Rechtswidrige Corona-Kontrollen durch privaten Sicherheitsdienst in Ostbevern

Schuetze/ März 1, 2021/ alle Beiträge, Datenschutz in Zeiten von Corona, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 3Kommentare

Nordrhein-Westfalen (NRW) entwickelt sich zunehmend zum Versuchslabor für die Privatisierung der kommunalen Sicherheit und Ordnung. Das zeigt sich auch in Ostbevern, einer Kleinstadt mit etwas über 10000 Einwohnern in NRW. Dort sind Tatjana und Raphael B. sauer auf die Gemeindeverwaltung und den eingesetzten privaten Sicherheitsdienst, der war beauftragt worden, Corona-Kontrollen im öffentlichen Raum durchzuführen.

Mitarbeiter dieser Sicherheitsfirma stellten wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Kontaktverbot aufgrund der Corona-Verordnung die Personalien der Tochter von Frau und Herrn B. fest, woraufhin prompt ein Bußgeldbescheid in Höhe von 250 Euro an die Familie erging.
Das Elternpaar bemängelt u. a. den repressiven Umgang mit den Jugendlichen. Während bei Corona-Verstößen durch Erwachsene kommunale Ordnungshüter Belehrungen bevorzugen, wird bei Jugendlichen mit hohen Bußgeldbescheiden durchgegriffen.
B. stellen gegenüber den Westfälischen Nachrichten (WN) klar, dass es Firmenangestellten rechtlich nicht zustehe, die Personalien der Bürgerinnen und Bürger festzustellen und sich somit in hoheitliche Verwaltungsakte einbinden. Damit steht sogleich der Vorwurf der Nötigung im Raum, den sich die Gemeindeverwaltung Ostbevern sowie die beauftragte Sicherheitsfirma vorhalten lassen müssen.
Im Januar 2020 urteilte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main, dass die Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf private Dienstleister bei der derzeitigen Rechtslage (Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz) in Deutschland nicht möglich ist (Beschluss vom 3. Januar 2020, Az: 2 Ss-Owi 963/18).

Rechtfertigungsversuch durch den Bürgermeister
Der Bürgermeister von Ostbevern, Karl Piochowiak, geht derweil in die Offensive und kritisiert in den WN vom 04.02.21 die Jugendlichen, die für einen Großteil von Corona-Verstößen in der Gemeinde verantwortlich seien. Zur Ahndung von Verstößen habe das Land einen Bußgeldkatalog erlassen, der keinen Ermessensspielraum biete, hieß es aus dem Rathaus.
Das Opportunitätsprinzip im Ordnungswidrigkeitengesetz wird bei dieser Auffassung ignoriert und es werden Jugendliche und Erwachsene zum Nachteil der jungen Menschen ungleich behandelt.
Die Aussage von Bürgermeister Piochowiak zur ordnungsrechtlichen Ahndung von Corona-Verstößen und dem fehlenden Ermessensspielraum ist falsch.
Bei Corona-Verstößen (z. B. Kontaktverboten, Maskenpflicht) handelt es sich um Ordnungswidrigkeiten, die aufgrund des Opportunitätsprinzips auch mit Belehrungen durch behördliche Amtsträger (Polizeibeamte, Angestellte d. Ordnungsämter) abgeschlossen werden können.

Die Ahndung durch Bußgeldbescheide ist nicht zwingend. Das weiß auch die Gemeindeverwaltung sonst würden Erwachsene und Jugendliche nicht unterschiedlich sanktioniert.
So berichteten die B.,, dass Erwachsene bei Verstößen gegen die Corona-Verordnung lediglich auf die Missachtung dieser Vorschrift durch Ordnungshüter hingewiesen werden.
Und mehr ist dem privaten Sicherheitsdienst auch nicht gestattet, weil die Firmenangestellten keine Eingriffsbefugnisse haben. Sie besitzen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern keinerlei Sonderrechte und dürfen, wie bereits erwähnt, nach der o. a. OLG-Entscheidung nicht in hoheitliche Verwaltungsakte eingebunden werden.

Anfrage an die Gemeindeverwaltung Ostbevern
Aufgrund der unrechtmäßigen Corona-Kontrollen durch den von der Gemeindeverwaltung Ostbevern beauftragten privaten Sicherheitsdienst wollten die Autoren von der Gemeindeverwaltung wissen, ob deren Mitarbeiter über die notwendigen Befugnisse verfügen, um in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen zu können.
Dazu antwortete die Gemeindeverwaltung am 15.02.21: „(…) …die Gemeindeverwaltung Ostbevern setzt einen Sicherheitsdienst lediglich in Form von unselbständigen unterstützenden Tätigkeiten im Rahmen der Verwaltungshilfe ein. Bei festgestellten Verstößen gegen die Coronaschutzverordnung des Landes NRW werden durch diese nur Personalien erhoben, wenn diese freiwillig mitgeteilt werden. Ansonsten werden zur Personalienfeststellung Mitarbeiter des Ordnungsamtes oder der Kreispolizeibehörde hinzugezogen. Die Ordnungsbehörde überprüft den Sachverhalt und entscheidet in eigener Zuständigkeit, ob eine Ordnungswidrigkeit vorliegt und ein Bußgeldverfahren eingeleitet wird. (…)“

Da stellt sich die Frage, ob bei Jugendlichen von einer Freiwilligkeit auszugehen ist, wenn ein uniformierter Erwachsener um den Namen und Wohnort bittet.
Weil B. die Personalienfeststellung bei ihrer Tochter in den WN als forsch und fordernd durch den privaten Sicherheitsdienst beschrieben, überschritten die Sicherheitsleute offenbar ihre Befugnisse. Ob das der Gemeindeverwaltung bekannt ist, sei dahingestellt. Es ist jedoch eine Tatsache, dass private Sicherheitsdienste im Auftrag der öffentlichen Hand immer wieder ihre rechtlichen Grenzen überschreiten.

„public private security“: NRW als Versuchslabor für Grundrechte
In keinem anderen deutschen Bundesland ist der „Wildwuchs“, der durch die Privatisierung öffentlicher (kommunaler) Sicherheit und Ordnung entsteht, so ausgeprägt wie in Nordrhein-Westfalen. Die Fachwelt spricht diesbezüglich von „public private security“.
In Coesfeld hatte im Oktober 2018 die private Citystreife (Sicherheitsfirma) der Stadt einen Bürger wegen eines nicht angeleinten Hundes (Ordnungswidrigkeit) zu Boden gebracht und zur Herausgabe seines Personalausweises genötigt. Dieser Übergriff der Privaten wurde von der Stadt Coesfeld als rechtmäßiges Vorgehen verteidigt.
Ähnliches wurde im September 2018 aus Bergisch Gladbach berichtet. Dort sollen Mitarbeiter der Sicherheitsfirma B. Q. Security Platzverweise ausgesprochen und Radfahrer vom Rad geholt haben.
In Borgholzhausen hat eine Sicherheitsfirma im letzten Jahr im Zusammenhang mit Corona-Kontrollen dutzende Personalienfeststellungen durchgeführt. Die Stadtverwaltung verschickte auf Grund der zahlreichen Feststellungen von Corona-Verstößen durch den privaten Sicherheitsdienst ebenso zahlreiche Bußgeldbescheide an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt.
Die häufigen Kompetenzüberschreitungen von Mitarbeiter-innen privater Sicherheitsdienste finden auch außerhalb der Pandemiezeit nicht mit Duldung sondern im Auftrag von Stadt-/ Gemeindeverwaltungen statt.

Anstatt die Bürgerinnen und Bürger vor Kompetenzüberschreitungen und übergriffen privater Sicherheitsakteuren zu schützen rechtfertigen die Kommunalverwaltungen allzu oft diese Fehlleistungen der beauftragten Sicherheitsfirmen. Zunehmend wird der Eindruck gewonnen, dass die Verantwortlichen hierbei nicht nur lässig mit den Grundrechten der Menschen umgehen sondern die öffentliche Sicherheit und Ordnung als „Versuchslabor“ für ihre Privatisierungsbestrebungen missbrauchen. Die Menschen sollen sich, entgegen des Artikel 33 Abs. 4 Grundgesetz und des staatlichen Gewaltmonopols, daran gewöhnen von Firmenangestellten kontrolliert und auch des Platzes verwiesen zu werden.
Wenn es mittlerweile um Straftaten (z. B. Nötigung) durch Mitarbeiter*innen privater Sicherheitsdienste geht, die in öffentlicher Beauftragung stehen, sind diese Strukturen ein Fall für die Ermittlungsbehörde, die scheinen sich aber eben so wenig dafür zu interessieren wie die Kommunalaufsichten der Mittelbehörden.

von Jürgen Korell und Thomas Brunst

Quellennachweise/ Informationen zum Thema:
Kein Ermessensspielraum (wn.de <http://wn.de/>, 02.02.21)
> https://www.wn.de/Muensterland/Kreis-Warendorf/Ostbevern/4357553-Corona-Kontrollen-sorgen-fuer-Unmut-Kein-Ermessensspielraum

Coesfeld: Privater Sicherheitsdienst verletzt Gewaltmonopol und bekommt Rückendeckung (labournet.de <http://labournet.de/>, Oktober ’18)
https://www.labournet.de/?p=138672

Widersprüche und Täuschungen (santillan.de <http://santillan.de/>, September ’18)
https://www.santillan.de/2018/09/18/widerspr%C3%BCche-und-t%C3%A4uschungen/

Stadt Borkholzhausen führt strengen Kurs bei Corona-Bußgeldern (haller-kreisblatt.de http://haller-kreisblatt.de/>, 09.05.20)
https://www.haller-kreisblatt.de/lokal/borgholzhausen/22773560_Stadt-Borgholzhausen-faehrt-strengen-Kurs-bei-Corona-Bussgeldern.html

Kommentar: Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel (cilip.de <http://cilip.de/>, Mai ’20)
https://www.cilip.de/2020/05/19/kommentar-der-zweck-heiligt-eben-nicht-die-mittel/

3 Kommentare

  1. Zur o. a. OLG-Entscheidung ist noch anzumerken, dass eine grundlegende Aussage zu diesem Urteil folgende ist: „Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten und die Verkehrsüberwachung sind typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns.“ Aus den Feststellungen von Ordnungswidrigkeiten durch Private leitet sich demnach ein striktes Beweisverwertungsverbot (der Behörden) ab.

  2. In Ostbevern hat man sich bereits im Juli 2019 mit dem privaten Sicherheitsdienst auf die Jugendlichen in der Gemeinde eingeschossen.

    https://todaysnewstab.wordpress.com/2019/07/25/ostbevern-sicherheitsdienst-sorgt-in-den-ferien-fuer-ordnung/

    Kaum zu glauben, dass dieses Vorgehen lange Zeit unwidersprochen blieb und von den Verantwortlichen der Gemeinde sogar bis in die Illegalität ausgedehnt wurde.

  3. Ich denke, Sicherheitsdienste sollten gut geschult sein, was die Befugnisse angeht. Es ist ja richtig, die Einhaltung der aktuellen Corona-Regeln zu kontrollieren. Jedoch sind 250 Euro für eine Jugendliche sehr viel Geld.

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