Reporter ohne Grenzen und Gesellschaft für Freiheitsrechte legen erneut Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz ein
Reporter ohne Grenzen (RoG) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) haben am 26.01.2023 Verrfassungsbeschwerde gegen das novellierte Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (den deutschen Auslands-Geheimdienst) beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. 2020 hatten sie bereits erfolgreich gegen das Vorgängergesetz geklagt. Die danach vom Bundestag auf Vorschlag der Bundesregierung verabschiedete Novelle setze den Spruch der Verfassungsrichter nicht oder nur defizitär um, erklären RoG und GFF.
In einer Pressemitteilung vom 26.01.2023 wird dazu u. a. festgestellt: „Journalistinnen und Journalisten sind nach wie vor nicht ausreichend vor Überwachung durch den BND geschützt. Das betrifft vor allem die vertrauliche Kommunikation mit ihren Quellen. Auch sind journalistische Recherche-Ergebnisse für den BND nicht eindeutig tabu. Während deutsche Medienschaffende einen höheren Schutz genießen, sind Journalistinnen und Journalisten aus der EU und dem Nicht-EU-Ausland umso einfachere Überwachungsziele für den BND… Das im Mai 2020 verkündete Urteil des Bundesverfassungsgerichts klärte eine für den internationalen Menschenrechtsschutz bedeutende Grundsatzfrage: Die Bindung der Bundesregierung an das Grundgesetz sei ‚nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt.‘ Grundrechte wie das Telekommunikationsgeheimnis (Artikel 10 GG) und die Pressefreiheit (Artikel 5 GG) sind von deutschen Behörden auch im Ausland zu achten. Demnach sollte es verboten sein, ausländische Medienschaffende nach Belieben zu überwachen, und auch die Weitergabe von Recherche-Ergebnissen an ausländische Geheimdienste sollte an strenge Voraussetzungen geknüpft werden. Die vertrauliche Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten sollte gesetzlich geschützt werden… Bei der anschließenden Reform des BND-Gesetzes setzte sich der Gesetzgeber… jedoch über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinweg. Neue verfassungswidrige Regelungen wurden in das Gesetz aufgenommen. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen mehrere Aspekte, die einen Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, den Gleichbehandlungsgrundsatz und das IT-Grundrecht darstellen.“
Zu den einzelnen Kritikpunkten der Verfassungsbeschwerde erklären RoG und GFF:
- „Unzureichend ist zum einen der Schutz von Daten, die im Rahmen von journalistischen Vertraulichkeitsbeziehungen und bei der Kommunikation mit Kontaktpersonen entstehen. Nach dem BND-Gesetz darf die Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten mit einer Quelle nicht überwacht werden, wohl aber die Kommunikation über diese Quelle. Damit würden Inhalte beispielsweise von E-Mails nicht erfasst, Verkehrsdaten – die Erkenntnisse darüber geben, wer mit wem wann wie und wie lange kommuniziert – sind jedoch nicht geschützt. Gerade die Menge und Verknüpfung solcher Metadaten gibt tiefe Einblicke in die Tätigkeiten und Vorlieben einer Person. Besorgniserregend ist zudem, dass sich der Schutz der Vertraulichkeitsbeziehung lediglich auf den eigentlichen Kommunikationsvorgang erstreckt. Recherche-Ergebnisse sind damit nicht geschützt und könnten dem BND Einsicht in Publikationsabsichten geben.
- Das reformierte BND-Gesetz schützt Menschen unterschiedlich vor Überwachung abhängig von ihrer Nationalität und ihrem Wohnort. Kommunikation von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern darf der Auslandsgeheimdienst eigentlich nicht abfangen. Allerdings enthält das BND-Gesetz eine neue Befugnis, die ‚Maschine-Maschine-Kommunikation‘. Diese Erfassung der Verkehrsdaten zwischen Geräten und Diensten, etwa beim Online-Banking, bei Hotelbuchungen oder der Navigation, sind an keine Voraussetzungen geknüpft. Sie können also auch von Deutschen erfasst werden und Einblicke in zahlreiche Lebensrealitäten und das Sozialverhalten geben. EU-Institutionen und EU-Bürgerinnen und -Bürger können somit fast schrankenlos durch den BND überwacht werden; mit dem Zweck der Gefahrenfrüherkennung sogar unbefristet.
- Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger mit dauerhaftem Wohnsitz in Deutschland sind vor Überwachung nur solange geschützt, wie sie sich in Deutschland aufhalten. Verlassen Medienschaffende im Exil für Recherchen die Bundesrepublik auch nur für eine kurze Zeit, werden sie für den BND zu potenziellen Überwachungszielen. Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger mit Wohnsitz im Ausland, etwa in der Türkei oder in den USA, darf der BND mittels Staatstrojaner überwachen, soweit dies für politische Informationen der Bundesregierung oder zur Gefahrenfrüherkennung erforderlich ist. Sie sind damit gesetzlich am wenigsten geschützt. Das bedeutet: Medienschaffende, die für ihre regierungskritische Arbeit in autoritären Staaten besonders bedrängt, verfolgt und eingeschüchtert werden, geraten zusätzlich durch deutsche Behörden ins Visier.“
Zu den insgesamt 20 Beschwerdeführenden gehören Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten aus dem Nicht-EU-Ausland, der EU und Deutschland, darunter Awil Abdi Mohamud (Somalia), Dragana Pećo (Serbien), Goran Lefkov (Nordmazedonien), Can Dündar (Türkei), Szabolcs Panyi (Ungarn), Meron Estefanos (Schweden), Peter Verlinden (Belgien) und Sara Creta (Italien). Zu den deutschen Beschwerdeführenden zählen die Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten Eva Schulz, Kerem Schamberger, Martin Kaul, Christian Mihr, Nora Markard und Ulf Buermeyer. Sie befürchten, dass der BND die automatisierten Kommunikationsvorgänge all ihrer technischen Geräte abgreift und auswertet. RoG und GFF erheben die Verfassungsbeschwerde auch im eigenen Namen als betroffene Organisationen. Ebenso zählt die internationale Organisation von Reporter ohne Grenzen (RSF) mit Sitz in Paris zu den Beschwerdeführenden.
Die Verfassungsbeschwerde ist hier im Wortlaut veröffentlicht.