Plant die Techniker Krankenkasse (TK) die Schaffung eines eigenen Systems zur Verwaltung von Patientenakten als Alternative zur elektronische Patientenakte der Gematik? (II)

Datenschutzrheinmain/ August 10, 2016/ alle Beiträge, Telematik-Infrastruktur/ 7Kommentare

Anfang August 2016 wurde bekannt, dass die TK mit einer europaweiten Ausschreibung unter dem Titel „Systeme zur Verwaltung von Patientenakten“ die Voraussetzungen für eine kassenspezifische elektronische Gesundheitsakte (eGA) schaffen will. Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main fragte bei der TK nach.

Am 10.08.2016 antwortete die Pressesprecherin der TK-Zentrale. Sie teilte mit: „… die von der TK geplante elektronische Gesundheitsakte (eGA) fußt auf § 68 SGB V und kann von den TK-Versicherten auf freiwilliger Basis in Anspruch genommen werden. Der Vorteil für den Nutzer besteht unter anderem darin, dass für ihn alle seine gesundheitsrelevanten Informationen an einer Stelle vorgehalten werden. Dabei gilt: Der Nutzer allein ist Herr seiner Daten. Er entscheidet, welche Daten er in der eGA speichern möchte und wem er Einblick gewähren möchte oder ob er dies nicht wünscht. Denkbar sind zum Beispiel Gesundheitsdaten (Bewegung, Schlaf), Vorsorgedaten (Impfstatus, Früherkennungsuntersuchungen), Krankheitsdaten (Allergien, Röntgenbilder, Laborberichte) oder auch Daten zur Medikamentenverwaltung (Wechselwirkungen). TK-Versicherte, die sich für die Nutzung der eGA entscheiden, schließen einen Vertrag mit dem Anbieter. Die Kosten trägt die TK. Da die TK natürlich nur die Kosten für eigene Versicherte übernehmen darf, erfolgt die Prüfung des Versichertenstatus‘ über die TK. Ein Einwilligungs- oder Zustimmungsverfahren ist nicht geplant, da die eGA das Produkt eines Anbieters sein wird, auf das die TK keinen Zugriff hat. Selbstverständlich ist der Datenschutzbeauftragte der TK in die Ausschreibung einbezogen worden. Welche Landesdatenschutzbehörde zuständig sein wird, entscheidet sich, wenn der Anbieter feststeht: Es wird die Behörde sein, in deren Bundesland er seinen Sitz hat. Eine ‚Parallelwelt‘ zur Gematik ist im Übrigen nicht beabsichtigt.“

Genau wie eine solche „Parallelwelt‘ zur Gematik mutet die elektronische Gesundheitsakte (eGA) den interessierten Leser nach Blick § 291a Abs. 3 SGB V aber an. Deshalb wirft die Stellungnahme der TK weitere Fragen auf:

  • Warum will die TK Versichertenbeiträge für ein weiteres System elektronischer Datenhaltung von Versicherten- und Gesundheits- bzw. Krankheitsdaten ausgeben? Denn die elektronische Patientenakte der Gematik gem. § 291a Abs. 3 Nr. 4 SGB V wirkt Ihrerseits wie eine „Parallelwelt“ zur eGA der TK. Denn auch diese soll „Daten über Befunde, Diagnosen, Therapiemaßnahmen, Behandlungsberichte sowie Impfungen für eine fall- und einrichtungsübergreifende Dokumentation über den Patienten“ enthalten. Die elektronische Gesundheitskarte (eGk) soll darüber gem. § 291a Abs. 3 Nr. 2 und 3 SGB V den Zugang zu „Befunden, Diagnosen, Therapieempfehlungen sowie Behandlungsberichten in elektronischer und maschinell verwertbarer Form für eine einrichtungsübergreifende, fallbezogene Kooperation (elektronischer Arztbrief)“ sowie zu den „Daten des Medikationsplans nach § 31a einschließlich Daten zur Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit“ ermöglichen.
  • Traut die TK der gematik nicht mehr zu, dass diese ihre von Bundesgesundheitsminister Gröhe (CDU) mit dem E-Health-Gesetz  verordneten Aufgaben form- und fristgerecht erfüllen kann?
  • Oder will die TK als weitaus größte Ersatzkasse (10,5 Mio. der insgesamt knapp 70 Mio. Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen) hier einen Service auf freiwilliger Basis mit Kostenübernahme durch die Krankenkasse“ anbieten, um – mit augenzwinkernder Duldung durch Gröhe und die gematik – Widerstände gegen die Nutzung der elektronischen Patientenakte der Gematik bereits im zeitlichen Vorlauf zu minimieren?

7 Kommentare

  1. Die einfache Frage ist einfach zu beantworten: Die TK handelt so, weil sie plant, durch einen Umweg zum Ziel zu kommen.

    Auch wenn das konkrete Ziel nicht greifbar ist, ist die Vorgehensweise offensichtlich. Durch die Einbindung anderer Stakeholder und der Vorgabe, nicht vorzuhaben, was man vorhat, wird seitens der TK versucht, die Hürde des Widerstands an verschiedenen Stellen zu umgehen und es auch Dritten (wie dem Gesetzgeber) einfacher zu machen, Widerstand der anderen Variante aufzuweichen.

    Ein ähnliches Beispiel sind Geomarketing Daten im Schufa Score. Dem Endkunden an der Kasse gegenüber wird behauptet, die Erhebung der Postleitzahl (Aus welchem Stadtteil kommen sie?) diene zur Verbesserung der Marketingmaßnahmen. Dass der kaufwillige Kunde selbst damit Daten beisteuert, die in der Summe zur Kaufkraft von Stadtteilen und im Umkehrschluss schon heute in der Realität zu schlechteren Kreditbedingungen im Fall eines Kredits für einen Anwohner einer „schlechteren“ Adresse führen, wissen viele Leute nicht.

    Die TK selbst hatte zu Zeiten der Überredungskunst zur elektronischen Gesundheitskarte spezielle Leute im Backoffice, die die Hartgesottenen unter den Ablehnern überzeugen sollten. Hierzu gab es Argumentationsketten und Gesprächsleitfäden. Diese Mitarbeiter ließen sich zwar nicht zu Falschaussagen wie im Schriftverkehr hinreissen, verharmlosten aber allerorten die Erhebung und die Schritte, die die TK mit der eGK ging.

    Auch andere Krankenkassen stellen sich heute argumentativ bei der Übermittlung von Daten von Fitnesstrackern so auf, als würden sie überhaupt nicht planen, künftige Tarifstrukturen zum Nachteil von nicht so gesund lebenden Menschen aufzubauen. Das glaube ich schlicht und einfach nicht. Trotz viel zu hoher Gehälter der jeweiligen Geschäftsführer gibt es dennoch eine Gewinnerzielungsabsicht, die bei Umsetzung das Prinzip der Solidargemeinschaft aushöhlen wird.

    Ich hätte einen Vorschlag, der Ihnen aufwendig erscheinen mag, aber naheliegend ist: Warum gründen Sie nicht die Krankenkasse Datenschützer Rhein Main oder eine, die die Interessen der Versicherten aufgreift, die NICHT ihre ganze Krankenhistorie auf einer Chipkarte offen durch die Welt tragen wollen?

  2. Ich sehe keine Parallelwelt bei der Gematik. Im Beschleunigungsgesetz heißt es ja nur: „Die gematik muss bis Ende 2018 die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Daten der Pati­enten (z.B. Arztbriefe, Notfalldaten, Daten über die Medikation) in einer elektronischen Patientenakte für die Patienten bereitgestellt werden können.“

    Sie muss nur die Voraussetzungen für eine Patientenakte schaffe, keine Patientenakte anbieten. Unter Voraussetzungen verstehe ich, dass etwas geschaffen werden muss, dass die Patienten mit ihrer eGK auf der „Datenautobahn“ (telematische Infrastruktur der Gematik) unterwegs sein können zum Ablageort ihrer Patientenakte, die von Krankenkassen oder qualifizierten Dritten angeboten wird. Dass dabei auch Daten aus dem zweiten Gesundheitsmarkt (z.B. Fitnesstracker) reingepanscht werden, ist noch ein anderes Problem.

  3. In der Satzung der Techniker Krankenkasse steht zu dem Thema kein Wort, obwohl in § 68 SGB V steht, das Nähere sei in der Satzung der Krankenkasse zu regeln.
    § 68 SGB V sieht nicht vor, dass Krankenkassen eine Infrastruktur für eine Gesundheitsakte finanzieren. Sondern, dass sie die Kosten übernehmen, wenn Versicherte eine solche Infrastruktur nutzen, die von einem privaten Anbieter bereitgestellt wird. Das ist ja wohl was ganz anderes.
    Nach der Ausschreibung will die TK eine Infrastruktur finanzieren.
    @Detlef, im E-Health Gesetz steht vielfach drin, dass die Gematik Voraussetzungen für Anwendungen schaffen muss, z.B. in § 291 Abs. 2b Satz 6 SGB 5 für den Stammdatenabgleich und in § 291b Abs. 1 Satz 9 und 10 für Notfalldaten und Medikationsplan. Die Organisation und Finanzierung all dessen soll aber über Gematik und das Telematik Budget erfolgen und nicht durch einzelne Krankenkassen.

  4. @ddrm: Darf man hier aus der Leistungsbeschreibung zitieren, die auf tk.de verlinkt ist? Falls nicht, dann den Kommentar löschen.

    Leistungsbeschreibung S. 8:
    „Die eGA wird nach § 68 Abs. 1 SGB V von einem Anbieter im direkten Endkundengeschäft den TK-Versicherten angeboten. Die eGA wird vom Auftragnehmer (AN) gemeinsam mit der TK entwickelt und anschließend vom AN umgesetzt. Die TK hat großes Interesse an einer standardisierten eGA mit einer breiten Marktdurchdringung.“

    Darunter eine Grafik „Umsetzung des §68 SGB V als TK-Satzungsleistung (§25)“.
    In der Satzung der TK steht allerdings „§ 25 zurzeit nicht belegt“. (Oder ist ein anderer §25 gemeint?)

    Weiter:
    „Mit dieser Leistungsbeschreibung (LB) werden die Anforderungen an den AN als Entwickler
    und Betreiber einer elektronischen Gesundheitsakte beschrieben […]“.

    Das hört sich für mich so an, als ob der AN offiziell die Infrastruktur stellen soll.

    Weiß jemand, was die fortlaufenden Zahlen am rechten Rand in der LB bedeuten?

  5. Ich habe die LB nicht komplett gelesen, aber es hört sich so an, als ob eine Standard-eGA entwickelt werden soll (Entwicklungspartnerschaft TK und AN). Die kann der AN dann wohl auch anderen Kassen anbieten. Bestimmte Algorithmen oder Features dürfen aber nur für TK-Versicherte verwendet werden.

    Einerseits soll der Zugang über die TK-Authentifizierung innerhalb der TK-App oder Webseite „Meine TK“ erfolgen. Andererseits soll ein User aber auch die Möglichkeit haben, Zugriffsberechtigungen für ausgewählte Bereiche seiner eGA an bestimmte Personen zu erteilen. Als Beispiel werden genannt „Leistungserbringer, Angehörige, Fitnesstrainer, Coaches“. Wenn diese Personen nicht TK-versichert sind, können sie auf die Daten eigentlich nicht zugreifen – außer es gibt noch andere Schnittstellen.

    Die eGA soll perspektivisch auch Schnittstellen zu Leistungserbringern erhalten (z. B. Arzt- und Krankenhaus-
    informationssysteme). Die User sollen Daten, die ihre Ärzte über sie gespeichert haben, über die Ärzte in die eGA übertragen können.

    Das klingt alles nach einem Parallelsystem der Telematik-Infrastruktur oder einem zukünftigen Teil der TI.

  6. Es stellt sich tatsächlich die Frage, für welches Problem das jetzt die Lösung sein soll.

    Nehmen wir die „keine Parallelwelt“-Einlassung ernst – und nicht als ausgewiesene Inkompetenz – sieht das nach einem Versuch zum dezentralen Implementierungs-Durchstich bei der „Telematik-Infrastruktur“ aus. So eine – anfängliche – TK-Insellösung ließe sich vielleicht einfacher auf die restlichen Kassen ausrollen, als mit dem schwerfällig zentralistischen gematik-Ansatz. Wobei es für die „Schwerfälligkeit“ dort natürlich seine guten Gründe hat. Nicht ein einziges konzeptionelles Problem verschwindet dadurch, dass man die Entwicklung einem Einzelanbieter/Konsortium überträgt.

    Dass die TK ohne (zumindest informelle) Rückendeckung aus dem Ministerium agiert, erscheint unwahrscheinlich. Und damit riecht es dann nach dem was es ist: Eine weitere Scheibe der Salami-Taktik.
    Und ein weiterer Hochofen, in dem metrische Tonnen an Versichertengeld verbrannt werden.

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