Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Langzeitüberwachung von Rolf Gössner durch den Verfassungsschutz war und ist rechtswidrig
Dr. Gössner war zwischen 1970 und 2008 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Form der Sammlung und Auswertung von Informationen in einer Personenakte beobachtet worden. Das BfV hatte dies damit begründet, dass während des gesamten Beobachtungszeitraums tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des Klägers bzw. die Unterstützung solcher Bestrebungen vorgelegen hätten. Diese hätten sich aus dessen Tätigkeit für den Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB, später: Sozialistischer Hochschulbund) Anfang der 1970er Jahre, seine Redaktionsmitgliedschaft in der geheimdienst- und polizeikritischen Zeitschrift „Geheim“ von 1986 bis 1999 und deren spätere publizistische Unterstützung, sowie der Unterstützung der DKP und weiterer DKP-naher Organisationen, insbesondere durch journalistisches Eintreten für deren (Teil-)Ziele und die Tätigkeit als Referent auf entsprechenden Veranstaltungen ergeben.
Der auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung gerichteten Klage hatte das Verwaltungsgericht Köln stattgegeben. Die Berufung des BfV hat das Oberverwaltungsgericht nun zurückgewiesen. Zur Begründung hat der 16. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme komme es darauf an, ob die dem Bundesamt für Verfassungsschutz im jeweiligen Zeitpunkt bekannten Tatsachen konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen geboten hätten. Dies sei in Bezug auf den Kläger nicht der Fall. Soweit die Beobachtung darauf gestützt worden war, dass der Kläger dem SHB sowie der Redaktion der Zeitschrift „Geheim“ angehört bzw. diese Personenzusammenschlüsse unterstützt habe, fehle es bereits an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass von diesen Organisationen im entscheidungsrelevanten Zeitraum verfassungsfeindliche Bestrebungen ausgegangen seien. Soweit die Beobachtung mit der Unterstützung der DKP bzw. DKP-naher Vereinigungen begründet worden war, so fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger die Organisationen als solche bzw. deren verfassungsfeindlichen Ziele nachdrücklich unterstützt habe. Darüber hinaus sei die Beobachtung angesichts der mit ihr einhergehenden Grundrechtseingriffe auch unverhältnismäßig gewesen.
Quelle: Pressemitteilung des Oberverwaltungsgericht NRW vom 13.03.2018
Die Zeitung Neues Deutschland informiert am 14.03.2018 über eine persönliche Erklärung von Dr. Gössner, die dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht NRW abgegeben hat: „…darauf hingewiesen, dass er sich bei der Lektüre der Berufungsbegründung des BfV ‚an inquisitorische Verfahren, an finstere Zeiten der McCarthy-Ära, an den Kalten Krieg oder den Deutschen Herbst erinnert‘ fühle. Den Richtern des Verwaltungsgerichts Köln wurde unter anderem vorgeworfen, in ihrem für Gössner positiven Urteil aus dem Jahr 2011 durchgängig bemüht gewesen zu sein, ‚die Äußerungen des Klägers in einem diesem günstigen Sinne zu interpretieren, und, wo das nicht möglich ist, zu verharmlosen'“.
Dr. Gössner war 2016 Laudator für den BigBrotherAward in der Kategorie Lifetime, also für das Lebenswerk, der damals an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), vertreten durch dessen Präsidenten Dr. Hans-Georg Maaßen, sowie an „Verfassungsschutzbehörden“ einzelner Bundesländer verliehen wurde. Dr. Gössner stellte in seiner Rede damals u. a. fest:
„Der ‚Verfassungsschutz‘ ist
- ein im Kalten Krieg geprägter, antikommunistischer, skandalgeneigter und intransparenter Inlandsgeheimdienst,
- der seine eigenen altnazistischen Anfänge, die ihn so nachhaltig prägten, allzu lange verdrängt hat,
- der – vielleicht auch gerade deshalb? – im Kampf gegen Neo-Nazismus und Rassismus weitgehend versagt,
- der sich mit seinem unkontrollierbaren V-Leute-System heillos in kriminelle Machenschaften und Neonazi-Szenen verstrickt,
- der es seit Jahren sträflich unterlässt, Bevölkerung, Firmen und Bundesregierung vor Spionage-Attacken etwa des US-Geheimdienstes NSA zu schützen, obwohl er gesetzlich dazu verpflichtet ist,
- der ein skrupelloses Vertuschungssystem betreibt, wichtige Beweismittel und brisante Akten geschreddert hat, und so jede parlamentarische Kontrolle torpediert,
- der insgesamt eine ellenlange Skandalgeschichte aufzuweisen hat und immer wieder Bürger-, Persönlichkeits- und Datenschutzrechte verletzt,
- und der damit letztlich Verfassung, Demokratie und Rechtsstaat gefährdet und schädigt, anstatt sie auftragsgemäß zu schützen.“
Dem ist (fast) nichts hinzu zu fügen.