Es gibt ein Grundrecht auf analoges Leben: Offener Brief Hamburger Migrations- und Sozialberatungsstellen
In einem Offenen Brief kritisieren 24 Migrations- und Sozialberatungsstellen aus Hamburg die Digitalisierungspolitik der Behörden in der Hansestadt. Sie fordern:
Digitale Zugänge dürfen analoge / direkte Möglichkeiten, sich an Behörden zu wenden, nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
Die Erreichbarkeit der Behörden wird – so die Wahrnehmung der Verfasser*innen des Offenen Briefs – trotz zunehmender Digitalisierung insgesamt schlechter, nicht besser. Digitale Zugangserfordernisse erhöhen für viele Menschen generell die Schwellen zu Ressourcen (Leistungen, Wohnungssuche, etc.) und grenzen weniger gebildete, ältere, nicht deutschsprachige und von Armut betroffene Menschen aus.Vor dem Hintergrund mangelnder digitaler Bildung und finanzieller Voraussetzungen verstärke diese Entwicklung in allen gesellschaftlichen Bereichen die soziale Ungleichheit. Viele Menschen werden auf Dauer von sozialer Teilhabe abgehängt.
Mit diesem Offenen Brief wird die Problematik der Digitalisierung (nicht nur) in der Verwaltung der Hansestadt Hamburg thematisiert. Zum einen ersetzen digitale Zugänge zunehmend die Möglichkeiten für die sogenannten Kund*innen, sich in Präsenz oder telefonisch an die Ämter zu wenden, darunter auch die Jobcenter. Zum anderen funktionieren die Online-Services teilweise nur schlecht. Die – teils ehrenamtlich besetzten – Beratungsstellen müssen dadurch Mehrarbeit leisten, die hochschwelligen Zugänge für die Ratsuchenden herzustellen, was häufig nur mühsam oder auch gar nicht gelingt. Vielen Menschen, nicht nur in Hamburg, wird es damit schwerer gemacht, zu ihrem Recht zu kommen. Denn es fehlt an digitaler Bildung, an digitalen Geräten, an finanziellen und Personalressourcen.
Beim Blick nach Dänemark…
… wird deutlich, was Zwangsdigitalisierung in allen Lebensbereichen – insbesondere im Kontakt mit staatlichen Stellen – für Menschen in den genannten Lebensbereichen bedeutet.
Das Grundrecht auf analoges Leben muss dauerhaft sichergestellt werden!
Dr. Bernd Lorenz, Fachanwalt für IT-Recht und zertifizierter Datenschutzbeauftragter hat dazu in MMR – Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung unter dem Titel „Das Recht auf ein analoges Leben“ die „Anerkennung eines neuen Grundrechts“ gefordert. Er kommt zum Ergebnis: „Privatpersonen steht ein Recht auf ein analoges Leben als Grundrecht zu. Daraus ergibt sich zum einen das Recht, auf analogem Wege am öffentlichen Leben teilzunehmen. Zum anderen beinhaltet dies das Recht, sich vorzubehalten, im Internet nicht präsent zu sein und nicht namentlich auf Webseiten erwähnt zu werden.“ Und unter der Überschrift „Schnell gelesen …“ fasst Lorenz seine Position abschließend so zusammen:
- „Für Privatpersonen, die nicht am Internet teilnehmen können oder wollen, ist eine analoge Lösung bereitzustellen. Kosten dürfen für diese analoge Lösung nicht erhoben werden.
- Privatpersonen müssen die Möglichkeit haben, Steuererklärungen weiterhin in Papierform einzureichen…
- Eine Abschaffung des Bargelds wäre verfassungswidrig. Auch würde es gegen das Recht auf ein analoges Leben verstoßen, wenn das Bargeld zwar nicht abgeschafft wird, aber keine Möglichkeit besteht, bei Behörden bzw. Unternehmen bar zu bezahlen.“