Das Patientendatenschutz-Gesetz, ein Vabanque-Spiel mit Patientenrechten
Ein Bündnis von Patienten-Datenschützern, darunter auch die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main, fordert eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für ein Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) bzw. den Stopp seiner Einführung. Das Bündnis kritisiert aus Datenschutzgründen
- die elektronische Patientenakte,
- den Betreiber der Telematikinfrastruktur (TI), die gematik,
- Regelungen zur Organspende und Vorsorgevollmacht,
- die Einführung von elektronischen Rezepten und
- die Intransparenz bei der Vergabe von Aufträgen an die IT-Wirtschaft.
In einer umfangreichen Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung (Stand 01.04.2020) bemängelt das Bündnis zahlreiche Unstimmigkeiten des vorliegenden Gesetzestextes.
Elektronische Patientenakte (ePA) – „vom mündigen Bürger zum unmündigen Patienten“
Im Kern fordern die Schützer von Patientenrechten und -daten, dass die Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA) weiterhin freiwillig bleiben muss. Zahlreiche Bestimmungen im Gesetzentwurf bergen die Gefahr, dass sozialer Druck zum Mitmachen für Patienten entsteht. Dagegen verwehrt sich der Verein Patientenrechte und Datenschutz. Der Vorsitzende des Vereins,Jan Kuhlmann, meint: „Es kann nicht sein, dass das gute im Gesetz verankerte Diskriminierungsverbot auf zahlreiche Arten ausgehöhlt wird. Niemand darf aufgrund seiner Entscheidung, die ePA nicht zu nutzen, benachteiligt werden.“
Zentrale Datenspeicherung ist nicht sicher genug
Die zentrale Datenspeicherung auf zentralen Servern ist aus Sicht der Patientenrechtler nicht sicher. Deshalb muss die die Speicherung gesundheitlicher Informationen auf eigenen Datenträgern der Ärzte und Patienten und in Papierform weiterhin unterstützt werden. Zudem müssen Patientinnen und Patienten die Hoheit über ihre sensiblen Gesundheitsdaten behalten. Dies geht nur, wenn sie Zugriffsrechte auf Dokumentenebene der ePA vergeben können.
Die im Gesetzentwurf enthaltene Regelung, dass Krankenversicherte ohne Smartphone ihre EPA ausschließlich in den Räumen niedergelassener Ärzte einsehen können, lehnt das Bündnis ab. Der Landesgeschäftsführer der Humanistischen Union Berlin Brandenburg Axel Bussmer meint dazu: „Das ist total unpraktikabel und unfrei. Es ist unmöglich, unbefangen in einer Arztpraxis seine Daten zu sichten und dann deren Verwendung nach eigenem Willen einzuteilen. Man geht ja auch nicht zur geheimen Wahl in ein Wahllokal einer Parteizentrale. Damit würden wir als mündige Bürger zu unmündigen Patienten degradiert.“
Gematik – „Wasch‘ mich, aber mach‘ mich nicht nass“
Aus Sicht des Bündnisses ist es ein Unding, einen IT-Dienstleister zu engagieren, der keine Verantwortung für sein Produkt übernimmt. Wie in jedem großen IT-Projekt muss auch die Gematik die datenschutzrechtliche Gesamtverantwortung für die Telematik-Infrastruktur übernehmen. Die teilweise Abwälzung auf niedergelassene Ärzte und Therapeuten widerspricht der EU-Datenschutz-Grundverordnung, denn nur die Gematik hat die Kontrolle über die Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Walter Schmidt, dieDatenschützer Rhein-Main resümiert: „Alles absahnen, aber keine Verantwortung übernehmen. Für mich wirkt das wie, wasch‘ mich, aber mach‘ mich nicht nass“.
Versichertengelder fließen in die Wirtschaftsförderung
Darüber hinaus bemängelt das Bündnis, dass Versichertengelder unkontrolliert zweckentfremdet werden. Nach dem derzeitigen Gesetzentwurf hat im Endeffekt der Gesundheitsminister beziehungsweise seine Stellvertreter die Macht, alle Gematik-Aufträge frei zu vergeben. Die Ausgaben tragen vollständig die Krankenkassen. Hiermit wird die Selbstverwaltung der Krankenkassen umgangen. Das Bündnis fordert: „Die Kontrolle aller Ausgaben muss wieder in der Hand der Selbstverwaltung der Krankenkassen liegen.“
Wischiwaschi der elektronischen Gesundheitskarte
Der Umfang der gespeicherten Daten auf der elektronischen Gesundheitskarte sind aus Sicht des Bündnisses nicht genau genug definiert. Dieter Adler, Vorsitzender des Deutschen Psychotherapeuten Netzwerkes, fordert: „Alle verpflichtenden Daten auf der Patientenakte müssen per Gesetz festgelegt werden. Es sind nur Daten zu speichern, die zur Abrechnung benötigt werden. Das vorhandene Wischiwaschi eröffnet ungeahnte Schlupflöcher für die Gematik und das Gesundheitsministerium. So können einfach mal so, neue „Pflicht-Informationen“ eingeführt werden. Das darf nicht sein.“
Vabanque-Spiel – Organspende, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung
Die Krankenversicherten sollen die Möglichkeit bekommen, Erklärungen zur Organspende und Vorsorgevollmachten oder Patientenverfügungen in der Telematik-Infrastruktur zu hinterlegen. Der Schlüssel des Versicherten zu diesen Anwendungen ist die elektronische Gesundheitskarte (EGK).
Bei Organspende-Erklärungen soll auch der Inhalt der Erklärung enthalten sein, bei Patientenverfügungen nicht. Damit sind Unstimmigkeiten vorprogrammiert, denn die Organspende-Erklärung und die Patientenverfügung können sich widersprechen. Eine Organtransplantation setzt meistens voraus, dass lebenserhaltende Systeme bis zur Organentnahme weiter betrieben werden. Patientenverfügungen enthalten hingegen häufig die Bestimmung, dass solche Systeme abgeschaltet werden, wenn durch sie keine Besserung in Sicht ist. Diesen Widerspruch können Ärzte in der elektronischen Gesundheitskarte nicht sehen. „Damit wird die Entscheidung von Ärzten – Abschalten oder nicht – zum Vabanque-Spiel.“ kritisiert Arne Buß von den Patientendatenschützern Rhein-Main. „Im Sinne der Versicherten ist dies gewiss nicht.“
Das Bündnis fordert deshalb, ein einziges, zentrales Register für Organspende-Erklärungen, Patientenverfügungen und Vorsorge-Verordnungen mit restriktiven Zugriffsrechten – idealerweise weiterhin bei der Bundesnotarkammer. Ein „Zweitregister“ in der Telematik-Infrastruktur führe zu Chaos, so das Bündnis.
Das elektronische Rezept – Himmelfahrtskommando für Patienten
Für Arzneimittel-Rezepte macht der Entwurf die Benutzung der Telematik-Infrastruktur zur Pflicht. Rezepte dürfen ab 2022 nur noch elektronisch vom Arzt verordnet werden. Damit ist die Grundlage für die Ausgabe von Medikamenten nicht mehr das Papierrezept, sondern die in der TI gespeicherte Verordnung. Das bedeutet: Ohne funktionierende Telematik können Apotheken künftig keine verschreibungspflichtigen Arzneimittel herausgeben. So kann es passieren, dass Erkrankte für sie lebensnotwendigen Medikamente nicht bekommen können. Spezialisten für IT-Sicherheit warnen schon länger vor der fehlenden Redundanz der Telematik-Systeme. Das Risiko der mangelhaften Ausfallsicherheit tragen die Patienten.
Uta Schmitt, Vorsitzende Patientenrechte und Datenschutz, fordert: „Das Papier-Rezept in seiner jetzigen Form muss weiterhin Grundlage für die Ausgabe von Medikamenten sein. Alles andere wäre ein Himmelfahrtskommando für Patienten.“
Auftragsvergabe: Freifahrtschein für Gematik und Gesundheitsministerium
Vereinfacht gesagt, erhält die Gematik vom Gesundheitsministerium einen Freifahrtschein zur Vergabe von Aufträgen an Dritte. Die Kosten der Gematik und ihrer Aufträge tragen allerdings die Krankenkassen. Zudem entsteht bei Krankenhäusern, Ärzten, Psychotherapeuten, Apotheken, und Krankenkassen ein erheblicher Zusatzaufwand bei der Einrichtung der Telematik-Infrastruktur.
Aus diesen Gründen fordert das Bündnis, die Offenlegung aller Empfänger von Gematik-Aufträgen und des Auftragsvolumens. Um die Wirtschaftlichkeit dauerhaft auf den Prüfstand stellen zu können, sollten zudem die TI-Folgekosten jährlich ermittelt und veröffentlicht werden. Nur durch diese regelmäßige Überprüfung des Telematik-Projekts kann über die Sinnhaftigkeit des Projektes entschieden werden, so das Bündnis in seiner Stellungnahme.