Ist Krebspatienten der Datenschutz unwichtig?

Adinfinitumfr/ September 24, 2016/ alle Beiträge, Gesundheitsdatenschutz, Telematik-Infrastruktur/ 1Kommentare

Unter dem Titel ‚Digital Health: „Krebspatienten ist Datenschutz unwichtig“‚ veröffentlichte am 21. 9. das Technologie“schmierblatt“ TechnologyReview einen Artikel, der das tiefgreifende Unverständnis des Genetikers Hans Lehrach bezüglich des Themas Datenschutz offenbart. Dieser möchte alle Daten eines Patienten von der Wiege bis zur Bahre erfassen um so den Patienten umfassend simulieren zu können (Anmerkung: wir sind von solchen umfassenden Simulationen noch weit entfernt und es ist nicht klar, ob wir die Visionen von Herrn Lehrach überhaupt erreichen werden. So bezeichnete etwa der Nobelpreisträger und Biologe Sydney Brenner die solchen Simulationen zugrundeliegende Systembiologie als „low input, high throughput, no output science.“).

Herr Lehrach möchte mit solchen Simulationen unerwünschte Nebenwirkungen vermeiden und ist hier gedanklich natürlich sehr viel weiter als der primitive Ansatz des Medikationsplans des Bundesgesundheitsministeriums, wo dieses Ziel aufgrund von einer Liste des von einem Patienten genommenen Medikamente erreicht werden soll. Es soll hier nicht bestritten werden, dass es tatsächlich Medikamente gibt, die nicht zusammen
verabreicht werden sollen, aber bei diesem Medikationsplan wird völlig außer Acht gelassen, dass jeder Patient aufgrund seiner individuellen Zellchemie anders auf ein Medikation reagiert. Diesen Fehler macht Herr Lehrach nicht, aber es ist derzeit noch überhaupt nicht absehbar, inwiefern sein Ansatz tatsächlich zielführend ist.

Trotzdem wollen ihm zugestehen, dass er Recht behalten könnte und seine Vision in naher Zukunft Realität wird. Dennoch zeigt seine Aussage „Ich würde als langfristige Entwicklung gerne sehen, dass jeder von Geburt an bis ins hohe Alter ein individuelles Modell von sich selbst als eine Art Schutzengel zur Verfügung hat„, dass er eine gewisse Betriebsblindheit in Bezug auf Themen außerhalb seines Fachbereichs hat. Es sind keinesfalls nur die Gesunden, die bezüglich der generellen Aufhebung des Datenschutzes Bedenken haben. Zwischen dem vollkommen Gesunden und dem unheilbar Erkrankten gibt es nämlich
das breite Spektrum der Normalen, die nicht wollen, dass ihre Befunde zu Freiwild werden, um von Seiten der Wirtschaft verwertet zu werden, um von Arbeitgebern dazu verwendet zu werden, einem vermeintlich gesünderem Bewerber den Vorzug zu geben oder auch nur, um Menschen mit unpopulären Diagnosen auszugrenzen.

Mit Aussagen wie „Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen in Deutschland schon am Datenschutz gestorben sind.“ hetzt Herr Lehrach letzlich gegen eine der größten politischen Errungenschaften Deutschlands und verkennt, dass der Datenschutz eben nicht verhindert, dass die Daten eines Patienten genutzt werden können, sondern dass er die Entscheidung darüber dem souveränen Patienten überläßt. Diese Sourveränität abzuschaffen heißt letzlich, die Menschen zu entmündigen und ich will hier verhement solchen  Argumentationen widersprechen. Gerade auch ein Krebspatient sollte die Entscheidung darüber behalten, was mit seinen Daten geschieht.

Links:
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Digital-Health-Krebspatienten-ist-Datenschutz-unwichtig-3328192.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Systembiologie#cite_note-DOI10.1038.2Fnrm2320-19

1 Kommentar

  1. Der kluge Herr Professor Lehrach tut so, als sei ihm das Wohl der Krebspatienten (und nur dieses) ans Herz gewachsen. Beim Blick auf die Liste seiner Tätigkeiten und „Verdienste“ auf der Homepage seines Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik (http://www.molgen.mpg.de/236829/Hans-Lehrach) entsteht aber ein anderer Eindruck.

    Dort wird über die eigen-wirtschaftlichen Aktivitäten des Henn Professor wie folgt informiert: „Hans Lehrach hat mehrere Biotechnologie-Unternehmen wie Sequana Therapeutics, GPC Biotech, Scienion, Prot@gen, PSF Biotech, Atlas Biolabs, Alacris Theranostics sowie der Dahlem Centre for Genome Research und Medical Systems Biology gGmbH (DCGMS) mitbegründet.“

    Mit Fug und Recht darf also behauptet werden, dass sich Herr Prof. Lehrach mit den zitierten Äußerungen mitnichten als Sachwalter des Patientenwohls, sondern vor allem anderen als Lobbyist in eigenem wirtschaftlichen Interesse hervortut.

    Dem Herrn Professor sei ein Blick in das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 empfohlen, mit den dieses – gestützt auf die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes – das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung herausgearbeitet haben.

    Wer die Aussagen des klugen Herrn Professors im Wortlaut nachlesen möchte; hier sind sie zu finden: http://www.stiftung-gesundheit-blog.de/innovators-summit-digital-health-lehrach

    Und den Datenschützern Rhein-Main ein herzliches Dankeschön dafür, dass Ihr am Ball bleibt und auch immer mal wieder den Lobbyismus und die wirtschaftlichen Verflechtungen im Gesundheitswesen aufgreift und deutlich macht. Der Herr Lehrach ist ja nicht der Erste und Einzige, der vorgeblich das Patienten- und Gemeinwohl im Blick hat, tatsächlich aber eigenwirtschaftliche Ziele verfolgt.

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