Bundesverfassungsgericht: Verfassungsbeschwerde zur Volkszählung 2022 (Zensus 2022) nicht zur Entscheidung angenommen

Zensus-neindanke/ März 3, 2022/ alle Beiträge, Volkszählung (Zensus / Mikrozensus)/ 3 comments

Mit Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20.01.2022 wurde die seit August 2019 anhängige Verfassungsbeschwerde gegen eine umfangreiche, nicht anonymisierte Meldedaten-Erfassung im Zuge der zwischenzeitlich auf 2022 verschobenen Volkszählung („Zensus 2022“) nicht angenommen. Fünf Personen hatten die Verfassungsbeschwerde mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. (GFF) und des Arbeitskreis Zensus erhoben.

Logo des Arbeitskreis Zensus (AK Zensus)

Die Bürgerrechtsgruppe freiheitsfoo, deren örtlicher Schwerpunkt die Region Hannover ist, hat am 03.03.2022 zu dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgericht Stellung genommen.

Zum Hintergrund der Verfassungsbeschwerde informiert freiheitsfoo wie folgt: Die fünf Beschwerdeführer hatten sich, unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), im Januar 2019 gegen den § 9a des Zensusvorbereitungsgesetzes 2021 mit einem Eilantrag an das BVerfG gewendet . Mittels dieses im Dezember 2018 kurzfristig vom Bundestag hinzugefügten Paragraphen wurde die Zusammenziehung umfangreicher Meldedatensätze aller Einwohner Deutschlands am zum Stichtag 13. Januar 2019 beschlossen und genehmigt. Die sensible Zusammenziehung und Zusammenfügung der Daten wurde lediglich mit dem Test der für den Zensus erarbeiteten Software-Komponenten begründet. Dieses Vorgehen widerspricht nach Auffassung der Beschwerdeführer grundsätzlich von den Anforderungen an Datensparsamkeit und Verhältnismäßigkeit, insbesondere, da es sich nur um einen Test der Software handeln sollte. Per Eilentscheid des BVerfG im Januar 2019 wurde der Antrag jedoch zurückgewiesen und damit zunächst die Rechtsstaatlichkeit der Zensusvorbereitung bestätigt. Die Richter und Richterinnen des BVerfG hatten in ihrem Eilentscheid ungewöhnlich offen mitgeteilt, dass sie die Skepsis teilen und (implizit) die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde angeregt. Die fünf Beschwerdeführer legten zusammen mit der GFF im August 2019 eine ausführlich begründete Verfassungsbeschwerde gegen das Zensusvorbereitungsgesetzes 2021 ein. Sie prangerten ihre Grundrechtsverstöße durch die Erstellung einer solchen vollständigen und nicht anonymisierten Einwohner-Datenbank der BRD an. Dass solch eine nicht anonymisierte Einwohner-Datenbank mehr als heikel ist und ein lohnenswertes Ziel für Datenräuber darstellt beweist der erfolgreiche Angriff auf die Infrastruktur der Zensus-IT in 2021. Diese Risiken und die Frage der Verhältnismäßigkeit der Volkszählungs-Maßnahmen wollen die Karlsruher Richter nun nicht weiter beleuchten und verhandeln und verweisen in der dürren Ablehnung der Verfassungsbeschwerde vom 20.1.2022 auf das Subsidiaritäts-Prinzip. Man wirft den Beschwerdeführern also vor, sich mit ihrer Beschwerde nicht erst an niederrangigere Gerichte gewendet zu haben.“

Bewertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durch die Bürgerrechtsgruppe freiheitsfoo: Diese Ablehnungsbegründung ist mindestens merkwürdig, wenn nicht fragwürdig… Da der Bescheid aus Karlsruhe unanfechtbar ist wird die jetzige Volkszählung (und auch alle folgenden) von den erhobenen Bedenken unberührt fortgesetzt und durchgeführt werden können. Einen öffentlichen Diskurs zur Hinterfragung der Notwendigkeit und des Umfangs (auch der Kosten) des Zensus gibt es nicht. Derweil versuchen die dafür verantwortlichen Stellen diesen auch gar nicht erst entstehen zu lassen und vermeiden in vorgefertigten Textbausteinen zu Medienberichten über den Zensus ebendieses Wort so weit wie irgend möglich.“


In Hessen besteht nach § 14 Hessisches Ausführungsgesetz zum Zensusgesetz 2022 kein Auskunftsrecht, über welche personenbezogenen Daten das Hessische Statistische Landesamt verfügt. Damit werden zwingende Regelungen in Art. 15 DSGVO (Auskunftsrecht der betroffenen Person) außer kraft gesetzt; nicht jedoch der Art. 14 DSGVO (Informationspflicht, wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden).

Roland Schäfer, freiberuflich als Datenschutz-Fachkraft tätig und aktives Mitglied der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main, erklärte dazu im : „Diese hessische Vorschrift ist europarechtswidrig! Europäisches Recht – die Europäische Datenschutz-Grundverordnung – kann durch nationales Gesetz nicht ohne weiteres außer Kraft gesetzt werden. Auch der Art. 89 DSGVO, der im Kontext von statistischen Erhebungen Ausnahmen vom Auskunftsrecht zulässt, greift hier nicht.”

  • In Kenntnis dieser Sach- und Rechtslage hat die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main ein Musterschreiben entwickelt, mit der Menschen mit Erstwohnsitz in Hessen beim Hessischen Statistischen Landesamt abfragen können,
  • über welche zu ihrer jeweiligen Person gespeicherten Daten das Hessische Statistische Landesamt verfügt;
  • welche neuen personenbezogenen Daten aus diesen generiert wurden;
  • aus welchen Quellen dieser personenbezogenen Daten stammen und
  • an welche anderen Stellen diese personenbezogenen Daten weiter gegeben wurde.

Das Musterschreiben ist hier in einer einfach zu nutzenden Form veröffentlicht.

Inzwischen haben einige Personen entsprechende Schreiben an das Hessische Statistische Landesamt versandt. Wenn erste Rückmeldungen des Amtes zu diesen Auskunftsbegehren vorliegen, wird die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main diese prüfen und entscheiden, mit welchen weiteren rechtlichen Schritten ggf. ein Auskunftsrecht durchgesetzt werden kann.

Interessierte Bürger*innen mit Erstwohnsitz in Hessen werden auf Wunsch über die weitere Entwicklung informiert. Eine E-Mail an kontakt[at] ddrm.de genügt.

3 Comments

  1. Wir haben nun einen Brief im Briefkasten gefunden. Keine Anschrift drauf. Also kann der irgendwo eingeworfen werden.
    Ihr Termin für Befragungen an Wohnheimen steht dort. Man soll den Befrager anrufen und Termin machen. Nun leben wir in einem Mehrpersonenmietshaus nicht in einem Wohnheim. Was soll den. So etwas? Oder soll man den Brief dann in irgend einen anderen Briefkasten einwerfen?
    Es läuft doch jetzt schon alles falsch.

  2. Am besten Brief zurück an die kommunale Erhebungsstelle. Sie möchten ihn verifizieren und alle Ihre Fragen beantworten.

  3. Kann man sich irgendwie dagegen wehren? Ich denke, dass ist rechtswidrig.

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