Berlin: Verfassungsschutzgesetz soll künftig live auf Videoüberwachung von Einkaufszentren, Sportstätten, Bussen und Bahnen zugreifen können
Der Berliner CDU/SPD-Senat hat im Mai 2025 einen Gesetzentwurf in das Abgeordnetenhaus eingebracht, der dem Landesamt für Verfassungsschutz u. a. das Recht einräumen möchte künftig live auf Videoüberwachung von privatrechtlich geführten Einrichtungen und Verkehrsmitteln zugreifen zu können.
§ 28 Abs. 3 des Gesetzentwurfs lautet: „Zur Durchführung der Observation kann die Verfassungsschutzbehörde die Betreiberin oder den Betreiber einer Videoüberwachung von 1. öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie insbesondere Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen, oder 2. Fahrzeugen und öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs verpflichten, die Überwachung auszuleiten und Aufzeichnungen zu übermitteln…“. Das bedeutet: Observiert der Verfassungsschutz eine Person, kann er sich dafür im Zweifel Live-Zugang zu den Überwachungskameras eines Einkaufszentrums oder einer S-Bahn geben lassen.
Der Jurist David Werdermann von derGesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) stuft das in einer Stellungnahme als verfassungswidrig ein. Bei einer solchen Maßnahme seien regelmäßig sehr viele Personen betroffen, die nicht im Fokus des Inlandsgeheimdienstes stehen. „Wer sich in Berlin im öffentlichen Raum bewegt, müsste daher künftig permanent damit rechnen, durch den Inlandsgeheimdienst beobachtet zu werden“, schreibt Werdermann. „Die Befugnis ermöglicht eine nahezu durchgängige Rundumüberwachung aus der Ferne.“
Diese Bewertung teilt auch die Berliner Landesdatenschutzbeauftragte Meike Kamp. Im Gegensatz zu klassischen Observationen gehe es beim Zugriff auf die Videoüberwachungseinrichtungen auch privater Stellen um „deutlich eingriffsintensivere Maßnahmen, für die strengere Maßstäbe und gesetzliche Erfordernisse gelten“. Sie zählt eine ganze Reihe Orte auf, die von der neuen Regelung erfasst wären, „sogar der Besucherbereich einer Arztpraxis oder eines Krankenhauses während der Öffnungs- bzw. Besuchszeiten“.
Als unverhältnismäßig kritisiert Kamp ebenfalls die geplante Neuregelung zu Auskunftsersuchen zu Bestandsdaten bei Telekommunikationsanbietern. Im Gesetz selbst gibt es keine Beschränkung, „dass das Auskunftsverlangen nur erfolgen darf, wenn die Daten zur Aufklärung tatsächlich erforderlich sind“.
Neben diesen Punkten enthält das geplante Gesetz eine Vielzahl weiterer grundrechtssensibler Vorschläge. Der Berliner Verfassungsschutz soll künftig Staatstrojaner für die sogenannte Online-Durchsuchung nutzen dürfen, um eine „konkretisierte Gefahr für ein besonders bedeutendes Rechtsgut“ abzuwehren. Das soll dann erlaubt sein, wenn „geeignete polizeiliche Hilfe“ nicht rechtzeitig erlangt werden könne.
Eine Reform des Verfassungsschutzgesetzes war auch wegen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden, die etwa das hessische und das bayerische Verfassungsschutzgesetz rügten. Nimmt der Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus die Kritik der Sachverständigen nicht ernst, könnte erneut ein Landesgesetz zur Tätigkeit des Verfassungsschutzes vor Gericht landen.