Biometrische Echtzeit-Fernidentifizierung im Bahnhofsviertel Frankfurt: Eine Debatte in der Stadtverordnetenversammlung
In der Fragestunde der Stadtverordnetensitzung am 11.09.2025 stellte der Stadtverordnete Dr. Christoph Rosenbaum (Grüne) dazu die Frage, „in welcher Nutzungsvereinbarung“ zwischen der Stadt Frankfurt und den Polizeipräsidium „die Nutzung automatischer Gesichtserkennung geregelt“ sei, „die seit Juli mit Hilfe von 50 Kameras im Einsatz ist“. Die weitere Frage: „Wurde die neue Technik im Benehmen mit dem hessischen Datenschutzbeauftragen und dem städtischen Datenschutzreferat realisiert?“
Notwendige Fragen, an deren Beantwortung auch Bewohner*innen des Bahnhofsviertels und andere Frankfurter*innen interessiert sind.
Die zuständige Stadträtin Annette Rinn (FDP) antwortete zunächst rein formal: „In den seit 2009 bestehenden und mehrfach aktualisierten Nutzungsvereinbarungen zwischen der Stadt Frankfurt und dem hiesigen Polizeipräsidium zum Betrieb der Videoschutzanlagen sind keine expliziten Regelungen zur Nutzung von KI-gestützten und / oder Gesichtserkennungssoftwareprodukten getroffen… Die Stadt Frankfurt hat keine Zugriffsmöglichkeiten auf diese Daten. Insofern war eine Zustimmung der Stadt Frankfurt zum Einsatz der KI-gestützten Software nicht erforderlich. Nach Rücksprache mit dem Polizeipräsidium Frankfurt hat in dieser Angelegenheit eine Konsultation und Absprache mit dem Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit stattgefunden. Das Rechtsamt war an dem Abschluss einer entsprechenden Nutzungsvereinbarung nicht beteiligt.“
Auf die Zusatzfrage des Stadtverordneten Rosenbaum „Wie schätzt denn der Magistrat diese tiefgreifenden Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Landesregierung ein und wie weit hat das Einfluss auf zukünftige Videokamerastandorte?“ erklärte Stadträtin Rinn, anscheinend genervt durch die Nachfrage: „Grundsätzlich bin ich genug damit beschäftigt, mir Gedanken um die Dinge zu machen, die ich beeinflussen kann, und das sind ja schon ziemlich viele. Von daher habe ich mir darüber jetzt noch nicht so tiefgehende Gedanken gemacht, aber grundsätzlich bin ich der Meinung, dass diese Videoanlagen nur an wirklich Gefahr bergenden Orten stehen sollten, und das gilt natürlich dann erst recht für diese KI-gestützten Anlagen.“
Der Stadtverordnete Rosenbaum erwiderte: „… eine Frage ist überhaupt noch gar nicht geklärt: Wie verhält sich der Nutzen der Technologie zum Schutz unserer persönlichen Freiheitsrechte? Der Nutzen beschränkt sich auf die Aufklärung von Straftaten, die Verhinderung von Straftaten ist aber nicht nachgewiesen. Dem gegenüber steht die Kritik, dass die Technologie als diskriminierend gilt, weil sie bei Frauen oder People of Color mehr Fehler macht, und schon eine solche fälschliche Erkennung könnte zu erheblichen Nachteilen für die betroffenen Personen führen. Verdeckte Überwachung, falsche Verdächtigung, vielleicht sogar Festnahme, das wäre ein enormer Eingriff in die Grundrechte völlig unschuldiger Bürger:innen. Solche gravierenden grundrechtsrelevanten Einschränkungen des Persönlichkeitsrechts benötigen eine verfassungsrechtliche Absicherung und eine breite Diskussion in der Gesellschaft. Durch die Hintertür hat die Hessische Landesregierung aber im Gegenteil mit einem Änderungsantrag in zweiter Lesung die Gesetzesgrundlage dafür gelegt. Noch dazu hat sie die verfassungsrechtliche Prüfung und Expertenanhörung verhindert… Bei der Nutzung von KI werden wir jetzt aber… vor vollendete Tatsachen gestellt…“
Dem Stadtverordneten Martin-Benedikt Schäfer (CDU) gelang es erfolgreich, das Niveau der Debatte auf eine unterirdische Ebene zu senken: „… Beim Thema Sicherheit wird von manchen Parteien ja gerne lang und breit über den Datenschutz gesprochen. Ich sage Ihnen aber sehr deutlich: Wir müssen nicht zuerst die Daten schützen, wir müssen zuerst die Menschen schützen, das ist unsere Aufgabe. Und ebenso häufig wird bei dem Thema von der gefühlten Sicherheit gesprochen. Das Problem ist aber, dass die Menschen vor Ort, im Bahnhofsviertel, eine reale Unsicherheit erleben, und deswegen sage ich klar: Wir brauchen moderne Videoschutzanlagen im Bahnhofsviertel, in der Innenstadt und an Kriminalitätsschwerpunkten.“
Die Stadtverordnete Esther Gebhardt (SPD) versuchte in ihrem Redebeitrag, es allen Recht zu machen. Sie erklärte: „… Prävention, Repression und Erhöhung der Sicherheit gehen Hand in Hand. Die Polizei kann davon berichten, dass die Zahl eruierter und festgenommener Straftäter durch den Einsatz von Videoüberwachung gewachsen ist und damit auch die Sicherheit sowie das individuelle Gefühl von Sicherheit. Es ist die Aufgabe von Politik, die Sorgen und Beschwerden der Bürger ernst zu nehmen. Nun gibt es seit Juli dieses Jahres diese vom hessischen Innenministerium veranlasste neue und technisch verstärkte Maßnahme, die mehr Sicherheit gewährleistet: eine KI-gestützte Gesichtserkennung mit 50 Kameras im gesamten Bahnhofsgebiet… Wir können also mithilfe der KI Täter identifizieren, ihrer schneller habhaft werden und vielleicht – das wäre sehr wichtig – sogar Straftaten schon im Vorfeld verhindern. Die Liste des Einsatzes ist natürlich erweiterbar, und hier liegt auch schon das erste Alarmzeichen. Das System der KI-gestützten Personenerfassung ruft natürlich nach Erweiterung. Mehr Orte, weitere und mehr Personen …“
Als letzte Rednerin sprach die Stadtverordnete Monika Christann (Linke). Sie erklärte: „… Die Novellierung des HSOG vom Februar ist gefährlich, öffnet sie doch der Polizei durch wachsweiche Formulierungen umfangreiche Handlungsmöglichkeiten… beispielsweise wird im Bahnhofsviertel eine Videokamera permanent auf einen Hauseingang eines alternativen Wohnprojektes gerichtet. In diesem Haus befindet sich auch der Förderverein Roma e. V. Alle Menschen, die als Gäste oder Ratsuchende das Haus betreten und wieder verlassen, werden mit Gesichtserkennung erfasst und gespeichert; auch alle Menschen, die dort zufällig vorbeigehen. Hier kann man nicht mehr von Gefahrenabwehr reden und auch nicht von Verhältnismäßigkeit. Deswegen ist Widerstand dagegen wichtig, sonst kommen wir in einen Überwachungsstaat wie in China…“