Einführung einer Zentralen Personen-Kennziffer in Deutschland? Nationaler Normenkontrollrat veröffentlicht Gutachten „Mehr Leistung für Bürger und Unternehmen: Verwaltung digitalisieren. Register modernisieren.“
Am 06.10.2017 hat der Nationale Normenkontrollrat ein Gutachten mit dem Titel „Mehr Leistung für Bürger und Unternehmen: Verwaltung digitalisieren. Register modernisieren.“ an das Bundeskanzleramt übergeben. Der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrates Dr. Johannes Ludewig erklärt aus diesem Anlass: „Moderne Register ermöglichen den Zugang zum vorhandenen Datenschatz und verbessern den Datenschutz – sie sind das Fundament für wirksames E-Government…“
Ein „Datenschatz“ soll gehoben werden!
Und wie soll das erfolgen? Indem der Gesetzgeber
„einheitliche Identifikationsnummern für Personen, Unternehmen, Gebäude und Wohnungen“
(Gutachten S. 40) möglich macht. Zur Begründung wird u. a. auf Erfahrungen und Praxis anderer europäischer Staaten verwiesen: „Deutschland darf den Anschluss an die Digitalisierungspioniere nicht verpassen und sollte sich bei der Modernisierung seines Registerwesens an erfolgreich etablierten Lösungen orientieren. Beispiele sind die datenschutzkonforme Verknüpfung von Personendaten in Estland und Österreich, die dezentrale, aber harmonisierte Registerführung in der Schweiz, das sogenannte „Once Only“ – Prinzip für Basisdaten in Dänemark sowie die vollständige Digitalisierung komplexer Verwaltungsleistungen durch vernetzte Register in Schweden.“ (Gutachten S. 10)
Ein Hemmnis bei diesen Planungen ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16.07.1969 (Aktenzeichen 1 BvL 19/63)
„Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren…“. Diesen Satz hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in dieser Entscheidung den politisch Handelnden in Exekutive und Legislative und auch dem Nationalen Normenkontrollrat ins Stammbuch geschrieben.
Im Zeitalter elektronischer Datenverarbeitung scheint das bei den politisch Verantwortlichen aber in Vergessenheit geraten zu sein. Wie anders ist es erklärbar, dass bereits seit mehreren Jahren jeder Mensch von Geburt an mit der lebenslangen Steuer-ID (Rechtsgrundlage: § 139 Abgabenordnung), der lebenslangen Krankenversichertennummer (Rechtsgrundlage: § 290 SGB V) und spätestens mit Eintritt ins Berufsleben der lebenslangen Sozialversicherungsnummer (Rechtsgrundlage: §§ 18f – 18h SGB IV) zum gläsernen Staatsbürger gemacht wird. Denn mit Hilfe dieser drei Identifikationsmerkmale lassen sich nahezu alle Aktivitäten eines Menschen außerhalb seines allerprivatesten und intimsten Lebensbereiche ihm zuordnen und auswerten.
Nach dem Empfehlungen des Nationalen Normenkontrollrats soll dieses System weiter ausgebaut werden.
Im der das Gutachten begleitenden Untersuchung der Universität Speyer „Rechtliche Grenzen einer Personen- bzw. Unternehmenskennziffer in staatlichen Registern“ wird daher zu Recht festgestellt: „Ein dauerhaftes Kennzeichen für jeden Deutschen gilt – vor dem Hintergrund der deutschen Erfahrungen mit totalitären Herrschaftssystemen – als ‚rotes Tuch‘ der Staat-Bürger-Beziehung. Denn in dem Kennzeichen schlummert die Möglichkeit, dass der Staat umfassende Persönlichkeitsprofile erstellt und damit das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger durch eine Katalogisierung der Persönlichkeit systematisch aushöhlt.“ (Untersuchung S. 61)
Trotzdem kommen die Juristen der Universität Speyer zum Ergebnis: „Das Modell einer PKZ, die auf der Grundlage lebensbereichsspezifischer Kennziffern aufbaut und eine Zusammenführung der Daten durch organisatorische Trennung und technische Maßnahmen wirksam verhindert, kann… auch in Deutschland rechtlich zulässig sein.“ (Untersuchung S. 63) Sie verweisen dazu auf das in Österreich gewählte Verfahren (Untersuchung S. 62, Gutachten des Nationalen Normenkontrollrats S. 28).
Um noch einmal das Bundesverfassungsgericht zu Wort kommen zu lassen. Es hat in seiner
Entscheidung vom 16.07.1969 auch festgestellt: „In der Wertordnung des Grundgesetzes ist die Menschenwürde der oberste Wert… Damit gewährt das Grundgesetz dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist… Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen… Ein solches Eindringen in den Persönlichkeitsbereich durch eine umfassende Einsichtnahme in die persönlichen Verhältnisse seiner Bürger ist dem Staat auch deshalb versagt, weil dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein ‚Innenraum‘ verbleiben muß, in ndem er ‚sich selbst besitzt‘ und ‚in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt‘…In diesen Bereich kann der Staat unter Umständen bereits durch eine – wenn auch bewertungsneutrale – Einsichtnahme eingreifen, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme zu hemmen vermag…“
Ein kritischer Blick auf die Empfehlungen des Nationalen Normenkontrollrats „Verwaltung digitalisieren. Register modernisieren.“ ist dringend geboten!
- Das Gutachten des Nationalen Normenkontrollrats „Mehr Leistung für Bürger und Unternehmen: Verwaltung digitalisieren. Register modernisieren.“ finden Sie hier,
- die ergänzende Dokumentation finden Sie hier,
- die Untersuchung des Statistischen Bundesamtes „Ein Blick in die Registerlandschaft in Deutschland“ finden Sie hier,
- die Untersuchung des Statistischen Bundesamtes „Registernutzung in Zensus und Bevölkerungsstatistik in Österreich und der Schweiz“ finden Sie hier,
- die Untersuchung der Universität Speyer „Rechtliche Grenzen einer Personen- bzw. Unternehmenskennziffer in staatlichen Registern“ finden Sie hier.