Überwachungskameras, digitale Zahlungsmittel etc.) dann wird schlagartig klar dass alles von vornherein (zumindest in groben Zügen) genau so geplant war. Auch wenn es vielleicht schmerzlich ist, muss man doch zugeben dass die Umsetzung genial war und dass diese technokratische Elite auch den Herrschaftsanspruch dadurch verdient hat. Man hat den Mensch praktisch völlig ohne Einwirkung äußerer Gewalt dazu gebracht, sein eigenes hochtechnisiertes Freiraumgefängnis aufzubauen und (im Gegensatz zu allen vorherigen totalitären Herrschaftsformen) es mit vollem Geiste zu lieben.