„Digital, frei und gleich – Um was es geht“ – Eine Bilanz von Prof. Ulrich Kelber zum Ende seiner Amtszeit als Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit

Datenschutzrheinmain/ Juli 3, 2024/ alle Beiträge, Beschäftigten- / Sozial- / Verbraucherdaten-Datenschutz, Informationsfreiheit / Transparenz, staatliche Überwachung / Vorratsdatenspeicherung/ 0Kommentare

Beeindruckend, wie Prof. Ulrich Kelber Bilanz gezogen und Stellung zu ungelösten Problemen genommen hat.

Zu Beginn macht Kelber deutlich, dass er sich für eine grundrechtsgeleitete Digitalisierung eingesetzt hat. Kritisch stellt er fest: Deswegen lehne ich eine ‚Scheuklappen-Digitalisierung‘ ab, bei der ohne Rücksicht auf die Auswirkungen nur auf die Umsetzung einer Funktionalität geschaut wird. Deswegen bekämpfe ich die demokratiegefährdenden Geschäftsmodelle des Überwachungskapitalismus. Deswegen werbe ich dafür, dass die digitalen Überwachungsbefugnisse von Sicherheitsbehörden und Nachrichtendiensten verhältnismäßig bleiben…“ Und weiter: Anders als oft unterstellt sind wir in den Datenschutzaufsichtsbehörden keinesfalls Gegner, sondern vielmehr Fans der Digitalisierung… Ich bin fest davon überzeugt, dass gut gemachte digitale Lösungen das Leben erleichtern, neue Erkenntnisse generieren, neue Möglichkeiten schaffen und sogar den Datenschutz verbessern helfen…“

In diesem Zusammenhang kritisiert Kelber deutlich und scharf den ehemaligen Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Andreas Scheuer (CSU): Es war deshalb für mich immer frustrierend, wenn auf unsere Beratung nicht gehört und mit der Brechstange eine schlechte Digitalisierung durchgesetzt wurde. Oder sogar auf eine notwendige Digitalisierung verzichtet wurde, mit der faulen Ausrede angeblicher Datenschutzhürden. Der schlimmste Fall war in diesem Zusammenhang die lange verzögerte Einführung von Cell Broadcasting als schnelle Warnmöglichkeit bei Katastrophen. Cell Broadcasting erreicht alle eingeschalteten Mobilfunkgeräte in einem Gebiet, ohne dass man auf Apps oder eine gute Internetverbindung oder ein neues Gerät angewiesen ist… Unsere Nachbarländer hatten bei dem Starkregen 2021, der in der Eifel und dem Ahrtal zu verheerenden Überflutungen führte, ihre Bevölkerung per Cell Broadcasting noch rechtzeitig warnen können, während in Deutschland die versuchten Warnungen per App die Menschen oft schlicht nicht erreichten. Als es dann zur Debatte kam, warum es denn in Deutschland kein Cell Broadcasting gebe, schob der damalige Minister Andreas Scheuer den Datenschutzaufsichtsbehörden den Schwarzen Peter zu. Nie war ich über einen politischen Winkelzug so wütend…“

Sicherheit und Freiheit sind vereinbar stellt Kelber fest und erklärt dann: Es ist… Aufgabe für die Datenschützer:innen… auf die Gefahren einer immer dichteren und tiefgreiferenden Überwachung der Bürger:innen hinzuweisen. Wenn nämlich jedes Wort, jeder Schritt, jede Handlung und umgekehrt sogar das Unterlassen von durch Datenauswertung eigentlich vorhergesagter Kommunikation, Bewegungsmuster und Aktionen ausgewertet werden, dann stirbt die Freiheit. Das Bundesverfassungsgericht hat das richtig analysiert: Schon das Gefühl beobachtet zu werden, kann einem daran hindern, seine Freiheitsrechte auszuüben. Wenn man sich immer beobachtet fühlen muss, was löst das aus? Gehen wirklich noch alle auf Demonstrationen, wenn ihre Anwesenheit dort stets gefilmt und durch Gesichtserkennung festgehalten wird? Redet man noch offen über alles, wenn jeder Halbsatz ausgewertet und in neue Zusammenhänge gestellt werden könnte?“

Und er fordert: Deutschland benötigt eine Überwachungsgesamtrechnung… Damit klar wird, wie stark die Menge der einzelnen Überwachungsmaßnahmen schon in die Grundrechte eingreifen und nicht immer nur die einzelne Maßnahme bewertet wird… Denn seit 2001 kennt die Gesetzgebung nur eine Richtung: Mehr Überwachung und Ausweitung einmal ergriffener Maßnahmen. Ohne den — wegen den meist übereilten Gesetzgebung häufigen — Eingriffen der Gerichte wäre keine einzige Maßnahme wieder aufgehoben oder eingeschränkt worden.“

Gegen den Überwachungskapitalismus nimmt Kelber Stellung und erklärt: „Mindestens genauso wichtig wie der Kampf gegen überzogene staatliche Datensammlung ist der Kampf gegen den umfassenden Überwachungskapitalismus der Tech-Giganten und Datenhändler… die Datensammlung zur Profilbildung von allen Bürger:innen hat längst eine Dimension angenommen, die unsere freiheitliche Demokratie aufs Äußerste gefährdet… Es gibt keine aus Sicht der informationellen Selbstbestimmung absolut unkritischen personenbezogenen Daten. Natürlich ist ein einzelnes Datum in der Regel für sich unproblematisch, wenn es nicht schon direkt eine schützenswerte persönliche Eigenschaft darstellt. Aber die Datenkraken sammeln tausende solche Daten, kombinieren diese und erhalten ein persönliches Profil, dass unser Verhalten ausleuchtet und leider auch extrem gut voraussagt. Diese Profile sind so umfangreich und aussagekräftig, dass sich natürlich längst die Sicherheitsbehörden vieler Staaten der Datentöpfe der Privatunternehmen bedienen und dabei Einblicke gewinnen, die staatliche Maßnahmen eigentlich nicht erlauben und die unverhältnismäßig sind…“

Kelber fährt fort: Im Kampf gegen den Überwachungskapitalismus braucht es aber auch die nachhaltige Unterstützung von Regierungen und Parlamenten. Diese sollten selbst bei der Nutzung von Produkten und Services als Vorbild vorangehen und nicht noch zum Komplizen der Datenkraken werden. Das gilt im Großen, wenn Facebook-, TikTok- Twitter-/X oder Instagram-Auftritte dazu führen, dass alle Nutzungsdaten von den Datenkraken gesammelt werden… Alles das darf der Staat den Datenkraken doch nicht noch auf dem Silbertablett servieren. Und es geht bis ins Detail: Warum nutzen staatlicheWebsites und Apps immer wieder Services der Datenkraken, die am Ende Standortdaten, Interessensgebiete und eventuell sogar Kommunikationsinhalte der Bürger:innen bei der Nutzung staatlicherAngebote und Apps an diese Firmen übertragen?“

Ohne Transparenz ist alles nichts, leitet Kelber zum Thema Informationsfreiheit und Transparenz der öffentlichen Verwaltung über. Sein Plädoyer lautet: In einer modernen demokratischen Gesellschaft sind Menschen keine Untertanen und auch nicht getrennt von staatlichen Institutionen zu verstehen. Sie bilden vielmehr als Bürger:innen den Staat. Daher sind staatliche Institutionen verpflichtet, Bürger:innen über ihr Handeln zu unterrichten und ihnen alle vorhandenen Informationen zur Verfügung zu stellen… Grundlage für die Verpflichtung von Bundesbehörden zur Herausgabe von solchen Informationen ist seit 2006 das Informationsfreiheitsgesetz… Wir brauchen, wie im Koalitionsvertrag versprochen, ein Update, ein wirkliches ‚Transparenzgesetz‘.“

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