Keine Ausweitung der Befugnisse für das kommerzielle Sicherheitsgewerbe!

WS/ September 17, 2021/ alle Beiträge, Beschäftigten- / Sozial- / Verbraucherdaten-Datenschutz, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 1Kommentare

Der Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten für Aufgaben im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Auch viele Kommunen greifen Mangels eigenen Personals auf diese „Dienstleistungen“ zu, z. B. auch zur Überwachung von Verkehrsordnungswidrigkeiten.

Dieser Praxis setzte das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) mit seiner Entscheidung vom 03.01.2020 (Aktenzeichen: 2 Ss-OWi 963/18) ein Ende: Der Einsatz von privaten Dienstleistern zur Überwachung des ruhenden Verkehrs ist gesetzeswidrig, so der Kern des Urteils. In den Leitsätzen wird festgestellt:

  1. Die den kommunalen Polizeibehörden gesetzlich zugewiesene Verpflichtung der Überwachung des ruhenden Verkehrs und die Ahndung von Verstößen sind hoheitliche Aufgaben. Mangels Ermächtigungsgrundlage dürfen sie nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden.
  2. Die Überlassung privater Mitarbeiter nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zur Durchführung hoheitlicher Aufgaben ist unzulässig.
  3. Die Bestellung privater Personen nach § 99 HSOG zu Hilfspolizeibeamten der Ortspolizeibehörden ist gesetzeswidrig.
  4. Der von einer Stadt bewusst durch „privaten Dienstleister in Uniform der Polizei“ erzeugte täuschende Schein der Rechtsstaatlichkeit, um den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln, ist strafbar.“

Diese Entscheidung hat Rechtskraft erlangt.

Im Vorfeld der Bundestagswahl hat der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) in einem Positions- und Forderungspapier unter dem Titel Deutschland (noch) sicherer machen  vom Bundestag und der künftigen Bundesregierung verlangt, ein Sicherheitsdienstleistungsgesetz (SDLG) zu verabschieden, das das OLG-Urteil aushebeln und privaten „Schwarzen Sheriffs“ umfangreiche zusätzliche Rechte beim Auftreten im öffentlichen Raum zubilligen soll. Mit teils sehr weit gehenden, teils auch abenteuerlichen Forderungen:

  • Der BDSW fordert die Bundesregierung auf, über die Innenministerkonferenz auf die Länder einzuwirken, landesrechtliche Ermächtigungsgrundlagen für die Beleihung von privaten Sicherheitsdiensten für kommunale Sicherheits- und Ordnungsaufgaben zu schaffen…“
  • Der BDSW fordert, das Streikrecht in der Daseinsvorsorge gesetzlich zu regeln. Diese gesetzliche Regelung sollte in jedem Fall ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vor jedem Streik, eine Streikankündigungsfrist von vier Werktagen sowie eine Verpflichtung zu einer Notdienstvereinbarung vorsehen.“

Gegen die Forderungen des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft erhebt sich Protest auf breiter Front. Pro Asyl, die Landesflüchtlingsräte, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälte-Verein (RAV) und mehr als 15 Streetwork-, Bürgerrechts- und Anwält*innenorganisationen fordern gemeinsam in einer Stellungnahme:

Keine Ausweitung der Befugnisse für das kommerzielle Sicherheitsgewerbe!

  • Rechtsanwältin Angela Furmaniak, Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV und aktiv im bundesweiten Anwält*innen-Netzwerk AG Fananwälte, weist in dieser Stellungnahme darauf hin,dass „an jedem Wochenende für rund eine Million Fußballfans Bürger- und Menschenrechte buchstäblich auf dem Spiel stehen. Dass die Kontrollaufgaben in Stadien zum Teil Neonazis und ungeschultem Personal, die zudem die Großen der Sicherheitsbranche an Subunternehmen weiterreichen, übertragen werden, kann – vorsichtig formuliert – nur sehr besorgt machen. Hier nehmen weder Stadionbetreiber, noch Vereine, noch das Sicherheitsgewerbe selbst und auch nicht der Staat ihre Verantwortlichkeiten hinreichend wahr“.
  • Ein Vertreter der Straßensozialarbeit-Organisation Gangway aus Berlin stellt fest: „Wir sehen und hören leider immer wieder von Übergriffen kommerzieller Sicherheitsdienste gegen die von uns betreuten Menschen. Wenn ausgerechnet die nun auch noch das Recht zur Personalien-Kontrolle und zur Erteilung von Platzverweisen bekommen sollen – und das bei deren niedrigen Qualifikationsniveaus –, dann vernachlässigt der Staat seine Fürsorgepflicht endgültig.“
  • Und ein Vertreter der Aktion Bleiberecht aus Freiburg erklärt: Für den Bereich der Geflüchteten-Unterbringung befürchten wir eine weitere Verschärfung der Situation… Dort setzten Sicherheitsdienste grundrechtsverletzende ‚Hausordnungen‘ mit fraglichen Befugnissen durch. Asylsuchende sind in diesen rechtsfreien Räumen dem Handeln der Wachdienste weitestgehend ausgeliefert.“

Dass Polizei und private Sicherheitsunternehmen bereits in der Vergangenheit – auch unter Mißachtung geltender Rechtsgrundlagen – kooperieren, macht eine aktuelle Anfrage an den hessischen Datenschutzbeauftragten zu entsprechenden Vorfällen in Kassel deutlich.

1 Kommentar

  1. U. a. das Essener Familienunternehmen Kötter Security wünscht sich – mit dem geplanten Sicherheitsdienstleistungsgesetz (SDLG)/ Sicherheitsgewerbegesetz (SGG), in der kommenden Legislaturperiode – hoheitliche Befugnisse (z. B. Identitätsfeststellungen, Platzverweisungen) für private Sicherheitsdienste. Dadurch könnten private Citystreifen (“public private security“) in den Kommunen verstärkt “private Hilfspolizei“ spielen und – im öffentlichen Raum – gezielt Ordnungswidrigkeiten feststellen und diese zur Anzeige bringen, sofern auch diese Möglichkeit gesetzlich festgeschrieben wird. Die Branche wünscht sich den Ausbau von public private partnership (ppp) im Bereich der öffentlichen Sicherheit & Ordnung sehr – lukrative, stabile und dauerhafte Aufträge am “Tropf der Steuerzahler“ sind das erklärte Branchenziel des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW); Kötter ist ein führendes Mitgliedsunternehmen dieses Arbeitgeberverbandes.

    https://app.smarticle.com/html/viewer/AHWqLLgM5I/x9hGxQ7UMbmet/page/1

    Diesen hoheitlichen Befugnissen für private Sicherheitsdienste stehen hierzulande das staatliche Gewaltmonopol, sowie der Art. 33 (4) Grundgesetz, im Wege. Denn mit den o. a. angestrebten Befugnissen müssten den Privaten auch die entsprechenden Zwangs-/ Durchsetzungsbefugnisse (z. B. Festhalten, einfache körperliche Gewalt) an die Hand gegeben werden.
    Für das SDLG/ SGG werben u. a. die beiden Mitglieder im Kötter-Sicherheitsbeirat, CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach und Fritz Rudolf Körper (ehem. Staatssekretär im BMI).
    Bereits vor einigen Jahren sah die NRW-Landtagsopposition von SPD und Bündnisgrünen diesbezüglich einen Interessenkonflikt bei Wolfgang Bosbach, der auch den Vorsitz der nach ihm benannten “Bosbach-Kommission“ (Entscheidungsgremium zur inneren Sicherheit im Bundesland NRW) innehat.

    https://www.ksta.de/politik/wegen-berater-job-spd-und-gruene-fordern-ruecktritt-von-wolfgang-bosbach-30043812?cb=1631269759805

    https://wagner.dielinke-nrw.de/nc/politik/presse/detail/news/kommission-sicherheit-nrw-bosbach-muss-interessenkonflikt-aufloesen/

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