Sozialgericht Gießen setzt Grenzen bei Auskunftsverlangen des Jobcenters gegenüber PartnerInnen von SGB-II-Leistungsberechtigten
Das Sozialgericht Gießen hat mit Urteil vom 23.02.2016 (Aktenzeichen: S 22 AS 1015/14) die Auskunftsansprüche gem. § 60 Abs. 4 SGB II gegenüber PartnerInnen von SGB-II-Leistungsberechtigten begrenzt und damit der bei Jobcentern häufig feststellbaren Datensammelwut Grenzen gesetzt.
Die Vorgeschichte: Der Kläger und die zu diesem Zeitpunkt beim Jobcenter Gießen im Leistungsbezug stehende Frau bildeten nach Ansicht des Jobcenters eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft. Das Jobcenter verlangte mehrfach schriftlich, zuletzt im Bescheidwege, vom Kläger die Vorlage von Einkommensnachweisen sowie mehrerer auszufüllender Formblätter, um seine Einkommensverhältnisse zu überprüfen. Die Formblätter richteten sich ausschließlich an Personen, die ihrerseits Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II begehren. Der Widerspruch, den der Kläger darauf stützte, dass er niemals Leistungen bezogen oder beantragt habe, blieb ohne Erfolg.
Das Urteil: Gestützt auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24.02.2011 (Aktenzeichen: B 14 AS 87/09 R, a. a. O.) stellte das Sozialgericht Gießen fest, dass geklärt ist, „dass der Leistungsträger von einem Partner, der selbst keine Leistungen beantragt, nach dem insoweit klaren Wortlaut des § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II nur die Erteilung von Auskünften, nicht aber die Vorlage von Belegen verlangen kann…“
Auf der Homepage Datenschutz-Notizen wird das Urteil wie folgt bewertet: „Diese Entscheidung hat erhebliche datenschutzrechtliche Konsequenzen: Aufgrund der verneinten Nachweispflicht muss sich das Jobcenter mit den Angaben des Partners im Rahmen der Auskunft begnügen. Und die weitere Speicherung von Einkommensnachweisen der Partner, die selbst nicht im Leistungsbezug stehen, dürfte demnach mangels Rechtsgrundlage unzulässig sein.Eine Möglichkeit zur Überprüfung des Wahrheitsgehalts bleibt den Jobcentern aber weiterhin: Bei Antragstellern können diese durch automatisierten Datenabgleich die Anwartschaften bei der Rentenversicherung, die Steuerdaten beim Veranlagungsfinanzamt, frühere Förderungen und Leistungen bei anderen Sozialversicherungsträgern abrufen. Dies gilt nach § 52 Abs. 1 S. 2 SGB II auch für Partner (einer Bedarfsgemeinschaft). Zwar geben diese Daten nur begrenzt Auskunft über das aktuelle Einkommen und noch weniger über das Vermögen. Dennoch können hohe Steuerlasten (im Vorjahr) als Indiz für ein entsprechend hohes Einkommen aktuell herangezogen werden, was eine begrenzte Plausibilitätsprüfung der Angaben der Partner ermöglicht.“
Darf das Amt vom Partner der Einstehensgemeinschaft der keinen Antrag auf Leistung stellt, Daten verlangen wie Lebenslauf und ob ein PKW da ist oder ein Führerschein?
Hallo und guten Tag Drato,
danke für deine Nachricht vom 22.6., 8:50 Uhr.
Ich bin langjähriges Mitglied in der Datenschutzgruppe, mein Name ist Helga.
Zu deiner Frage :
Du beziehst dich mit deiner Frage auf den Beitrag zum Urteil Sozialgericht Gießen im Blog v. 24.4.2017.
Bezogen auf die Person aus Einstehens-/Veranwortungsgemeinschaft (ohne SGB II-Leistungsbeantragung)
Führerscheinbesitz – klares ‚nein‘
PKW (Teil eines Vermögens) als Auskunft – ja
Werdegang (schutzwürdige persönlichen Daten) – klares ‚nein‘.
Das Leistungsbeantragungsprozedere mit gesetzkonformen Mitwirkungspflichten ist seit Jahren Schauplatz von juristischen Auseinandersetzungen von Leistungsbeziehern. Die Behörde Jobcenter sitzt vordergründig „am langen Hebel“, wenn sie die Bescheidung und damit Auszahlung der zur Existenzsicherung benötigten Gelder von Nachweisen und Auskünften abhängig macht – und dies unabhängig davon, wie sich die Rechtslage darstellt, an die sich auch die Behörde Jobcenter zu halten hat.
Kurzfristiger Vorschlag gegenüber dem konkreten Jobcenter wäre Forderung nach vorläufigen Bescheid bis die Gültigkeit der geforderten Nachweise, Auskünfte juristisch geklärt werden wird (Überprüfung durch Sozialgericht).
Über ein ‚scharfes Schwert‘ verfügt der zuständige Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheitsrecht des Landes- oder des Bundes als eine Aufsichtsinstanz (nicht verwechseln mit dem betrieblichen behördlichen Datenschutzbeauftragten).
Angeschrieben, schreibt der Datenschutzbeauftragte – OHNE Namensnennung – das Jobcenter an und drängt auf Einhaltung des Sozialdatenschutzes. Ich gehe davon aus, dass der Datenschutzbeauftragte dem konkreten Jobcenter im konkreten Fall zu einer Korrektur ‚raten‘ werden wird.
Gegenüber dem konkreten Jobcenter zum konkreten Anliegen lohnt es sich mittelfristig eine Klärung herbei geführt zu haben (Überprüfung Sozialgericht, Einschalten Datenschutzaufsicht).
Drato, abhängig von deinem Wohnort ist es möglich (über Internet) Sozialberatungs- und Erwerbslosenberatungsstellen zu finden und zu kontaktieren (Kirchen, Wohlfahrts- bzw. Sozialverbände, DGB-Gewerkschaften, Arbeitslosenzentren und Vereine).
Der renommierteste Verein ist „Tacheles e.V. Erwerbslosenverein“, auf dessen Homepage auch bundesweites Adressverzeichnis Beratungsstellen verlinkt ist
Hier gibt es auch den derzeit 142 Seiten starken Foliensatz im Format pdf. zum runterladen.
Seite 2 mit Gliederung; auf Seiten 96-97 wird u.a. Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft definiert.
Frankfurt am Main, 23.6.2020
Hallo Helga,
vielen vielen Dank für die tollen Tips, mittlerweile ist noch ein Schreiben vom Jobcenter eingegangen, in dem ich aufgefordert wurde folgende Unterlagen einzureichen:
Personalausweis Kopie
Meldebescheinigung (die übrigens Geld kostet wenn man sie beantragt)
Anlage WEP meines Partners, da er Unterhaltspflichtig ist, wobei das Kind nicht in unserem Haushalt lebt)
Krankenversicherungskarte Kopie von Partner
Mietkostennachweis vom Vermieter
Meine Verdienstabrechnung meines Minijobs, der bei der Agentur für Arbeit bereits gemeldet ist
Verdienstabrechnungen meines Partners
Kontoauszüge vollständig und lückenlos aller Konten von mir und meinem Partner
Unglaublich was die alles fordern: bei den Verdienstnachweisen weiß ich mittlerweile, dass das Jobcenter diese garnicht fordern darf, ich kann mir gut vorstellen, dass dort noch weitere Forderungen dabei sind, die nicht rechtens sind.
Ich werde jetzt, wie sie vorschlugen um einen vorläufigen Bescheid bitten, bis die Sachlage geklärt ist, ich kann in so kurzer Zeit all diese Daten garnicht zusammentragen.
Hallo, darf das jobcenter bei trennung vom ehepartner der hauptverdiener ist, von meiner noch Ehefrau die hartz4 beantragt, meine Kontoauszüge der letzten 5 Monate verlangen? Meine Frau hat seit der Ehe ein eigenes Konto aber kein regelmäßiges Einkommen.
Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen. Danke
Guten Tag,
darf das Jobcenter Auskunft über Gehalsnachweise verlangen, die nicht mehr im Leistungs-Zeitraum stehen? Also sprich vom Partner?
Würde mich auch interessieren. Wenn es dazu einen passenden Beitrag im Elo-Forum oder irgendwo im Netz gibt bitte verlinken. Danke.