Polizeiarbeit zulasten der Freiheit – oder: Einsatz von technologischen Überwachungsinstrumenten wie Kameras und Staatstrojanern

Datenschutzrheinmain/ November 3, 2022/ alle Beiträge, Polizei und Geheimdienste (BRD), Telekommunikations-Überwachung, Videoüberwachung/ 2 comments

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) analysiert im Auftrag des Deutschen Bundestages umfassend und vorausschauend die Potenziale wissenschaftlich-technischer Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. In seiner neuesten Studie mit dem Titel Beobachtungstechnologien im Bereich der zivilen Sicherheit – Möglichkeiten und Herausforderungen nimmt das TAB Stellung zu den technologischen Fortschritten in der Informatik, Sensorik und Biometrie, die es  ermöglichen, ein weites Einsatzspektrum für diverse Aufklärungs-, Aufzeichnungs- und Auswertungstechnologien (in der Studie summarisch als „Beobachtungstechnologien“ bezeichnet) zu nutzen und auszubauen. Im Lichte der immer leistungsfähigeren Beobachtungstechnologien stellen sich für staatliche Behörden und die Zivilgesellschaft völlig neue Herausforderungen bei dem Bemühen, ein Gleichgewicht zwischen den Schutzbedürfnissen der Gesellschaft und den Persönlichkeits- und Freiheitsrechten des Einzelnen zu finden. Der Einsatz dieser Beobachtungstechnologien im Bereich der zivilen Sicherheit wird daher in gesellschaftlichen wie auch in wissenschaftlichen Debatten kontrovers diskutiert:

  • Einerseits wird Beobachtungstechnologien eine wichtige Funktion in der Gefahrenprävention und -aufklärung sowie bei der Krisenbewältigung zugeschrieben.
  • Andererseits werden immer wieder Fragen nach der Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Zuverlässigkeit solcher Maßnahmen aufgeworfen:
  1. Lassen sich durch staatliche Beobachtungsmaßnahmen tatsächlich Gefahrenlagen rechtzeitig vorhersehen, Straftaten wirksam vermeiden oder das Katastrophenmanagement verbessern?
  2. Wie viel der Privatsphäre soll für den (vermeintlichen) Gewinn an Sicherheit aufgegeben werden?
  3. Wer beobachtet wen und wozu?
  4. Was geschieht mit den gesammelten Daten?

In der Studie werden Zweifel an der Wirksamkeit von Videoüberwachung im öffentlichen Raum geäußert. Polizeibehörden können – je nach bundes- oder landesgesetzlicher Regelung (in Hessen: §14 HSOG) Orte oder Veranstaltungen mit hoher Kriminalitätsrate überwachen. Damit erhoffen sie sich, Straftaten zu verhindern bzw. Straftaten, die trotzdem begangen werden, besser aufzuklären. Dafür, dass diese Ziele mithilfe von Videoüberwachung tatsächlich erreicht werden, gibt es – so das Ergebnis der Studie TAB – aber keinen eindeutigen Nachweis. Wo dies der Fall ist, ist der Eingriff in die Privatsphäre nicht verhältnismäßig, weil bei der Abwägung von Nutzen und Eingriffstiefe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Freiheitsrechte unzulässig zu vorgeblichen Sicherheitsgewinn eingeschränkt werden.

In der Studie des TAB wird dazu u. a. festgestellt: „Die kriminalpräventive Wirkung der offenen Videobeobachtung ist jedoch umstritten. Bisher durchgeführte wissenschaftliche Evaluationen (vor allem aus dem angelsächsischen Raum) zeigten teilweise widersprüchliche und oft hinter den Erwartungen liegende Ergebnisse. Eine Evaluation von 2018 der polizeilichen Videobeobachtung an gefährdeten Orten in Nordrhein-Westfalen bestätigt das heterogene Bild: Zu einer nennenswerten Reduktion des Kriminalitätsaufkommens kam es lediglich in Duisburg. In Essen und Köln ergaben sich allenfalls Tendenzen in diese Richtung und in Dortmund zeigte sich sogar ein gegenteiliger Effekt… Medienberichte, wonach Täter vor allem mithilfe von Videoaufzeichnungen (ggf. in Verbindung mit einer Öffentlichkeitsfahndung) ermittelt wurden, lassen zunächst auf einen hohen Nutzen der Videobeobachtung für die Strafverfolgung schließen. Ob es sich bei solchen Ermittlungserfolgen allerdings um die Regel oder eher um Ausnahmefälle handelt, ist schwierig zu bewerten… Auch die Wirkung der offenen Videobeobachtung auf das Sicherheitsempfinden ist umstritten. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen sprechen dafür, diesen Effekt nicht zu überschätzen. Demnach verstärkt die Videobeobachtung das Sicherheitsgefühl vor allem bei Menschen, die sich ohnehin bereits sicher fühlen. Auch kann sie negative Stereotype noch verstärken bzw. implizieren, dass an einem bestimmten Ort überhaupt ein Sicherheitsproblem besteht. In Bevölkerungsumfragen gibt etwa die Hälfte der Befragten an, dass Videobeobachtung ihr Sicherheitsgefühl steigere. Anderen Faktoren wird allerdings eine deutlich höhere Bedeutung beigemessen, etwa einer ausreichenden Beleuchtung oder der Anwesenheit von (Sicherheits-)Personal. Falls keine Echtzeitauswertung stattfindet und folglich auch eine schnelle Intervention ausgeschlossen ist, wird ggf. eine Sicherheitserwartung erzeugt, der gar nicht entsprochen werden kann.“ (TAB-Studie S. 17/18)

Problematisch, so die TAB-Studie, sei auch, dass immer größere Teile der Datenauswertung von Software übernommen wird. So würden beispielsweise bei Grenzkontrollen Computerprogramme zur Gesichtserkennung eingesetzt. Neben der noch größeren Gefahr für die Privatsphäre als bei Videoüberwachung sieht die Studie hier ein großes Potenzial für rassistische Diskriminierung.

Auch der Nutzen von Überwachung mittels Staatstrojaner sei nicht erwiesen, so die Studie. Ihr Einsatz stelle aber einen besonders tiefen Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte dar, da Staatstrojaner die Verschlüsselung von Inhalten umgehen können.

2 Comments

  1. Online aus Heft und Blog

    EU-Datenschützer bringt Europol-Befugnis vor Gericht
    Videoüberwachung aus der Stratosphäre
    Staaten wollen EuGH-Urteil zu Passagierdaten umgehen
    US-Regierung will europäische Biometriedaten
    Chronologie Oktober 2022
    Chronologie September 2022
    Chronologie August 2022
    Mythos Clankriminalität
    Redaktionsmitteilung
    Mythos „Clankriminalität“: Die Ethnisierung von Kriminalität

    https://www.cilip.de/

  2. Dr. Norbert Häring
    Bald chinesische Verhältnisse? EU-Regierungen wollen Kameras mit Gesichtserkennung im öffentlichen Raum

    8. 11. 2022 | Wenn es nach dem aktuellen Vorschlag des EU-Rats geht, soll die automatisierte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zulässig werden. Die vorgesehenen Bedingungen sind so leicht zu erfüllen, dass einer automatisierten biometrischen Totalüberwachung des öffentlichen Raums wie in China wenig entgegenstehen würde.

    https://norberthaering.de/news/eu-verordnung-kuenstliche-intelligenz/

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    am 07. November 2022
    0
    EU-Regierungen wollen den Weg für biometrische Massenüberwachung im öffentlichen Raum freimachen
    Europaparlament
    Freiheit, Demokratie und Transparenz
    Pressemitteilungen

    Heute wurde der Kompromissvorschlag der EU-Ratspräsidentschaft für die geplante Verordnung über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) öffentlich. Patrick Breyer, Abgeordneter der deutschen Piraten im Europäischen Parlament, warnt davor, dass der Text der biometrischen Massenüberwachung im öffentlichen Raum Tür und Tor öffnen würde:

    “Dieser Vorschlag würde den permanenten und flächendeckenden Einsatz der Gesichtsüberwachung rechtfertigen, um nach Tausenden von ‘Opfern’, ‘Bedrohungen’ und Verdächtigen ‘schwerer Straftaten’ zu suchen, die immer zur Fahndung ausgeschrieben sind. Wir müssen eine dystopische Zukunft der biometrischen Massenüberwachung nach chinesischem Vorbild in Europa verhindern! Diese Technologie wird von autoritären Ländern wie Russland oder dem Iran missbraucht – wollen unsere Regierungen uns etwa in dieselbe Richtung führen?

    Mit Fehlerquoten (Falschmeldungen) von bis zu 99 % hat die ineffektive Gesichtsüberwachungstechnologie nichts mit der gezielten Suche zu tun, als die die Befürworter sie darzustellen versuchen. Es gibt kein einziges Beispiel dafür, dass biometrische Echtzeit-Überwachung einen Terroranschlag verhindert, “vermisste Kinder” gefunden oder ähnliches zustande gebracht hätte.

    Wir müssen uns gegen die biometrische Massenüberwachung unserer öffentlichen Räume wehren, denn diese Technologien erfassen zu Unrecht eine große Zahl unschuldiger Bürger:innen, diskriminieren systematisch unterrepräsentierte Gruppen und haben eine abschreckende Wirkung auf eine freie und vielfältige Gesellschaft. Rechtsvorschriften, die eine wahllose Massenüberwachung zulassen, wurden von den Gerichten immer wieder wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den Grundrechten für nichtig erklärt. Das Europäische Parlament wird dafür kämpfen müssen, dass dieses Verbot Teil der KI-Verordnung wird!”
    ….
    https://www.patrick-breyer.de/eu-regierungen-wollen-den-weg-fuer-biometrische-massenueberwachung-im-oeffentlichen-raum-freimachen/

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