Bundesagentur für Arbeit: Auf dem Weg zur „NSA für Arme“
Sie denken, das Kerngeschäft der Bundesagentur für Arbeit (BA) sei die Vermittlung von Arbeitssuchenden und Erwerbslosen in eine Berufstätigkeit, die ein menschenwürdiges Leben ohne Inanspruchnahme staatlicher Grundsicherungsleistungen ermöglicht? Weit gefehlt! Das Kerngeschäft der BA ist einerseits die Ausforschung von Menschen, die auf Grund von Erwerbslosigkeit auf staatliche Sozialleistungen angewiesen sind, andererseits die Sanierung des Bundeshaushalts.
Nur so und nicht anders können die Vorschläge der BA verstanden werden, die sie jüngst einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe beim Bundesarbeitsministerium vorgelegt hat. So fordert die BA die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die lückenlose Ausforschung der EmpfängerInnen staatlicher Grundsicherungsleistungen und der mit ihnen zusammenlebenden Menschen:
- die Erhebung von Daten im Internet – sprich: der Ausspähung von Ebay-Konten und anderen Internet-Tausch- und Kaufbörsen;
- die Ausweitung des bereits bestehenden Datenabgleichs mit anderen Behörden;
- die Ausweitung des bereits bestehenden Datenabgleichs mit dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) auf weitere Steuertatbestände;
- die Ausspähung von Vermögensanlagen bei Versicherungen sowie
- der Daten der Grundbuchämter.
Alles dies soll nach dem Willen der BA von den jeweiligen Behörden bzw. Versicherungen im Wege eines automatisierten Datenabgleichs monatlich an die BA bzw. an die Jobcenter übermittelt werden. Die bereits stattfindenden Datenabgleiche werden vierteljährlich erstellt. Zudem sollen die o. g. Informationen nach Vorschlag der BA nicht nur über EmpfängerInnen staatlicher Grundsicherungsleistungen sondern auch über sämtlicher Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft erhoben werden („Bedarfsgemeinschaft“ ist Hartz-IV-Deutsch: Das kann eine Wohngemeinschaft sein, aber auch eine Mehrgenerationenfamilie, die in einer Wohnung / einem Haus zusammenlebt und in der es einen Menschen gibt, der auf SGB-II-Leistungen angewiesen ist).
Schon mal was vom datenschutzrechtlichen Grundsatz der Direkterhebung von Daten beim Betroffenen gehört, Herr Alt und Herr Weise?
§ 67a Abs. 2 SGB X regelt diesen zentralen Grundsatz der Datenerhebung: “ Sozialdaten sind beim Betroffenen zu erheben. Ohne seine Mitwirkung dürfen sie nur erhoben werden wenn…“ (es folgt eine abschließende Aufzählung!). Dieser Grundsatz wird bereits jetzt durch eine Vielzahl gesetzlich zugelassener Datenabgleiche ausgehöhlt. Ein Blick in das SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) macht das deutlich:
§ 52 Abs. 1 SGB II Automatisierter Datenabgleich
(1) Die Bundesagentur und die zugelassenen kommunalen Träger überprüfen Personen, die Leistungen nach diesem Buch beziehen, zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober im Wege des automatisierten Datenabgleichs daraufhin,
- ob und in welcher Höhe und für welche Zeiträume von ihnen Leistungen der Träger der gesetzlichen Unfall- oder Rentenversicherung bezogen werden oder wurden,
- ob und in welchem Umfang Zeiten des Leistungsbezuges nach diesem Buch mit Zeiten einer Versicherungspflicht oder Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung zusammentreffen,
- ob und welche Daten nach § 45d Abs. 1 und § 45e des Einkommensteuergesetzes [das sind die Regelungen zur Kapitalertragssteuer] an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt worden sind,
- ob und in welcher Höhe ein Kapital… nicht mehr dem Zweck einer geförderten zusätzlichen Altersvorsorge… dient,
- ob und in welcher Höhe und für welche Zeiträume von ihnen Leistungen der Träger der Sozialhilfe bezogen werden oder wurden,
- ob und in welcher Höhe und für welche Zeiträume von ihnen Leistungen der Bundesagentur als Träger der Arbeitsförderung… bezogen werden oder wurden,
- ob und in welcher Höhe und für welche Zeiträume von ihnen Leistungen anderer Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogen werden oder wurden.
Und dann ist da noch § 52a Abs. 1 SGB II – Überprüfung von weiteren Daten
„Die Agentur für Arbeit darf bei Personen, die Leistungen nach diesem Buch beantragt haben, beziehen oder bezogen haben, Auskunft einholen
- über die in § 39 Absatz 1 Nummer 5 und 11 des Straßenverkehrsgesetzes angeführten Daten über ein Fahrzeug, für das die Person als Halter eingetragen ist, bei dem Zentralen Fahrzeugregister;
- aus dem Melderegister nach § 21 des Melderechtsrahmengesetzes und dem Ausländerzentralregister,
soweit dies zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch erforderlich ist.“
Damit sind Menschen, die Grundsicherungsleistungen beantragen oder erhalten bereits jetzt der am besten „durchleuchtete“ Teil der Bevölkerung. Durch die Realisierung der Vorschläge der BA würden Arbeitssuchende und Erwerbslose endgültig zum „gläsernen Menschen“. Das darf nicht hingenommen werden – weder von den Betroffenen selbst noch von all denen, für die informationelle Selbstbestimmung kein Mode- oder Fremdwort ist sondern ein Grundrecht, das verteidigt werden muss.
Aber nicht nur Millionen von EmpfängerInnen von Grundsicherungsleistungen (und deren Familienangehörige bzw. MitbewohnerInnen) wären von dem von der BA vorgeschlagenen „Ausspähprogramm“ betroffen. Für zehntausende MitarbeiterInnen in den Jobcentern (insbesondere in der Leistungssachbearbeitung) würden sich die Arbeitsbedingungen verschärfen. Die bereits jetzt gesetzlich zugelassenen Datenabgleiche (§§ 52 und 52a SGB II) werden zwar automatisiert erstellt, landen zur Überprüfung aber in Form ellenlanger Listen ausgedruckten Papiers auf den Schreibtischen der LeistungssachbearbeiterInnen und müssen akribisch abgearbeitet werden. Ein enormer Zeitaufwand, der an anderer Stelle (z. B. bei der qualifizierten Beratung von Arbeitssuchenden und Erwerbslosen) fehlt. Und wenn der Datenabgleich monatlich anfällt statt wie bisher vierteljährlich, wird er zum Arbeitsbeschaffungsprogramm in der Leistungssachbearbeitung; eine Maßnahme, die so überflüssig ist wie ein Kropf.
Die BA erhofft sich – eigenen Angabe zufolge – durch die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen zur Ausweitung der Überwachung von Arbeitssuchenden und Erwerbslosen und deren häuslichem Umfeld Einsparungen in Höhe von 10 Mio. Euro pro Jahr. Das sind – bei geschätzt 6 Mio. Betroffener – knapp 1,50 Euro pro Person und Jahr. Dafür den Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung und der Direkterhebung von Daten auf dem Altar des Bundesfinanzminister zu opfern ist fern jeglicher Vernunft.
Nur Geheimdienste (und – scheinbar oder tatsächlich – die Führungsspitze der BA) können so unverfroren mit den Daten von Millionen Menschen umgehen…
Wer sich die Vorschläge der BA in Gänze durchlesen möchte: 2013-06-12_Vorschl-ge_TOP_B-L-AG_inkl_4-Nachtr-gen-2
Wer alle Überlegungen und Pläne aus der „Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des passiven Leistungsrechts – einschl. des Verfahrensrechts – im SGB II“ nachlesen möchte, wir hier fündig: http://www.harald-thome.de/media/files/ASMK-Rechtsvereinfachungen-SGB-II—27.09.2013.pdf