Ausbau der Videoüberwachung in Berlin: Überwachungsträume ausgeträumt?

Datenschutzrheinmain/ Januar 20, 2018/ alle Beiträge, Videoüberwachung/ 0Kommentare

Fredrik Roggan, Professor an der Polizeihochschule Brandenburg, hat im Auftrag der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf der Initiative für mehr Videoüberwachung rechtlich überprüft. Die Initiative fordert ein Gesetz, mit dem im Stadtgebiet von Berlin die Hürden für die Ausweitung der Video- und Audioüberwachung deutlich abgesenkt werden sollen. Unter anderem Fahrradabstellplätze oder Plätze mit großen Menschenansammlungen sollen nach Vorstellung der Initiatoren um den CDU-Bundestagsabgeordneten und früheren Berliner Justizsenator Thomas Heilmann und den früheren Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) zukünftig überwacht werden. Rund 2000 weitere Videoüberwachungskameras sollen an rund 50 Standorten in Berlin installiert werden.

Auf der Homepage der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ist das Gutachten von Prof. Roggan im Wortlaut veröffentlicht. Dieser hat seine Kritik in zehn Punkten zusammengefasst:

  1. Der Bundesgesetzgeber hat im Bereich der nicht-erkennbaren Datenerhebungen und -speicherungen durch technische Mittel außerhalb von Wohnungen zum Zwecke der Strafverfolgung von seiner Gesetzgebungskompetenz in abschließender Weise Gebrauch gemacht. Insoweit ist der Landesgesetzgeber an der Schaffung von Befugnissen mit strafverfolgungsvorsorgendem Charakter gehindert. Weil § 24a Abs. 2 ASOG-E die Möglichkeit zu nicht-erkennbaren Videoüberwachungen einschließlich entsprechend motivierten Datenspeicherungen eröffnet, wäre ein Volksbegehren mit dem Inhalt des gegenständlichen Entwurfs nach hiesiger Ansicht insgesamt unzulässig im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 1 AbstG.
  2. Die Regelung zu Videoüberwachungen an gefährdeten Objekten nach § 24a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ASOG-E begegnet unter Bestimmtheitsgesichtspunkten erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
  3. Die Soll-Regelung hinsichtlich einer dauerhaften Videoüberwachung von ‚gefährlichen Orten‘ ist mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) abgeleiteten Bestimmtheitsgrundsatz nach hiesiger Auffassung unvereinbar.
  4. Bei der Wendung von einer ‚möglichst intelligenten Videoaufklärung‘ in § 24a Abs. 1 S. 4 ASOG-E handelt es sich nicht nur um einen in der Gesetzessprache untunlichen Modebegriff, sondern auch unter Bestimmtheitsgesichtspunkten untragbare Formulierung, die im Ergebnis als Gebot einer sukzessiven Überwachungsoptimierung verstanden werden könnte.
  5. Die fehlende Regelung, wann eine Videoüberwachung nicht als solche erkennbar sein muss (§ 24a Abs. 2 ASOG-E), ist mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) abgeleiteten Bestimmtheitsgrundsatz nach hiesiger Auffassung unvereinbar.
  6. Der Verweis von § 24a Abs. 4 ASOG-E ‚auf sich selber‘ ist offensichtlich unsinnig.
  7. Die fehlende – präzise! – Festlegung auf eine maximal zulässige Dauer des ‚Pre-Recording‘ bei Videoüberwachungen zur Eigensicherung (§ 19a Abs. 1 S. 3 ASOG-E) ist mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nach hier vertretener Ansicht unvereinbar.
  8. Nicht-erkennbare Videoüberwachungen im öffentlichen Verkehrsraum (§ 24a Abs. 2 ASOG-E) sind mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (im engeren Sinne) nach hier vertretener Auffassung klar unvereinbar.
  9. Unter Zurückstellung der unter 8. genannten Bedenken sind insbesondere nicht-erkennbare Tonaufnahmen im öffentlichen Verkehrsraum (§ 24a Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Abs. 2 ASOG-E) mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht vereinbar.
  10. Eine Absenkung der Eingriffsschwelle für Videoüberwachungen unter das Niveau für Identitätsfeststellungen an gefährlichen Orten im überkommenen Sinne begegnet unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erheblichen Bedenken.“

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