Kurz vor dem Stichtag der Volkszählung 2022 („Zensus 2022“): Trügerischer Schein der Reibungslosigkeit

Zensus-neindanke/ April 7, 2022/ alle Beiträge, Beschäftigten- / Sozial- / Verbraucherdaten-Datenschutz, Volkszählung (Zensus / Mikrozensus)/ 0Kommentare

Der nachfolgende Beitrag erschien zuerst auf der Homepage der Bürgerrechtsgruppe freiheitsfoo, die im norddeutschen Raum mit Zentrum in Hannover aktiv ist.


Wie auch schon zur letzten Volkszählung 2011 klaffen die Verlautbarungen der eigens zur Volkszählung eingerichteten PR-Stelle mit der Wirklichkeit zumindest in Teilen weit auseinander.

Eine „eher schwierigere“ „Rekrutierung“ von „Erhebungsbeautragten“

Aus dem frisch erschienenen „Newsletter“ des Zensus vom 4.4.2022 (Hervorhebungen durch uns): „Wenige Wochen vor dem Zensus-Stichtag haben die örtlichen Erhebungsstellen in Deutschland ihre Arbeit aufgenommen. Die örtlichen Erhebungsstellen sind für die Durchführung der Befragungen zur Personener­hebung zuständig. (…) Zu den Aufgaben der Erhebungsstellen zählen die Akquise von Erhebungsbeauftragten, deren Schulung sowie die Einteilung und Zuweisung der zu erhebenden Bezirke auf die einzelnen Erhebungsbeauftragten. (…) IT-Verfahren und Online-Formulare erhalten derzeit den letzten Schliff, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden rekrutiert und in ihren Aufgaben für den Zensus geschult und Erhebungsunterlagen werden gedruckt, um pünkt­lich ab Stichtag 15. Mai 2022 die Feldphase starten zu können. Ab diesem Zeitpunkt werden im gesamten Bundesgebiet über 100 000 Erhebungsbeauftragte durch die Kommu­nen eingesetzt.“

Kein Wort von aktuellen Problemen mit der „Aquise“ bzw. „Rekrutierung“ von 100.000 Menschen, die die Befragungen durchführen sollen. Dagegen heißt es bspw. in einem an verschiedene Behörden und Unternehmen versandten Brief des Landrats des Landkreises Hildesheim aus dem März 2022 (Hervorhebungen durch uns): „Dem Landkreis Hildesheim fällt die Aufgabe zu, in seinem Gebiet zum Zensus 2022 die erforderlichen Daten im Rahmen des Zensus 2022 zu erheben. Dazu bedarf es sog. Erhebungsbeauftragter die vor Ort tätig werden. Die zu gewinnen gestaltet sich zur Zeit eher schwierig. Daher wende ich mich an Sie mit der Bitte um Unterstützung. Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie in Ihrem Haus unter Ihren Mitarbeiter*innen für diese ehrenamtliche Aufgabe werben könnten. Einen entsprechenden Text habe ich diesem Schreiben beigefügt. Herzlichen Dank für Ihre Hilfe und alles Gute für Sie. Ihr Landrat.“

 Vorbefragungen: 28% verweigern die Antwort

Ähnlich interessant die folgende Passage aus dem frischen Zensus-Newsletter: „Eine weitere wichtige Maßnahme der Vorbefragung war die Umsetzung der Online-First Strategie. Möglichst viele Meldungen sollten also über den Online-Fragebogen ein­ gehen. Um dieses nachhaltige und ressourcenschonen­de Ziel zu erreichen, legte die Mehrheit der Statistischen Landesämter den Papierfragebogen erst dem Erinnerungsschreiben bei oder verzichtete ganz darauf. Der Rücklauf betrug bundesweit etwa 72 %. Die Rückmel­dungen zeigen, dass der Online-Fragebogen sehr gut angenommen wurde: Insgesamt haben mehr als drei Viertel aller Befragten online gemeldet. Die Online-Quote war besonders hoch, wenn beim ersten Versand kein Papier­fragebogen beigelegt wurde. Diese wichtige Erkennt­nis fließt in die Umsetzung der Hauptbefragung ein: Um bei der Hauptbefragung der Gebäude- und Wohnungs­zählung 2022 eine hohe Online-Quote zu erhalten, erfolgt der erste Versand der Anschreiben zum Stichtag 15. Mai 2022 ohne Papierfragebogen.

Es wirkt unehrlich, wenn „Nachhaltigeit und Ressourcenschonung“ als Grund dafür vorgeschoben wird, die Menschen mittels des Tricks zunächst nicht beigelegter Papierfragebögen dazu zu bewegen/anzutreiben, die Fragen online zu beantworten. Es geht wohl eher darum, den Statistikern und „Erhebungsbeauftragten“ die Arbeit zu erleichtern und Geld zu sparen.

Und man könnte es aus anderer Perspektive auch als ermutigendes Zeichen anerkennen, dass immerhin mehr als ein Viertel aller im Zuge der Vorbefragungen angeschriebenen Menschen selbst nach Zusendung eines zweiten Schreibens inklusive Papierfragebogens weder online noch offline dazu bereit gewesen sind, diese Fragen zu beantworten.

Rückblick und Kritikpunkte

Über den Zensus 2022 (vormals: Zensus 2021) berichten wir bereits seit 2017 in loser Folge und versuchen schon seit 2015 ein wenig mehr Licht in das sonst weitgehend unbehandelte Thema zu bringen. Der Hintergrund dafür sind die Erfahrungen aus der Volkszählung 2011 – damals noch im Zusammenhang mit dem damaligen AK Zensus und mit Unterstützung des AK Vorratsdatenspeicherung (siehe das umfangreiche Wiki dort). Die Berichterstattung zur öffentlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zum Zensus 2011 vom 25.10.2017 (siehe hier und noch viel ausführlicher hier) ist dabei ein wichtiger Baustein gewesen – denn die intensive Betrachtung der Verhandlung und die Verhandlungsführung warfen bereits Schatten auf die laufende, sich auf den Stichtag des 15. Mai 2022 beziehende Datenerhebung und -verarbeitung voraus.

Derweil bleibt die ausführliche Kritik am System des „Zensus“ nach wie vor aktuell und so verweisen wir der Einfachheit dazu einfach auf die ausführlichen Texte und Argumentationen zum Zensus 2011. Beispielhaft seien die Volkszählungsfibel 2011, die lose Sammlung von Kritikpunkten im Wiki des AK Vorrat oder ein ebenso altes Aufklärungs-Video genannt. Auch die Folien eines in 2010 und 2011 häufiger gehaltenen Vortrags können einen guten Einstieg in das Thema bieten (als Bild- oder odp-Datei verfügbar). Für Freunde des Podcasts ist die Folge 5 der 6teiligen Podcastreihe zur Volkszählung 2011 hörenswert, die sich eben insbesondere mit der Kritik daran beschäftigt.

Der Ukraine-Krieg, der Zensus und die Grundsorge der Statistiker

Derweil versucht die Presseabteilung zum Zensus, die Angst davor zu nehmen, mehr oder weniger offiziell untergebrachte Kriegsflüchtlinge zu melden. Es heißt im aktuellen Newsletter dazu (Hervorhebungen durch uns): Grundsätzlich gilt, dass für den Zensus 2022 alle Per­sonen erfasst werden müssen, die am Stichtag melde­pflichtig an einer Anschrift wohnhaft sind. Zu zählen sind alle Personen, die meldepflichtig sind – unabhängig da­von, ob sie sich tatsächlich gemeldet haben. Prinzipiell sind alle Personen an ihrem Wohnort meldepflichtig, es gibt jedoch einige Ausnahmen von der Meldepflicht, u. a. eben für Personen aus dem Ausland. Sie dürfen bis zu drei Monate in Deutschland wohnen, ohne sich ­anzu­melden. Dies gilt auch für Geflüchtete aus der Ukraine.

Zynisch ausgedrückt: Die Statistiker*innen sind einigermaßen froh, dass Putin bzw. der russische Machtapparat den Krieg gegen die Ukraine nicht schon einen Monat früher vom Zaun gebrochen hat. Dann nämlich würden einige der vor dem Krieg Geflüchteten nicht mehr unter die genannte Ausnahmeregelung fallen und die Arbeit der Zahlentechniker erschweren oder deren Sorge vor unehrlichen Antworten nähren.

Denn das ist eine der größten Sorgen der Mathematiker*innen: Unehrliche oder fahrlässig falsche/ungenaue Antworten der Befragten aus Mangel an Vertrauen in das Zensus-System und die nur angeblich sichere IT-Zensus-Umgebung. Beispielsweise aus Sorge der Befragten und zur Antwort Gezwungenen davor, dass deren ehrliche Angaben z.B. über die Anzahl und Identität der Mitbewohner*innen anders als verfassungsrechtlich vorgegeben keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen werden (Stichpunkt „Rückspielverbot“).

Ausblick

Wohl erst mit dem Eintreffen der Anschreiben zur Aufforderung der Beantwortung der Fragenkataloge bzw. mit dem Erscheinen der „Erhebungsbeauftragten“ wird das Thema „Zensus 2022“ eine breitere Schicht an Menschen zu interessieren beginnen. Die PR-Abteilung der Zensus-Betreiber wird versuchen, etwa aufkommende Kritik oder Verweigerungshaltungen mittels ihrer „Dialogkampagne“ einzudämmen. Vermutlich nicht ganz ohne Erfolg.

Doch was immer dann noch kommt oder auch nicht kommt: Das Versprechen, mittels genauerer Zahlen eine bessere, gerechtere und schönere Welt dank besserer politischer Steuerung zu erzielen wird in 2022 wie schon 2011 nichts anderes als eine Illusion bleiben.

Auf manche wirken die Begründungs- und Beteuerungsreden der Statistiker und Politiker daher wie der fortgesetzte Versuch des Reitens eines toten Pferdes.

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