Datenskandal auch beim sächsischen „Verfassungsschutz“: Geheimdienst auflösen!
Am 07.06.2021 legte die Parlamentarische Kontrollkommission des Sächsischen Landtags ihren Abschlussbericht zur illegalen Sammlung und Speicherung von Daten über das Verhalten und die Aktivitäten von Landtagsabgeordneten, darunter dem stv. Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD), durch den sächsischen „Verfassungsschutz“ vor. Im Abschnitt 3.3 des Berichts wird u. a. festgehalten:
„Erhobene und gespeicherte Daten sächsischer Abgeordneter
Im Zuge der Untersuchungen… zur Sammlung und Speicherung von Daten sächsischer Abgeordneter der AfD richteten mehrere Mitglieder des Sächsischen Landtages aus verschiedenen Fraktionen Auskunftsersuchen nach § 9 SächsVSG an das LfV. Den hierauf erteilten Auskünften sind beispielsweise die folgenden Antworten zu entnehmen:
- »Die Partei „Die Linke“ wirft Herrn Kretschmer vor, sich als „Verlautbarungsorgan des Militärs“ zu betätigen. In diesem Zusammenhang sagten Sie: „Wir wollen nicht zurück in die Zeit des „Kalten Krieges“, den wir überwunden glaubten“.« (veröffentlichter Zwischenbescheid des MdL Rico Gebhardt (Linke) vom 06.11.2020…
- »Im Rahmen Ihrer parlamentarischen Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender für die Partei „Die Linke“ stellten Sie mehrere Anträge, Dringliche Anträge und „Große“ und „Kleine Anfragen“ für die Partei „Die Linke“ im Sächsischen Landtag. Sie selbst stellten weiterhin „Kleine Anfragen“ im Sächsischen Landtag.« …
- »Im Nachgang an die „Querdenken-Demo“ in Leipzig äußerten Sie sich in der dpa am 08.11.2020 kritisch über die Planungen zur Demonstration, das Versammlungsgeschehen und die Angriffe auf Gegenproteste, Journalisten und die Polizei. « (unveröffentlchter Zwischenbescheid des MdL Valentin Lippmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 15.02.2021…
- »Sie waren Erstunterzeichnerin der Leipziger Erklärung 2018 – Zeit für Zivilcourage.« (veröffentlichter Zwischenbescheid der MdL Christin Melcher (B90/Grüne) vom 30.09.2020…
- »Sie sind Unterstützer des Aktionsnetzwerks „Leipzig nimmt Platz“ und riefen zum Protest gegen das Neonazifestival in Ostritz am 21.04.2018 auf.« (veröffentlichter Zwischenbescheid des MdL Marco Böhme (Linke) vom 21.02.2021…
- »Im Rahmen einer Studie des Göttinger Institut für Demokratieforschung zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland werden Sie mit der Äußerung benannt, dass auch die CDU eine Verantwortung dafür trägt, welche Zustände heute in Sachsen hinsichtlich Rechtsextremismus und Rassismus herrschen. Die CDU habe das Problem 25 Jahre lang verharmlost und relativiert. Auch kritisieren Sie, dass die CDU denen mit Misstrauen begegne, die sich stets gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagiert haben.« (unveröffentlichter Zwischenbescheid des MdL Martin Dulig (SPD) vom 16.02.2021…
- »Am 27. Oktober 2018 posteten Sie in Ihrer Eigenschaft als Mitglied des Sächsischen Landtags für die Sozialdemokratische Partei Deutschland (SPD) auf Facebook unter dem #dein Land eine Ansprache an die Sächsinnen und Sachsen.«…“
Das Netzwerk Tolerantes Sachsen, ein Zusammenschluss von rund 120 Organisationen und Vereinen der sächsischen Zivilgesellschaft, die sich für die Förderung demokratischer Kultur und vielfältige Lebensweisen sowie gegen Einstellungen der Ungleichwertigkeit, Antisemitismus und Rassismus einsetzen, stellt in einer Pressemitteilung vom 11.06.2021 fest: „Wie in den letzten Tagen… bekannt wurde, hat der sächsische Verfassungsschutz offenbar über Jahre hinweg illegal enorme Datenmengen gesammelt und gespeichert. Betroffen davon sind nicht nur Landtagsabgeordnete und Regierungsmitglieder, sondern auch Menschen aus der Zivilgesellschaft, die sich im Freistaat tagtäglich unter teils enormen Gefahren gegen Rechtsextremismus engagieren. Einmal mehr entsteht das Bild: Wer sich in Sachsen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzt, ist verdächtig. Beim NSU, dem Sturm 34, den Skinheads Sächsische Schweiz, der Gruppe Freital und bei Revolution Chemnitz sowie den Hetzjagden in Chemnitz hat der Verfassungsschutz dagegen sehr zögerlich agiert. Die PEGIDA-Bewegung wurde in Sachsen über Jahre hinweg trotz eindeutiger verfassungsfeindlicher Positionen nicht als Verdachtsfall geführt… Mitglieder des Netzwerks Tolerantes Sachsen sitzen in verschiedenen Gremien u.a. mit Mitarbeiter_innen des Landesamtes für Verfassungsschutz zusammen. „Dabei fällt regelmäßig auf, dass die Analysen der ortskundigen Initiativen aufschlussreicher sind als die des Verfassungsschutzes“, so Robert Kusche… Sprecher des Netzwerks Tolerantes Sachsen.“
Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen des Sprecher*innenrats des Netzwerks Tolerantes Sachsen an das sächsische Innenministerium mehr als moderat. Eindeutiger positionieren sich die Grünen und Linken in Sachsen:
- „Sächsischer Verfassungsschutz nicht reformierbar – Auflösung und Neustart jetzt notwendig“ fordern die Grünen in einer Stellungnahme vom 08.06.2021
- „Verfassung schützen und Geheimdienst abschaffen!“ ist die Überschrift der Stellungnahme der Linken vom 08.06.2021.
Martin Dulig (SPD, stv. Ministerpräsident von Sachsen, selbst Betroffener der Geheimdienst-Schnüffeleien), äußert sich – SPD-like, siehe aktuelle Entscheidung der SPD-Bundestagsfraktion zur massiven Ausweitung staatlicher Überwachungsmöglichkeiten – deutlich zurückhaltender. Seine Erklärung beginnt zwar mit dem Satz: “Ich bin nach wie vor fassungslos, was im Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen passiert ist…“ Aber sie endet mit dem Absatz: „Der PKK-Bericht zeigt, dass jetzt aufgeräumt wird. Der neue Präsident des Landesamtes geht das entschieden an. Das Sammeln von Daten ist außerdem als illegal eingestuft worden.” In den späten 40er Jahren des letzten Jahrhunderts nannte der Volksmund so was „Persilschein“! Und solche Persilscheine sind nach den nicht nur in Sachsen und Hessen (NSU, NSU 2.0, Mord an Walter Lübcke) aufgedeckten Geheimdienst-Skandalen in keiner Weise akzeptabel.