Frankfurt: „Smart City Forum 2022 – für alle, mit allen“; aber nur mit Smartphone

Powidatschl/ Oktober 13, 2022/ alle Beiträge, Digitalstadt Darmstadt, Grundrecht auf analoges Leben, Smart City FFM/ 1Kommentare

Am 12.10.2022 hatte die Stabstelle Digitalisierung der Stadt Frankfurt Interessent:innen zum 2. Smart City Forum eingeladen.

Quelle: Homepage der Stadt Frankfurt

Bei Getränken und Häppchen“ – so die Einladung – sollten interessierte Bürger*innen Näheres über das Thema Smart City der Stadt Frankfurt erfahren, die sich das Ziel gesetzt haben, Frankfurt lebenswerter, effizienter, technologisch fortschrittlicher, ökologischer und sozial inklusiver zu gestalten.“

Dazu gehört auch die Bürger:innen der Stadt Frankfurt samt Ihrer Ideen einzubringen, um so gemeinsam die Smart City Frankfurt der Zukunft für alle und mit allen zu gestalten.“

So der Anspruch der Veranstaltung. Dieser wurde zu Beginn des zweiten Teils der Veranstaltung, der „Bürger:innenbeteiligung via Live-Voting“, durch eine im Saal anwesende BürgerIn einem Härtetest unterzogen. Und hat diesen nicht bestanden. Was war passiert? Die Bürgerin reklamierte, dass lediglich Menschen mit Smartphone an der „Bürger:innenbeteiligung“ teilnehmen konnten. Sie sei nicht im Besitz eines Smartphones und sei daher von der Meinungsbildung ausgeschlossen. Die Reaktion der Moderatorin: „Ich leihe ihnen gerne mein Gerät, wenn Sie Ihr eigenes zuhause gelassen haben.“ Ein Angebot, das die Bürgerin ablehnte, weil sie ohne Smartphone durchs Leben gehe.

Die „Bürger:innenbeteiligung“ fand dann mit Hilfe der Plattform menti.com statt. Zu elf Fragestellungen konnten die Veranstaltungsteilnehmer*innen Meinungen und Bewertungen abgeben, aber nur mit ihrem Gerät.

Nach Beobachtung des Verfassers war deshalb eine nennenswerte Minderheit der Teilnehmer*innen ausgeschlossen. Auch einige Treilnehmer*innen mit passendem Gerät haben an dieser Form der „Diskussion“ nicht teilgenommen. Zudem erscheint es zweifelhaft, ob die Teilnehmer*innen der Veranstaltung repräsentativ für den Durchschnitt der Frankfurter Bevölkerung waren.

Ein Symbol für die mit der Smart City angestrebte Digitalisierung aller Lebensbereiche?

Dass Digitalisierung und Smart City durchaus auch sinnvolle, den Menschen und der Umwelt nützliche Vorhaben beinhalten kann, machte im ersten Teil der Veranstaltung ein Vortrag von Diana Rauhut, Mitglied des Vorstandes des Frankfurter Energieversorgungsunternehmens Mainova AG, deutlich. Sie informierte über Projekte aus Kleinstädten in der Region, bei denen durch systematische Erfassung und Nutzung von (nicht personenbezogenen) Daten der Winterdienst oder die Versorgung der Bäume im öffentlichen Raum optimiert werden sollen, der Schutz vor Starkregen-Ereignissen ausgebaut oder mit systematischer Erfassung verschiedener Formen von Mobilität die Verkehrsplanung verbessert werden soll.

Alle in Frankfurt lebenden Menschen – und nicht nur die Digital Natives (laut Duden: Person, die mit digitalen Technologien aufgewachsen ist und in ihrer Benutzung geübt ist“ auf dem Weg zur Smart City Frankfurt mitzunehmen, das muss noch geübt werden. Ein Fazit der Veranstaltung, in dem sich die an der Veranstaltung teilnehmenden Mitglieder der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main einig waren.

Smart City FFM“ – Die gesamtstädtische Digitalisierungsstrategie der Stadt Frankfurt wurde Anfang November 2020 vom damals zuständigen Stadtrat Jan Schneider (CDU) präsentiert. Auf 158 von Anglizismen und technischen Fachbegriffen durchsetzten Seiten wurde diese – auch von der jetzigen Digitalisierungsdezernentin O‘Sullivan (Volt) verfolgte – Digitalisierungsstrategie in einer Broschüre dargestellt. Mitglieder der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main haben bereits im Dezmber 2020 diesen Entwurf einer ersten Bewertung unterzogen und in einem Schreiben vom 15.12.2020 an Stadtrat Schneider und die Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung dazu Stellung genommen und u. a. festgestellt:

  • Eine im Sinne der Frankfurter Bürgerschaft erfolgreiche gesamtstädtische Digitalisierungsstrategie setzt zwingend voraus, dass von Beginn an die Zivilgesellschaft, Bürgerinitiativen, Vereine und eine möglichst große Zahl von Bürger*innen in die Debatte einbezogen werden.
  • Die Mitglieder der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main sind an einer solchen Einbeziehung in die beginnende Diskussion interessiert und würden gerne in Arbeits- und Projektgruppen mitarbeiten, die zur Ausgestaltung der Schritte für eine ‚Smart City FFM‘ gebildet werden.
  • In unserer Nachbarstadt Darmstadt wird seit zwei Jahren eine Diskussion über die Digitalstadt Darmstadt geführt. Ein in Darmstadt gebildeter Ethik- und Technologiebeirat hat Ethische Leitplanken für die Entwicklung Darmstadts zur Digitalstadt beschlossen. Wir würden es begrüßen, wenn – unter Einbeziehung von Vertreter*innen von Bürgerinitiativen und Vereinen auch für Frankfurt eine vergleichbare Positionierung erfolgen würde.
  • Eine transparente gesamtstädtische Digitalisierungsstrategie würde wirkungsvoll unterstützt durch die Verabschiedung einer kommunalen Informationsfreiheits- und Transparenzsatzung für die Stadt Frankfurt
  • Für weitere Veröffentlichungen zum Thema ‚Smart City FFM – Gesamtstädtische Digitalisierungsstrategie‘ möchten wir anregen, dass eine Sprache gewählt wird, die weniger von englischen und/oder technischen Fachbegriffen geprägt und stärker an der „Alltagssprache“ orientiert ist. Dies würde aus unserer Sicht einen Beitrag dazu leisten, die Beteiligung aus der Frankfurter Bürgerschaft an der Diskussion des Projekts zu erhöhen.“

Wie Digitalisierung des Alltags und aller Lebensbereiche „ohne Rücksicht auf Verluste“ aussieht

und zu welchen Ausgrenzungen nennenswerter Minderheiten dies führt, machten kürzlich zwei Beiträge in der Frankfurter Rundschau zur Situation in Dänemark deutlich.

Thomas Borchert, ein in Kopenhagen lebender deutscher Journalist, schildert in einem Beitrag unter dem Titel „Alles nur noch online in Dänemark“ seine Alltagserfahrungen:

  • Es gibt keine Sachbearbeiter:innen mit Namen und schon gar kein Gesicht für uns. Persönliche Kontakte sind nicht mehr vorgesehen. Zur Not kann man eine Hotline anrufen, in der Regel besetzt mit studentischen Hilfskräften, die nicht das Geringste vom Einzelfall wissen.Das reicht dicke, sagt der Staat, alle in unserem Land von überschaubarer Größe sind perfekt online verbunden…”
  • „…auch ohne Covid finde ich meine kompletten Gesundheitsdaten, von aktuellen Rezepten bis zu sämtlichen Diagnosen bei Praxis-Besuchen oder aus dem Krankenhaus der vergangenen zwei Jahrzehnte auf der Webseite „sundhed.dk.
  • Ohne MitID (das ist die dänische lebenslange Personenkennziffer) geht gar nichts. Auch die Banken, Versicherungen, Arbeitgeber mit ihren Gehaltsabrechnungen und zunehmend mehr Einrichtungen verlangen die neue ‚Zwei-Stufen-Authentifizierung‘: Erst ruft man die jeweilige Internetseite auf und gibt ein erstes Passwort ein, um sich dann auf einem Smartphone oder Tablet über MitID-App mit einem zweiten Passwort den gewünschten Zugang zu verschaffen.“
  • Klar, dass davor unendlich viele kapitulieren und sich hilfesuchend an den total überlaufenen ‚Bürgerservice‘ wenden. Terminbestellung natürlich online. Will jemand auf analogem Kontakt mit den Behörden bestehen, ist ein Antrag auf Anerkennung als ‚IT-Invalide‘ zu stellen. Als anerkennenswerte Gründe gelten etwa Demenz, Obdachlosigkeit, Sprachprobleme, ‚fehlende Kompetenz zur Bedienung eines Computers‘. Die Befreiung vom digitalen Zwang im Behördenverkehr ändert nichts daran, dass etwa die Banken gnadenlos auf Online-Verkehr pochen.“

In einem Interview mit dem Titel Der digitale Expresszug wirft zu viele Menschen abwird die dänische Wissenschaftlerin Birgitte Arent Eiriksson gefragt: Sie schätzen, dass in diesem Prozess 20 bis 25 Prozent der Menschen abgehängt werden. Woher kommt diese hohe Zahl?Ihre Antwort: „Sie basierten auf offiziellen Schätzungen mit 17 bis 22 Prozent. Aber da haben sie die Dunkelziffer mit den am stärksten Betroffenen vergessen. Das sind diejenigen, die noch nicht mal wissen, dass der Staat sie zu einem elektronischen Briefkasten verpflichtet hat. Die Gruppe ist identisch mit den generell sozial Schwächsten in der Gesellschaft. Diese Menschen haben keinen Kontakt mit Behörden und ahnen nicht, dass ihnen zum Beispiel z.B. gerade ein Strafbescheid zugestellt worden ist.“

Das sind Verhältnisse, die nicht erstrebenswert sind, nicht in Frankfurt und nicht in Deutschland.

 

1 Kommentar

  1. Das Wort ‚Smart‘ ist ein simples Codewort für ‚Überwachung‘

    Smart Cities sind nichts anderes als High-Tech Gefängnisse deren Gitterstäbe nichts gesehen oder berührt werden können.

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*