Telekommunikationsüberwachung bei Flüchtlingen und AsylbewerberInnen (III): Auch Bundesdatenschutzbeauftragte und Paritätischer Wohlfahrtsverband lehnen Verschärfung des Ausnahmerechts ab
Am 09.02.2017 fand in Berlin eine Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und –chefs der 16 Bundesländer zum Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik statt. Im Rahmen eines dort beschlossenen Maßnahmepakets wurde u. a. eine Verschärfung des Sonderrechts bei der Überwachung von Telekommunikationsdaten von Flüchtlingen und AsylbewerberInnen (Pflicht zur Herausgabe von Handy und Laptop) beschlossen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ wird am 27.03.2017 im Bundestag im Rahmen einer Anhörung beraten. Der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff lehnen die beabsichtigte Maßnahme (Pflicht zur Herausgabe von Handy und Laptop) ab.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat in einer Stellungnahme für die Anhörung am 27.03.2017 im Innenausschuss des Bundestag erklärt: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll die Kompetenz zur Auswertung von Handy-Daten zur Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit erhalten. Die Datenauswertung darf zwar nur von Bediensteten des BAMF mit einer Befähigung zum Richteramt vorgenommen werden – ein Richtervorbehalt ist aber nicht vorgesehen. Der hier geplante Eingriff in das grundgesetzlich garantierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbandes im Hinblick auf seine Verhältnismäßigkeit schwer zu rechtfertigen. Handys und andere mobile Datenträger enthalten heutzutage eine Fülle von Informationen, die dem Kernbereich der Privatsphäre zuzurechnen sind. Der Zugriff auf solche Daten unterliegt in Deutschland engen Schranken. So regelt § 100g Abs. 2 der Strafprozessordnung, dass nur der Verdacht besonders schwerer Straftaten einen entsprechenden Eingriff rechtfertigen kann – und dies auch nur nach richterlicher Genehmigung. Diesen sieht der Gesetzesentwurf gerade nicht vor, so dass der Eindruck entstehen könnte, die Grundrechte von Asylsuchenden seien in Deutschland weniger schützenswert. Dies ist jedoch nicht der Fall.“
Andrea Voßhoff, Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, wird von der Süddeutschen Zeitung vom 26.03.2017 zitiert mit der Aussage: „Das Vorhaben, die Mobiltelefone von Flüchtlingen auszulesen, erweckt bei der Bundesbeauftragten für den Datenschutz schwere Bedenken. Sie habe Zweifel, dass dieser massive Eingriff in Grundrechte verfassungsgemäß sei…“
PRO ASYL hatte bereits in einer Stellungnahme vom 10.02.2017 erklärt: „Die Regelung ermöglicht en passant einen umfassenden Zugriff des BAMF auf private Daten von Geflüchteten… Aus der Perspektive von Geflüchteten, die aus autoritären Regimen geflohen sind, dürfte es zusätzlich irritierend sein, wenn von ihnen in Deutschland umfassend private Daten herausverlangt werden.“
Auch Peter Schaar, ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter kommt zum Ergebnis: „Behörden oder sonstige Stellen, die Einsicht in Smartphones, Laptops und Tablet Computer nehmen, verschaffen sich damit Zugang zum gesamten digitalen Abbild des Lebens der Nutzer. Im konkreten Anwendungsfall – im Asylverfahren – ist damit zu rechnen, dass auf Smartphones und Tablet Computern eine Vielzahl höchst sensibler Informationen gespeichert sind, welche die Erlebnisse, Kontakte und Gefühle der Asylbewerber offen legen… Zudem befinden sich darauf vielfach Informationen über anwaltliche Beratungen, die Konsultation von Hilfseinrichtungen für Traumatisierte, zu Menschenrechtsorganisationen oder Flüchtlingsinitiativen…“ Schaar hält die für einen unverhältnismäßigen Eingriff in Grundrechte der betroffenen Personen und stellt fest: „Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seiner Entscheidung zur ‚Online-Durchsuchung‘ am 22. Februar 2008 (1 BvR 370/07) festgestellt, dass die Nutzung informationstechnischer Systeme für die Persönlichkeitsentfaltung vieler Bürger von zentraler Bedeutung ist und zugleich neuartige Gefährdungen der Persönlichkeit mit sich bringt: ‚Eine Überwachung der Nutzung solcher Systeme und eine Auswertung der auf den Speichermedien befindlichen Daten können weit reichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Nutzers bis hin zu einer Profilbildung ermöglichen. Hieraus folgt ein grundrechtlich erhebliches Schutzbedürfnis.‘…“
Die Verteidigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung muss gleichermaßen für Deutsche wie für in Deutschland lebende AusländerInnen gelten – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Nicht umsonst lautet Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“