Macht die Nichtnutzung von medizinischen Datenbergen krank?
Wenn man die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 25. 10. 2015 liest, wird einem das tatsächlich suggeriert. Der Artikel erschien im Wirtschaftsteil der FAZ, im Feulleton und im politischen Teil gab es durchaus aber auch schon kritische Beiträge zur Thematik eHealth. Schauen wir uns den Artikel etwas genauer an:
Der Autor beginnt damit, — ausgerechnet! — Facebook als ein gelungenes Beispiel der Vernetzung anzuführen. Erst am 6. 10. 2015 hat der Europäische Gerichtshof in Sachen Max Schrems ./. Facebook ein Urteil gefällt, das Facebook im Lichte europäischer Datenschutzstandards keinesfalls gut aussehen läßt. Könnte es sein, dass dem Autor des FAZ-Artikels Datenschutz eine lästige Nebensächlichkeit ist? Wenn jemand Facebook für einen Leuchtturm hält, liegt dieser Verdacht zumindest nahe. Der Aufruf „Lasst die Daten frei! Ärzte und Krankenkassen sollten Gesundheitsdaten besser nutzen.“ läßt den Verdacht Gewissheit werden. Hier redet jemand der Zwangsvernetzung medizinischer Daten das Wort. Niemand hindert den Autor, seine medizinische Daten frei zu lassen, sie gar bei Facebook zu posten, wenn ihm danach ist. Er sollte sich aber hüten, den Eindruck zu erwecken, dass die Daten anderer Personen ebenfalls freizulassen sind. Das sollte dann doch bitteschön jeder selber entscheiden, dafür gibt es schließlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung!
Weiter geht es mit polemische Auslassungen über das deutsche Gesundheitssystem, das sich „immer noch auf altertümliche Rezeptblöcke und zerfledderte Impfpässe“ verläßt. Dies altertümliche Medien haben einen immensen Vorteil gegenüber der ach so hoch gepriesenen digitalen Technik: Die Daten können nicht so einfach von Unbefugten abgezweigt und zweckentfremdet werden. Korrekterweise schreibt er, dass die Medizin sich schon lange in ihren Befunden auf mediziniche Daten stützt. Die Schlussfolgerung, dass es uns krank macht, wenn diese Daten nicht frei herumvagabundieren, ist jedoch geradezu abenteuerlich und der Autor bleibt auch echte Belege schuldig. Statt dessen schreibt er: „Dass die Großkonzerne in das Geschäft mit Gesundheitsdaten einsteigen, macht manchen Bürgern Angst. Sie fürchten Geheimdienste und Datenkraken, die sensible Informationen absaugen. Big Data heißt das Stichwort. Es beflügelt aber auch die Phantasie von Unternehmern und Politikern. Die Berater von McKinsey werben damit, allein im Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten ließen sich 300 Milliarden Dollar sparen, wenn die modernen Möglichkeiten der Datenverarbeitung komplett ausgeschöpft würden.“ Hiermit liefert er ja den Grund für die Angst geradezu auf dem Präsentierteller: Wenn die Unternehmen einen Markt von 300 Milliarden Dollar sehen, woran sind sie dann wohl vorrangig interessiert? Am Allgemeinwohl oder an den Dollars? Und wieviel kann man von 300 Milliarden Dollar für Landschaftspflege abzweigen, damit im politischen Gärtchen die geeigneten Gesetze wachsen?
Seine erschütternd schwache IT-Kenntnis demonstriert der Autor mit dem Satz „Der Chip der Karte kann gerade einmal 64 Kilobyte speichern, eine in der Computerbranche schon fast vergessene Größenordnung. Das reicht für nicht viel mehr als Name, Adresse, Versichertenstatus.“ Ich möchte hier nur anmerken, dass 64 Kilobyte ausreichen, um die Stundenpläne einer Schule mit 1000 Schülern nebst der zugehörigen Software um sie zu verwalten und zu erstellen aufzunehmen. Da hätte also selbst auf der eGK erster Generartion einiges mehr Platz, aber dort befände es sich ja noch unter der Kontrolle des Patienten und nicht in Reichweite von Datenkraken. Könnte es sein, dass es hier darum geht, mittels Big Data die Daten für Großkonzerne nutzbar zu machen? Haben sich die Interessenschwerpunkte des eGK/Telematik-Projekts weg vom Patienten und hin zur Wirtschaft verschoben?
Des weiteren wird die Arzneimitteltherapiesicherheit, ein wichtiges und hehres Ziel bemüht. Die läßt sich jedoch nur bedingt dadurch erreichen, dass man weiß, welche Medikamente ein Patient nimmt. Dazu ist die individuelle Biochemie dann doch zu unterschiedlich, so dass es doch wieder eine fachkundige Beurteilung braucht (und nicht einfach nur dem simplen Abgleich der Namen von verordneten Präparaten). Und Medikationspläne werden bereits erfolgreich und hackersicher auf Papier transportiert.
Ein „Einwand ist die vermeintliche technische Komplexität des Projekts. Humbug, sagen Industrievertreter dazu„. Aha. Nur hat die Industrie Mühe, Komponenten bereitzustellen, die nach dem Stand der Technik sicher sind. Die erste Generation der Karte hat nach heutigem Stand der Technik zu schwache kryptographische Schlüssel, die heutigen Kartenterminals sind laut Mitteilung der Gematik nicht sicher genug für die erweiterten Anwendungen der eGK und müssen ausgetauscht werden, bevor die neue Generation der eGK ausgegeben wird („Zwischenzeitlich hat der Kartenterminalhersteller gemalto GmbH die gematik informiert, den Vertrieb seiner Kartenterminals GCR 5500-D mit sofortiger Wirkung einzustellen. Ein Softwareupdate zum online-fähigen Kartenterminal ist nicht geplant.“) Wenn die nachgebesserte Technik auslieferungsbereit ist, wird sie dem dann geltenden Stand der Technik bereits nicht mehr genügen. Zudem sind kriminelle Elemente, die an den Milliarden interessiert sind sowie Geheimdienste in der Lage, dem Stand der Technik voraus zu sein. Der Stand der Technik bezeichnet schließlich nur das, was allgemein verfügbar ist.
Meine Einschätzung: Es macht mich nicht krank, wenn meine Daten nicht freigelassen werden. Im Gegenteil, ich glaube, ich war eher Gesundheitsrisiken ausgesetzt, als ich mich dubiosen Angeboten von Verwertern von Patientendaten ausgesetzt sah. Diese bekam ich, nachdem vor ca. 12 Jahren ein medizinischer Untersuchungsbericht in die falschen Hände geraten war.
Links:
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/gesundheitsdaten-bieten-fuer-krankenkassen-ein-enormes-potential-13862478.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=169195&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=80702
Sehr gute Einschätzung. Interessant finde ich allerdings im Artikel das folgende Zitat: „Denn viel zu viele Patienten, da sind sich die Krebsmediziner einig, werden bisher auf gut Glück und mangels Alternativen mit einer hochgiftigen Chemotherapie behandelt, die <<>>.“ Da hat sich der Autor vorher aber nicht gut mit der Pharma- und Gesundheitslobby abgestimmt. ;)
…die nur bei einer Minderheit der Kranken überhaupt den Krebs bekämpft…. (das sollte eigentlich zwischen den stehen)