„Klar sei jedoch, dass klinische Patientendaten, wie insgesamt Daten, immer mehr als Währung angesehen würden, gerade auch im Gesundheitswesen.“
Mit dieser Feststellung zitiert die Ärzte Zeitung vom 11.07.2016 Professor Hans-Ulrich Prokosch vom Lehrstuhl für Medizinische Informatik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Vielleicht sollte man Herrn Professor Prokosch einen Blick in das SGB X, insbesondere in die §§ 67 ff. (Schutz der Sozialdaten) empfehlen. Es finden sich dort umfangreiche und detaillierte Regelungen, was beim Umgang mit Sozialdaten (Gesundheits- und Patientendaten gehören dazu) zu beachten ist. Auch wenn Bundesgesundheitsminister Gröhe mit seinem E-Health-Gesetz viel dafür getan hat, das Selbstbestimmungsrecht der Versicherten und Patienten über ihre Gesundheitsdaten auszuhöhlen: Dass „klinische Patientendaten… immer mehr als Währung angesehen würden“ findet man im SGB X bislang nicht, aber auch nicht im SGB V (Krankenversicherung).
TeilnehmerInnen einer Demonstration in Frankfurt
Man würde Herrn Professor Prokosch aber unterschätzen, wenn man ihn als irgendeinen Prof ansieht, der auch mal eben seine unmaßgebliche Ansicht zum Thema geschäftliche Verwertung von Gesundheits- und Patientendaten in einer Zeitung lesen will. Der Lehrstuhl für Medizinische Informatik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ist ein enger Kooperationspartner der gematik, deren zentrales Projekt die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist. Am 16.09.2014 vermeldet die gematik auf Ihrer Homepage: „Die gematik hat der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg den Zuschlag für die Evaluation des größten Vernetzungsprojekts des deutschen Gesundheitswesens erteilt. Die Universität wird im nächsten Jahr die Erprobung der Vernetzung sowie das Zusammenspiel mit der elektronischen Gesundheitskarte in 1000 Praxen und zehn Krankenhäusern wissenschaftlich begleiten…“
Und schon nach dem Kongress Telemed 2013 im Juli 2013 wurde ein Beitrag unter dem Titel „Datenschutzkonforme Sekundärnutzung strukturierter und freitextlicher Daten mittels Cloud-Architektur“ veröffentlicht. Am Ende des Beitrags ist zu lesen: „Danksagung Das cloud4health-Konsortium besteht aus der Averbis GmbH (Konsortialführer), der RHÖN-KLINIKUM AG, der TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V., dem Fraunhofer-Institut SCAI und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg…“
Es dürfte daher eine durch Fakten unterlegte Tatsachenbehauptung sein, wenn man feststellt: Herr Professor Prokosch und sein Lehrstuhl für Medizinische Informatik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erwecken den Anschein, jenseits wissenschaftlicher Arbeit als Lobbyisten für die gematik, die IT-Gesundheitsindustrie und private Krankenhauskonzerne tätig zu sein.
Goldgräberstimmung ohne gesellschaftliche Clearingstelle
An allen Ecken und Enden schießen die Tools (Software) aus dem Boden und stürzen sich auf die ständig wachsenden Datenmengen, die bis 2020 auf mehr als 40 Exabyte anwachsen sollen. Die Kernfragen lauten: Wo bleibt die Autonomität und selbstbestimmte Freiheit des Menschen? Welcher gesellschaftliche und politische Prozess autorisiert die ausufernden Datenauswertungen und welche Instanzen kontrollieren das Ganze? Die Daten als Währung zu betrachten erscheint naheliegend wenn man ihren wissenschaftlichen Mehrwert betrachtet. Der Begriff Währung repräsentiert im weiten Sinne die Verfassung und Ordnung des gesamten Geldwesens eines Staates und die Festlegung des Münz- und Notensystems innerhalb eines Währungsraums (wikipedia). Wer nun neue Festlegungen mit der Auswertung von Big Data schaffen will und damit eine neue Verfassung und Ordnung das Gemeinwesen vorgibt, der sollte sich des Menschen und der Gemeinschaft bewußt werden und nicht der Probanden-Objekte in Kohortensammlungen. Der soziale, politische u. kritische Prozess der erforderlich wäre nach einem ganzheitlichen
und vielfältigen Ansatz zu handeln um Systeme von gesellschaftlicher Bedeutung zu gestalten existiert nicht mehr. Der technisch-industrielle Prozess der Softwareentwicklung und Datenverarbeitung verläuft abgekoppelt davon. An Millionen Stellen entsteht das was Prof. Prokosch praktiziert. Nachträglich irgendwelche Clearingstellen einzubauen, in der Hoffnung die Folgen zu beherrschen, wird angesichts der exponentiellen Anzahl der datenverarbeitenden Komponenten, die in allen Schichten unserer Existenz um sich greifen, nicht funktionieren. Die erforderliche Clearingstelle muss daher viel früher greifen an dem Punkt der politischen Systeme und der demokratischen Prozesse. Es geht um Bewußtseinsbildung aus Vielfalt und reichhaltigen alternativen Ansätzen um uns unsere Menschlichkeit zu bewahren. Was passiert
eigentlich gerade? Im Prinzip funktionieren die Prinzipien Wachstum und Gewinne nicht mehr, die fehlgeschlagene Ausrichtung des Gesundheitswesens auf privatwirtschaftlich arbeitende Unternehmen soll nun mit der grenzenlosen Verwertung unserer sensibelsten und schützenswertesten Daten gerichtet werden.
Damit wurde ein gefährlicher Weg beschritten.
Siehe mein Artikel im Kontext:
Boom der Metadaten