Unseriös, interessengeleitet und rechtlich zweifelhaft: Siemens-BKK missbraucht Valsartan-Medikamentenskandal zur Werbung für Telematik-Infrastruktur

Datenschutzrheinmain/ Juli 25, 2018/ alle Beiträge, Gesundheitsdatenschutz, Telematik-Infrastruktur/ 2Kommentare

Durch zwei Anfragen der Bundestagsabgeordneten Kordula Schulz-Asche (Grüne) an die Bundesregierung wurde vor wenigen Tagen bekannt, dass von dem Medikamentenskandal um den möglicherweise mit krebserregenden Stoffen verunreinigten Wirkstoff Valsartan ca. 900.000 Menschen in Deutschland betroffen sind. Dies ist nicht der einzige Medikamentenskandal aus den letzten Tagen. Ein Pharmahändler aus Brandenburg hat in Griechenland gestohlene und möglicherweise unwirksame Krebsmedikamente aus Profitgier in Umlauf gebracht.

Gertrud Demmler, Mitglied des Vorstands der Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK), hat mit einer Stellungnahme vom 20.07.2018 versucht, die Angst der Menschen, die Valsartan als Medikament genutzt haben, politisch zu instrumentalisieren. Sie erklärt: „Valsartan sorgt derzeit für Diskussionsstoff. Präparate mit diesem Wirkstoff werden zur Behandlung von Bluthochdruck und leichter bis mittelschwerer Herzinsuffizienz verschrieben – nun sind Chargen davon mit einer wahrscheinlich krebserregenden Substanz verunreinigt worden… Gleichzeitig diskutieren ironischerweise Ärzteschaft, Politik und Krankenkassen über die Zukunft der elektronischen Patientenakte. Was das mit dem Valsartan-Rückruf zu tun hat? Angenommen, es gäbe eine fertige Telematikinfrastruktur und einen geregelten Zugriff darauf. Angenommen, der Versicherte wäre wirklich Herr seiner Daten und dieses Recht wäre gesetzlich verankert. Dann wäre es im Fall Valsartan anders gelaufen als heute. Wir Krankenkassen hätten die vorliegenden Abrechnungsdaten der Apotheker nutzen dürfen oder hätten sogar Zugriff auf die ganz aktuellen Verordnungsdaten – falls der Versicherte dem zugestimmt hat. Wir hätten die Betroffenen aktiv aufklären können, was überhaupt passiert ist und was jetzt zu tun ist. Wir hätten ihnen sagen können, dass sie für ein neues Rezept noch einmal zum Arzt gehen müssen und was wir als Kasse für sie tun können. Wir hätten diese Informationen als Push-Nachricht in der App an unseren Versicherten schicken, per E-Mail oder telefonisch übermitteln können. Wir hätten ihnen damit die Unsicherheit nehmen können.“

Die Botschaft von Frau Demmler lautet kurz gefasst: Gebt uns Zugriff auf all Eure Behandlungs- und Gesundheitsdaten! Vertraut uns, es ist nur zu Eurem Besten! Was Frau Demmler  dabei wohlweislich verschweigt: Behandlungs- und Gesundheitsdaten unterliegen einer Zweckbindung. Auch dann, wenn die elektronische Gesundheitskarte (eGk) in irgend einer Zukunft geeignet sein sollte, medizinische Daten, Befunde, Diagnosen, Therapieempfehlungen, Behandlungsberichte und Medikationspläne (§ 291a Abs. 3 SGB V) aufzunehmen, dürften die Krankenkassen – auch bei Zustimmung von Patien*innen – auf diese Daten nicht zugreifen. Dies ist gem. § 291a Abs. 4 und 5 SGB V ausschließlich (Zahn-)Ärzt*innen, Apotheker*innen und deren berufsmäßigen Gehilf*innen erlaubt.

Bereits in einer Pressemitteilung der SBK vom 25.01.2017 forderte Frau Demmler unverhüllt einen Zugriff der Krankenkassen auf Gesundheits- und Behandlungsdaten ihrer Versicherten: „Der aktuelle Datenschutz sieht die Kassen vorrangig als Kostenträger und verbietet das Zusammenführen von Gesundheitsdaten zu Beratungszwecken. Das ist nicht vereinbar mit dem Beratungsauftrag der Kassen und entspricht auch nicht dem, was viele Versicherte von uns erwarten: maßgeschneiderte Beratung und für sie passende Unterstützungsangebote.“ Hier wurde missbräuchlich bzw. interessengeleitet der z. B. in § 39b Abs. 1 SGB V bzw. § 44 Abs. 4 SGB V formulierte Beratungsauftrag der Krankenkassen als Vorwand genommen, um datenschutzrechtliche Hürden zu schleifen und Zugriff auf Gesundheits- und Behandlungsdaten zu erhalten.

Zum Valtarsan-Skandal sagt Frau Demmler jetzt: “ Wir hätten die Betroffenen aktiv aufklären können, was überhaupt passiert ist und was jetzt zu tun ist. Wir hätten ihnen sagen können, dass sie für ein neues Rezept noch einmal zum Arzt gehen müssen und was wir als Kasse für sie tun können… Wir hätten ihnen damit die Unsicherheit nehmen können.“ Diese Aufklärung hätte die SBK auch ohne Zugriff auf Gesundheits- und Behandlungsdaten ihre Versicherten betreiben können. Durch aktive Medienarbeit, durch Veröffentlichungen auf ihrer Homepage, auch durch direkte postalische Information.

Deshalb bleibt festzustellen: Hier versuchen Frau Demmler und die SBK, ihre Versicherten für dumm zu verkaufen.


Der Beitrag stützt sich in Teilen auf den Kommentar eines SBK-Mitglieds auf der Homepage des Vereins Patientenrechte und Datenschutz e. V.

2 Kommentare

  1. Frau Demmler hat nach dem, was ich gelesen habe direkt in diesem Zusammenhang gesagt „falls der Versicherte dem zugestimmt hat“. Zur Selbstbestimmtheit des Bürgers muss es auch gehören, sich über selbst bestimmte Datenfreigaben vor Leid und Tod bewahren zu lassen. Datenschutz darf in diesem Zusammenhang eben auch nicht bedeuten, dass ich ungefragt „vor der gewünschten Verwendung meinen Daten geschützt“ werde, denn ich bin mündig.
    Auch durch „Fettdruck“ einzelner Passagen kann man versuchen, Menschen für „dumm zu verkaufen“. Dem Thema Telematikinfrastruktur gebührt eine deutlich sachlichere Auseinandersetzung als so etwas.

    1. Hallo Herr Franz,

      im oben stehenden Beitrag wird Frau D. doch korrekt und ohne Auslassungen zitiert: „Wir Krankenkassen hätten die vorliegenden Abrechnungsdaten der Apotheker nutzen dürfen oder hätten sogar Zugriff auf die ganz aktuellen Verordnungsdaten – falls der Versicherte dem zugestimmt hat.“ Lediglich ein Teil dieser Aussage wurde hervorgehoben. Und im Zusammenhang mit der weiteren Aussage von Frau D. „Wir hätten die Betroffenen aktiv aufklären können, was überhaupt passiert ist und was jetzt zu tun ist. Wir hätten ihnen sagen können, dass sie für ein neues Rezept noch einmal zum Arzt gehen müssen und was wir als Kasse für sie tun können“ geschieht das m. E. durchaus auch zu Recht.

      Zwei Fragen an Sie, Herr Franz:

      Ist Ihr Pseudonym „Michael Franz“ zufällig gewählt?

      Oder sind Sie eventuell gar tatsächlich “ Michael Franz, Vice President Business Development und Prokurist der CGM Clinical Deutschland GmbH, Bochum“ und damit Vertreter eines Unternehmens, das sich mit der Telematik-Infrastruktur eine goldene Nase verdient?

      Die Antwort auf diese Fragen interessieren sicher nicht nur mich als Leser dieses Beitrags.

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