Fundgrube für die polizeiliche Ermittlungsarbeit: Corona-Zettelwirtschaft in Restaurants und Cafés

Schuetze/ Juli 13, 2020/ alle Beiträge, Datenschutz in Zeiten von Corona, Polizei und Geheimdienste (BRD), staatliche Überwachung / Vorratsdatenspeicherung, Vorratsdatenspeicherung/ 3 comments

Auch wenn die Zettelwirtschaft in den Restaurants und Cafés zuweilen wie ein lustiger Schildbürgerstreich aussieht; wenn die Polizei diese Daten für die eigene Ermittlungsarbeit nutzt, hört der Spaß spätestens auf.

Das Online-Portal „Golem.de“ berichtet, wie in Hamburg bereits Fälle bekannt wurden, nach denen die Polizei die auf den Zettel hinterlassenen Daten für ihre Ermittlungsarbeit nutzt.
Natürlich darf sie das, wenn sie in Amtshilfe für die Gesundheitsämter tätig wird und sich dies im Rahmen der Durchsetzung des Infektionsschutzes hält. Auch wenn die Daten für die spätere Nachverfolgung eines Infektionsweges erhoben wurden, stehen sie auch der Strafverfolgung im Rahmen des Infektionsschutzes zur Verfügung.

Werden aber völlig andere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten damit verfolgt, so handelt es sich um eine Zweckänderung. Die zweckgeänderte Nutzung von vor­handenen Datenbeständen bedarf einer eigenen Rechtsgrundlage. Für die Strafver­folgungsbehörden ist das wohl der § 49 BDSG.

Bei den Daten zur Videoüberwachung erwarten die Datenschutzaufsichtsbehörden eine Löschung der Videodaten nach spätestens 72 Stunden. Videoüberwachung ist ein besonders intensiver Eingriff in die Privatsphäre von Bürger*innen – daraus leitet sich diese kurze Frist ab. Diese kurze Frist hat auch dazu geführt, dass sie zur Strafverfolgung regelmäßig nicht zur Verfügung stehen. Anfragen der Polizei kommen in der Regel erst deutlich später.

Für die Corona-Nachverfolgungsdaten gibt es bei den Datenschutzaufsichtsbehörden noch keine gängige Praxis. Außerdem sind diese Zettel 4 Wochen lang aufzu­be­wahren. Also auch bei eher spätem Ermittlungsbeginn stehen sie noch zur Ver­fügung. Aber Achtung: Es handelt sich um tatsächliche oder potenzielle Gesundheits­daten, auch wenn es augenscheinlich nur Adressen und Telefonnummern zu sein scheinen. Eine Zweckentfremdete Nutzung nach § 49 BDSG unterliegt damit einer sehr strengen Prüfung der Verhältnismäßigkeit.
So scheidet eine Überlassung dieser Daten bei bloß geringen Ordnungswidrigkeiten – Bußgeld von 55,– Euro oder weniger – als regelmäßig unverhältnismäßig ganz aus.

Bei drohenden höheren Bußgeldern ist abzuwägen zwischen der Verfolgungsinteresse und dem Vertraulichkeitsinteresse der Bürger, die sich auf eine zweckgebundene Nutzung dieser Daten verlassen haben. Je größer hier der Vertrauensschaden wird, umso weitere Teile der Bevölkerung wird sich an dieser Art der Erhebung nicht länger beteiligen, bzw. sie mit falschen Angaben abwehren. Jeder Zweckentfremdung konterkariert damit auch den ursprünglichen Nutzen dieser Datenerhebung: Die Nachvollziehbarkeit von Infektionswegen.
Bei der Verfolgung von Straftaten, insbesondere bei leichten Vergehen, kann das gleiche gelten, wie bei der Verfolgung von nicht-geringen Ordnungswidrigkeiten.
Erst bei gravierenden oder schweren Straftaten wird sich diese Prüfung der Verhältnis­mäßigkeit öfter zugunsten der Strafverfolgung wenden.

Die Betreiber von Restaurants und Cafés sind und bleiben die Verantwortliche Stelle und Herr und Hüter dieser Daten. Es gilt, eine leichtfertige Preisgabe weitestmöglich zu verhindern.
Diese Betreiber  sind daher regelmäßig überfordert, die Erwägungen der Polizei nachzuvollziehen und zu bewerten, ehe sie sich für oder gegen die Herausgabe der Zettel entscheiden. Da auch sie durch das Gesetz aufgerufen sind, diese Daten zu schützen, können sie die Herausgabe durchaus verweigern und ein Beschluss zu Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft oder einen Ermittlungs­richter ab­warten. Nur so sind sie nicht mehr selbst in der Verantwortung, u.U. im Blindflug Daten für einen ganz anderen Zweck herausgegeben zu haben.

von Roland Schäfer

3 Comments

  1. Polizei und Staatsanwaltschaft in Frankfurt scheinen entschlossen, dem Beispiel aus Hamburg zu folgen.

    In der FAZ vom 12. Juli wird das deutlich:

    Nach Ansicht der Frankfurter Staatsanwaltschaft etwa ist es sehr wohl möglich, in begründeten Fällen auch auf sogenannte Gäste-Daten zuzugreifen. Nach Angaben von Oberstaatsanwältin Nadja Niesen handelt es sich hierbei weniger um eine Frage des Datenschutzes, sondern vielmehr um die Frage, ob derartige Unterlagen „beschlagnahmefrei“ sind. „Nach hiesiger Auffassung sind sie es nicht. Das bedeutet, sie können durchaus zu Beweiszwecken, also zum Beispiel, um, wie in Hamburg, die Namen möglicher Zeugen festzustellen, sichergestellt werden.“ Die Datenschutzbestimmungen stünden einer Beschlagnahme nicht entgegen, „denn dem Schutz der personenbezogenen Daten wird auch Rechnung getragen, wenn sich die Unterlagen in den Ermittlungsakten befinden“.

    https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/corona-was-mit-den-gaeste-daten-in-restaurants-passiert-16857848.html

    Der Hessische Datenschutzbeauftragte sieht das lt. FAZ anders. Eine Sprecherin erklärte gegenüber der Zeitung:

    Die landesweite Verordnung sieht vor, dass persönliche Daten, die etwa in gastronomischen Betrieben erhoben werden, ausschließlich zweckgebunden verwendet werden. Das heißt, die Gastronomen dürften sie nur im Fall einer nachgewiesenen Infektion herausgeben und auch dann nur an die zuständigen Gesundheitsämter, um eine Infektionskette nachzuvollziehen. Die Weitergabe an andere Behörden sei somit ausgeschlossen.

  2. Das ist für mich wie die Vorratsdatenspeicherung.
    Wenn ich gegen die VDS bin, kann ich es nicht unterstützen mich in Schankwirtschaften zu treffen, besonders im Sommer ist es sehr gut möglich diesem Zwang zu entgehen.

    Treffen werde ich daher keine wahrnehmen!

  3. Fakt ist doch, dass solche Nachrichten-Meldungen dazu beitragen das bspw. einige Restaurant-Gäste – aus welchen Gründen auch immer – mit falschen Namen und Adressen agieren.
    Die diesbezüglichen Angaben der Gäste werden doch in der Regel nicht überprüft. Damit hat die Datensammelwut der Polizei dem eigentlichen Zweck (Corona-Infektionsschutz) dieser Kundendaten-Hinterlegung einen “Bärendienst“ erwiesen!

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