Wem gehören die Patientendaten? – Eine Auseinandersetzung mit den Thesen von Dr. Stefan Etgeton von der Bertelsmann Stiftung
Die BertelsmanStiftung hat eine neues Blog „Der digitale Patient“ gestartet. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwei Dinge zu erkennen:
- Der Vorstand der BertelsmannStiftung besteht aus Aart de Geus, Liz Mohn, Jörg Dräger und Brigitte Mohn. Eine enge Nähe zum Bertelsmann-Konzern ist also unverkennbar. Der Bertelsmann-Konzern ist mit Arvato Systems maßgeblich im Bereich Gesundheitstelematik tätig.
- Die Bertelsmann-Stiftung erstellt Gutachten in Bereichen, in denen der Bertelsmann-Konzern geschäftlich aktiv ist. Diese Gutachten nehmen Einfluss auf die deutsche Regierungspolitik.
Es ist also zu befürchten, dass das neue Blog nicht unabhängig von Bertelsmann-Geschäftinteressen ist.In seinem Beitrag „Wem gehören die Daten? Digitale Patientensouveränität im Stadium der Morgenröte“ diskutiert Dr. Stefan Etgeton die Frage nach dem Eigentum an den Patientendaten. Dies ist natürlich von erheblicher Brisanz, denn der Eigentümer der Daten entscheidet, was damit geschehen darf.So schreibt er: „Wie gehen wir künftig mit Patientendaten um? Wer ist Eigner der Daten, wer darf darauf zu welchen Zwecken zugreifen? Und wie erlangt der Patient die notwendige Souveränität über seine Daten? Diese Fragen sind nicht neu, erlangen aber durch den digitalen Wandel des Gesundheitswesens ganz neue Brisanz. Eines ist klar: Das bestehende juristische Instrumentarium dürfte nicht ausreichen, um darauf angemessene Antworten zu finden.“
Hier schlägt er in die gleiche Kerbe wie Mohn-Freundin Angela Merkel, die gerne immer wieder mal von den Daten als dem Rohstoff des 21. Jahrhunderts fabuliert, die einen „besseren Zugang zum Kunden“ ermöglichen sollen.
Vordergründig liest sich Etgetons Artikel sehr patientenfreundlich: „Hinsichtlich der Schutz- und Zugriffsrechte des Patienten sollten in der digitalen Welt annähernd gleiche Bedingungen gelten wie in der analogen. So muss es dem Patienten erlaubt und möglich sein, Informationen gezielt zu steuern oder – wie in analogen Zeiten – auch vorzuenthalten.“ schreibt er etwa. Unmittelbar darauf beschwört er aber die schlimmen Konsequenzen: „Das Recht auf Verschweigen ist unveräußerlich, auch wenn dessen Folgen nicht zuletzt der Patient selbst zu tragen hätte.“ Aha. Hier wird schon deutlich, dass jemand auf Samtpfoten daherkommt, aber letztlich doch irgendwie am Recht auf informationelle Selbstbestimmung sägen will. Etgeton ist klar, dass „das bestehende
juristische Instrumentarium“ „nicht ausreicht„, um beliebige Datenauswertungen auf den Patientendaten zu ermöglichen. Er plädiert dafür, als Default den „Austausch von Informationen hinter ihrem Rücken stattfinden“ zu lassen. Sein Blogbeitrag ist wohl als vorbereitende politische Landschaftspflege zu verstehen. Selbst das Ende 2015 verabschiedete eHealth-Gesetz gibt die von Bertelsmann herbeigesehnten Schürfrechte auf unseren Patientendaten nämlich noch nicht her, hier muss das Gesundheitsministerium nochmal „nacharbeiten“!
Geschickt formuliert Etgeton die Verarbeitung der Patientendaten als einen Anspruch der Patienten und vermeidet es, irgendeinen Bezug auf das von Merkel so offen angesprochene wirtschaftliche Potential zu nehmen. Sehr deutlich redet er einer Opt-Out-Regelung das Wort: „Muss ein Patient dem Anlegen einer Arzneimitteldokumentation ausdrücklich zustimmen oder sollte sie als Standardanwendung laufen, so dass der Patient sie aktiv abschalten muss? Für Letzteres spricht die Tatsache, dass der Nutzen diese Anwendung unzweifelhaft sein dürfte und daher keinem Patienten vorenthalten werden sollte, der sich nicht ausdrücklich dagegen entscheidet.“ Aus Sicht der Gesundheitswirtschaft ist nämlich zu befürchten, dass bei einer aktiven Zustimmung der Patienten zu wenige mitmachen, als dass es sich lohnen könnte. Hier sei nur an die Studie von Booz Allen Hamilton aus dem Jahr 2006 erinnert, die klar besagt, dass das Gesundheitstelematikprojekt ohne elektronische Patientenakte nicht wirtschaftlich sein kann. Zudem ist bisher jegliche privatwirtschaftliche Versuch, eine solche Akte auf freiwilliger Basis zu etablieren, gescheitert. Das Interesse an dieser Patientenakte ist bei Etgeton nach wie vor groß: „Die digitale Patientenakte erleichtert es dem Patienten, in den Besitzt der (zusammengeführten) Daten zu geraten – Eigentum und Besitz fallen enger zusammen„. Bemerkenswert an seinem Schreibstil ist, dass er das Interesse der Wirtschaft als Interesse des Patienten verkaufen will. Dieser hat ja bereits die Möglichkeit, seine Akte selbst zu führen, indem er sich die Befunde vom Arzt geben läßt. Nur: Dann sind sie eben nicht für die Wirtschaft auswertbar!
Die Intention wird richtig deutlich, wenn Etgeton schreibt: „Oder besinnen sich die Patienten ihrer Rolle als Bürger und schaffen als Souverän der Gesetzgebung die Eigentumsrechte wieder ab, um aus den vorhandenen (pseudonymisierten) Daten ein öffentliches Gut zu machen, das den Zwecken der Versorgungsforschung und -verbesserung, der Patienteninformation und Qualitätstransparenz dienen kann?“ In diesem Satz verstecken sich gleiche mehrere Probleme: In vollkommener Souveränität sollen die Patienten eben diese abschaffen, indem sie die (lästigen) Eigentumsrechte an ihren Daten aufgeben. Zudem sollen diese in pseudonymisierter Form verfügbar werden. Jeder, der nur einen Funken Ahnung von Informationstechnik hat, weiß, dass damit jeglichem Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist. Pseudonymisierung bedeutet lediglich, dass der Name des Patienten durch eine Patientenummer ersetzt wird, praktischerweise am besten durch die lebenslang gültige Krankenversicherungsnummer. Ist die Zuordnung von Nummer zu Patient bekannt, kann alles über einen Patienten in Erfahrung gebracht werden.
„Die Balance zwischen Datenschutz und Informationsfreiheit ist das Signum eines datensouveränen Gemeinwesens„. Etgeton versucht, diese Balance zugunsten der Wirtschaft zu verschieben, indem er Patientenrechte schwächt oder abschafft. Ich plädiere dafür, diese Balance zu Gunsten des Patienten zu verschieben, indem bereits abgebaute Patientenrechte wiederhergestellt und bestehende Rechte gestärkt werden!
Links:
http://blog.der-digitale-patient.de/digitale-patientensouveraenitaet/
http://initiative-patientendaten.de/?p=302
http://www.ccc.de/de/updates/2006/krankheitskarte
Falsche Reihenfolge
Zunächst wird ein Master-System (MCP) mit 20 Milliarden Euro erschaffen, in dem das ganze Deutsche Gesundheitssystem verschwindet und in dem per Knopfdruck jederzeit die Schalter umgelegt werden können für den grenzenlosen Datenzugriff um dann Jahrzehnte später darüber zu diskutieren wem welche Daten gehören. Man hat es versäumt den Bürger aufzuklären, damit er mündig mit entscheiden konnte dieses IT-System umzusetzen. Gern wurde über die Komplexität der Technologien und Methoden verschleiert was eigentlich die eGK und Telematik-Infrastruktur ausmacht. Ist der Artikel und Blog nun das Zeichen von Transparenz und dem Willen die Bürger und die Community mit einem Blog miteinzubeziehen? Es ist ein Zeichen für die zunehmenden Aufklärung, die sich Dank der Datenschützer durchsetzt und ein Zeichen dafür, dass es nun nicht mehr so leicht wird das System in dieser Form umzusetzen. Die richtige Reihenfolge ist: Vollständiger Stopp des eGK/TI-Systems und Nachholung der Versäumnisse: Visualisierung und Analyse des neuen Deutschen Gesundheitssystems auch in einer verständlichen Fassung, neue KNA, Schaffung einer breiten Plattform für Neuentwicklungen ohne die angebliche allseits bekannte Alternativlosigkeit. Damit verbunden Stärkung der Rechte, der Demokratie und der Autonomität der Menschen.
http://www.meinegklage.de
Angelpunkt der Erwiderung auf meinen Blogbeitrag ist die mit nichts belegte Unterstellung, mir gehe es nicht um die Stärkung der Patientensouveränität, sondern um eine Überantwortung der Patientendaten an die Wirtschaft. Das Gegenteil ist der Fall – und so argumentiert auch der Text (Zitat: „neue Antworten sollten sich an der Datensouveränität des Patienten als grundlegendem Prinzip orientieren“). Tatsächlich ist es derzeit so, dass relevante Akteure der Gesundheitsbranche – nämlich Ärzteschaft und Krankenkassen – die Daten der Patienten und Versicherten monopolisieren; und die Onlinedienste oder Technologieunternehmen stehen auf dem zweiten, kommerziellen Gesundheitsmarkt schon in den Startlöchern, es ihnen gleichzutun. Insofern müsste der dem Patienten zugeschriebene Eigentumstitel an den „eigenen“ Daten zuallererst durchgesetzt werden – bevor man über eine genossenschaftliche Vergemeinschaftung oder andere Konzepte nachdenken kann. Wir werden den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs um den adäquaten Umgang mit Gesundheitsdaten in unserem Projekt und in unserem Blog künftig weiter begleiten.
Hier gibt es vor allem Folgendes festzustellen: Im Gegensatz zur BertelsmannStiftung unterliegen die Datenschützer Rhein-Main keinen wirtschaftlichen Verflechtungen. Und es gilt wohl nach wie vor „wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. Es ist sicher schwierig, Belege für Entwicklungen anzuführen, die noch in der Zukunft liegen. Im Falle des Bertelsmann-Konzerns haben wir jedoch das „Glück“, dass der Konzern bereits in der Vergangenheit in anderen Bereichen gezeigt hat, welche „Werte“ er aus den Daten der Bürger erschaffen kann. Hier sei nur an Arvato Infoscore erinnert. Man kann sicher trefflich darüber streiten, ob deren Datenauswertungen dem Gemeinwohl dienlich sind oder eher nicht.
Zur Daten“monopolisierung“ muss man sagen, dass die Patientendaten bereits heute in zu viele Hände gelangen. Es ist sicher richtig, dass ein Arzt zur Erfüllung seiner Aufgaben medizinische Daten benötigt, aber es ist sicher nicht so, dass jeder Arzt alle Daten kennen muss. Und die Krankenkassen verfügen heute mit den
Diagnosedaten definitiv über mehr Daten, als sie zur Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgaben benötigen. Dies verletzt sowohl das Prinzip der Datensparsamkeit als auch das Arztgeheimnis. Wer will denn tatsächlich schon, dass jede seiner Diagnosen jedem Krankenkassenmitarbeiter zugänglich ist?
Wer einer Opt-Out-Regelung das Wort redet („Muss ein Patient dem Anliegen einer Arzneimitteldokumentation ausdrücklich zustimmen oder sollte sie als Standardanwendung laufen, so dass der Patient sie aktiv abschalten muss? Für Letzteres spricht die Tatsache, dass der Nutzen diese Anwendung unzweifelhaft sein dürfte und daher keinem Patienten vorenthalten werden sollte, der sich nicht ausdrücklich dagegen entscheidet.“), betreibt eine Entmündigung des mündigen Patienten. Nur das Opt-In-Prinzip beachtet das Prinzip Patienten- bzw. Datensouveränität und Datensparsamkeit.
Wir werden das Projekt „Der digitale Patient“ der BertelsmannStiftung jedenfalls weiterhin aufmerksam beobachten und auf wirtschaftliche Verflechtungen mit dem Bertelsmann-Konzern und seinen Töchtern hinweisen.
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